Keine Wende bei Firmenpleiten in Deutschland erkennbar
Vom Autozulieferer bis zum Schuhhändler: In Deutschland ziehen wieder mehr Betriebe die Reißleine. Selbst staatliche Milliardeninvestitionen werden einen weiteren Zuwachs der Insolvenzzahlen nicht stoppen. Die Insolvenzzahlen bleiben hoch.
Deutschland meldet so viele Firmenpleiten in Deutschland wie seit 2014 nicht mehr – und trotz Konjunkturhoffnungen gibt es für das nächste Jahr keine Entwarnung. "Unter dem Strich gehen wir nach derzeitiger Prognose nicht davon aus, dass die Insolvenzzahlen 2026 stagnieren oder gar zurückgehen werden", sagt der Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung, Patrik-Ludwig Hantzsch. Bis zum Ende des laufenden Jahres werden nach Hochrechnungen der Wirtschaftsauskunftei 23.900 Unternehmen Insolvenz angemeldet haben. Das entspräche über acht Prozent mehr als im Vorjahr. Im Jahr 2014 hatten nach amtlichen Angaben fast 24.100 Unternehmen hierzulande aufgegeben. Zahlen des Statistischen Bundesamtes für 2025 gibt es im kommenden März.
Mittelstand gerät unter Druck
"Viele Betriebe sind hoch verschuldet, kommen schwer an neue Kredite und kämpfen mit strukturellen Belastungen wie Energiepreisen oder Regulierung", sagt Hantzsch. Das bringe vor allem Mittelständler in Bedrängnis. Meist erwischt es Firmen mit höchstens zehn Beschäftigten; sie stehen für vier von fünf Insolvenzen in Deutschland. Doch auch 140 größere Unternehmen rutschten 2025 in die Pleite, etwa mehrere Klinikbetreiber. Über alle Insolvenzen in Deutschland hinweg summiert sich der Schaden auf rund 57 Milliarden Euro und liegt damit nur knapp unter dem hohen Vorjahreswert (59,1 Mrd Euro). Geschätzt 285.000 Arbeitsplätze sind durch Insolvenzen in diesem Jahr bedroht oder bereits weggefallen.
Stellenabbau und steigende Arbeitslosigkeit verschlechtern die finanzielle Lage vieler Privathaushalte: Bei den Verbraucherinsolvenzen rechnet Creditreform in diesem Jahr mit 76.300 Fällen – ein Plus von 6,5 Prozent zum Vorjahr. Bei den Firmenpleiten stiegen die Insolvenzzahlen besonders kräftig im verarbeitenden Gewerbe und im Handel. Die meisten Insolvenzen in Deutschland mit mehr als 14.000 entfielen auf das Dienstleistungsgewerbe, zu dem etwa die Gastronomie zählt.
Insolvenzzahlen wachsen langsamer als nach Corona
Ein kleiner Hoffnungsschimmer: Die Unternehmensinsolvenzen kletterten im laufenden Jahr nicht mehr so rasant wie zuvor. Nachdem die staatlichen Hilfen der Corona-Pandemie ausgelaufen waren und vielen Betrieben das Überleben gesichert hatten, sprangen die Werte 2023 und 2024 jeweils fast um ein Viertel nach oben.
Viele Ökonomen erwarten, dass die staatlichen Milliardeninvestitionen in Infrastruktur wie Straßen und Schienen sowie in Verteidigung 2026 das Wirtschaftswachstum beleben. Creditreform sieht darin die Chance, den Anstieg der Insolvenzen in Deutschland zu bremsen. "Bis die Infrastrukturbooster des Bundes angekommen sind, wird es aber dauern", prognostiziert Hantzsch. Zudem löse Geld strukturelle Probleme nicht: "Mit Geld kann man zwar Rechnungen bezahlen, aber damit wird man nicht automatisch rentabler." Die Liste der Belastungen bleibt lang: hohe Energiepreise, viel Bürokratie, zurückhaltende Konsumenten, Handelsbarrieren.
Konsumflaute hält an
Lebensmittel und Dienstleistungen sind teurer geworden, viele Menschen verzichten auf Anschaffungen. Im Einzelhandel gibt es so viele Insolvenzen in Deutschland wie seit Jahren nicht. Betroffen sind unter anderem der Schuhhändler Görtz, der Modehersteller Gerry Weber und der Herrenausstatter Wormland.
2.490 Insolvenzen im Einzelhandel zählte der Kreditversicherer Allianz Trade zwischen August 2024 und August 2025 – fast so viele wie vor neun Jahren, als mit 2.520 Fällen ein Negativrekord aufgestellt wurde. Um der Konkurrenz durch Online-Marktplätze standzuhalten, müssten Einzelhändler stärker in digitale Kanäle und moderne Technik investieren, analysiert Allianz-Trade-Branchenexperte Guillaume Dejean: "Das ist ein Kampf, der teilweise an David gegen Goliath erinnert."
Absatzkrise Autoindustrie
Ein Bündel an Problemen setzt der Automobilbranche zu: US-Zölle, chinesische E-Auto-Konkurrenz und Absatzflaute. Binnen eines Jahres wurden in der deutschen Automobilbranche fast 50.000 Jobs gestrichen. Reihenweise rutschten Zulieferer in die Pleite.
Zollhürden bleiben Risiko
Allianz Trade rechnet im kommenden Jahr weltweit mit mehr Unternehmenspleiten, weil höhere US-Zölle exportorientierte Volkswirtschaften hart treffen. Das Risiko von Dominoeffekten steige. Für Deutschland erwarten die Analysten 2026 eine leichte Zunahme auf 24.500 Fälle.
Reformstau auch im eigenen Betrieb
Nicht jede Schieflage lässt sich nur mit schlechten Rahmenbedingungen erklären. "Zu schnell wird die Ursache der unternehmerischen Fehlentwicklung bei steigenden Zöllen oder hohen Energiekosten gesucht", kommentierte der Vorsitzende des Verbandes der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID), Christoph Niering, bereits im Sommer steigende Insolvenzzahlen. "Eine gefährliche Fehleinschätzung, da hierdurch Sanierungsmaßnahmen zu spät oder nicht umfassend genug angegangen werden."
Zudem brauche wirtschaftlicher Wandel auch Scheitern, argumentiert der VID und zitiert als Kronzeugen den Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher: "Das Stigma des unternehmerischen Scheiterns trägt maßgeblich zur Innovationsfeindlichkeit bei, gerade in Deutschland. Es ist dringend notwendig, eine neue Gründerkultur zu etablieren, die Fehler zulässt, Risiken honoriert und Mut belohnt."


