Politik

Wehrdienst-Reform: Union und SPD einigen sich auf Kompromiss

Union und SPD haben ihren Streit über den Wehrdienst beigelegt – und ein Modell beschlossen, das auf Freiwilligkeit setzt, aber eine Rückkehr zur Pflicht nicht ausschließt. Der neue Kompromiss sieht eine flächendeckende Musterung, klare Aufstockungsziele und eine mögliche Bedarfswehrpflicht vor. Verteidigungsminister Pistorius will damit zeigen, dass Abschreckung auch ohne Zwang funktioniert – doch der Plan sorgt quer durch die Parteien für Kritik.
13.11.2025 15:23
Lesezeit: 3 min
Wehrdienst-Reform: Union und SPD einigen sich auf Kompromiss
Union und SPD einigen sich auf einen neuen Wehrdienst. Freiwilligkeit bleibt das Prinzip – doch eine Bedarfswehrpflicht könnte schon bald Realität werden. (Foto: dpa) Foto: Julian Stratenschulte

Neuer Wehrdienst: Musterung und Zielmarken

Flächendeckende Musterung, Zielmarken für den Aufwuchs und 2.600 Euro brutto: Union und SPD haben sich auf die Säulen des neuen Wehrdienstes geeinigt und damit ihren wochenlangen Streit beigelegt. Bei zu niedrigen Freiwilligenzahlen soll der Bundestag eine sogenannte Bedarfswehrpflicht beschließen können, bei der dann auch ein Zufallsverfahren zur Auswahl genutzt werden kann, wie Politiker der Regierungsparteien erklärten.

Pistorius: Freiwilligkeit soll überzeugen

Verteidigungsminister Boris Pistorius begrüßte die Einigung. "Andere europäische Länder, gerade im Norden, zeigen, dass das Prinzip Freiwilligkeit mit Attraktivität verbunden funktioniert", sagte der SPD-Politiker in Berlin und zeigte sich optimistisch, dass sich genügend junge Menschen melden. Er versuchte zudem, Ängste zu zerstreuen.

Pistorius: Grund zur Angst gibt es nicht

"Grund zur Sorge, Grund zur Angst gibt es nicht", sagte der Verteidigungsminister. "Weil die Lehre ist ganz klar: Je abschreckungs- und verteidigungsfähiger unsere Streitkräfte sind, durch Bewaffnung, durch Ausbildung und durch Personal, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass wir überhaupt Partei eines Konfliktes werden – und damit ist allen gedient, das ist die Erfahrung aus dem Kalten Krieg. Deswegen gibt es gar keinen Grund, sich irgendwelche Sorgen zu machen."

Junge Männer beginnend mit dem Jahrgang 2008 sollen von Anfang 2026 an gemustert werden, zudem gibt es einen Fragebogen vom Bund – auch für Frauen.

Mehr Verbindlichkeit in der Freiwilligkeit

Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) sagte: "Wir werden mehr Verbindlichkeit haben in der Freiwilligkeit." Es solle ein "Aufwuchspfad" festgehalten werden, damit die Gesellschaft immer wisse, wo man stehe. Gemeint sind damit Zielkorridore für die Truppenstärke.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch zeigte sich "ganz sicher, dass wir das schaffen werden, auch im Rahmen der Freiwilligkeit." Sollte dies nicht der Fall sein, müsse sich der Bundestag damit neu auseinandersetzen.

Bundestag entscheidet über Bedarfswehrpflicht

Zum Thema einer möglichen Pflicht heißt es in einem Papier zur Einigung: "Der Bundestag entscheidet durch Gesetz über die Einsetzung einer Bedarfswehrpflicht, insbesondere wenn die verteidigungspolitische Lage oder die Personallage der Streitkräfte dies erforderlich macht." Die Bedarfswehrpflicht diene der Schließung möglicher Lücken zwischen dem Bedarf der Streitkräfte und der tatsächlichen Zahl an Freiwilligen.

Neuer Status für Wehrdienstleistende

Beim Status der Soldaten im neuen Wehrdienst gibt es eine Änderung zu bisherigen Planungen. "Der freiwillige Wehrdienst als besonderes staatsbürgerliches Engagement bleibt erhalten. Ab zwölf Monaten Verpflichtungsdauer wird der Status Soldat auf Zeit (SAZ 1) eingeführt", heißt es. Bisher war vorgesehen, dass alle neuen Wehrdienstleistenden sofort Soldaten auf Zeit werden. Die Freiwilligen sollen rund 2.600 Euro brutto monatlich erhalten.

Kein Automatismus zur Wehrpflicht

Übersteige die Zahl der Wehrpflichtigen eines Jahrgangs den Bedarf, kann nach Anwendung der Wehrdienstausnahmen und aller anderen Maßnahmen als letzter Schritt ein Zufallsverfahren zur Auswahl greifen. Einen Automatismus zur Aktivierung der Wehrpflicht werde es nicht geben, heißt es. Um die Frage einer Pflicht hatte es Streit gegeben.

Im Oktober hatte die Unionsfraktion das bereits vom Kabinett verabschiedete Gesetz zum neuen Wehrdienst wegen Bedenken gestoppt. Pistorius will, dass das Wehrdienstgesetz Anfang 2026 in Kraft tritt.

Bundeswehr soll kräftig wachsen

Wegen der Bedrohung durch Russland und der dadurch veränderten Nato-Planungen soll die Bundeswehr um rund 80.000 auf 260.000 Männer und Frauen in der stehenden Truppe anwachsen. Zudem soll es 200.000 Reservisten geben, deren Zahl vor allem mit dem neuen Wehrdienst steigen soll. Besonders Politiker der Union haben wiederholt bezweifelt, dass Freiwilligkeit ausreichen wird, um eine ausreichend schnelle Aufstockung der Bundeswehr zu sichern.

Für die Zahl der Wehrdienstleistenden gibt es nun klare Ziele, beginnend mit 20.000 im nächsten Jahr. Für die stehende Truppe aus Zeit- und Berufssoldaten wurden Zielkorridore festgelegt. Es beginnt im kommenden Jahr mit Werten zwischen 186.000 bis 190.000 Soldaten. Der Zielkorridor für 2035 liegt zwischen 255.000 bis 270.000 Soldaten.

Wehrpflicht bleibt im Grundgesetz

Die Wehrpflicht wurde 2011 ausgesetzt, ist aber weiter im Grundgesetz verankert. Sie kann mit einfacher Mehrheit im Bundestag wieder eingeführt werden und tritt auch in Kraft, wenn der Bundestag den Spannungs- oder Verteidigungsfall feststellt. Das Grundgesetz sieht eine Wehrpflicht nur für Männer vor.

Kritik aus der Opposition

Die Grünen-Politikerin Sara Nanni sieht im Wehrdienst-Kompromiss eine "Verschlimmbesserung" im Vergleich zu den ersten Plänen von Pistorius. "Insgesamt klingt der Vorschlag nach mehr Bürokratie als der ursprüngliche aus dem Ressort erarbeitete und vom Kabinett beschlossene. Es ist eine Verschlimmbesserung", sagte die sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion der Funke Mediengruppe.

Die Linke kündigte den Aufbau von Hilfs- und Beratungsangeboten für junge Menschen an – auch und gerade, wenn sie den Kriegsdienst verweigern wollen. "Wir sind gegen jede Form von Zwangsdienst", sagte Parteichef Jan van Aken der Funke Mediengruppe.

Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im EU-Parlament, sprach von einem schwachen Kompromiss. Sie kritisierte: "Dass immer noch ein Losverfahren geplant ist, ist ein schlicht unseriöses Vorgehen von Union und SPD."

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