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Analyse: Putins Besuch in Indien zeigt die gefesselten Hände des Kreml

Wladimir Putins Besuch in Indien sollte Stärke demonstrieren, doch die Realität wirkt gegenteilig. Der Kreml ist stark von Ölexporten abhängig, militärisch geschwächt und wirtschaftlich isoliert. Die Analyse zeigt, wie Indien Russlands Lage ausnutzt und welche geopolitischen Folgen der Besuch hat.
09.12.2025 09:50
Aktualisiert: 09.12.2025 09:50
Lesezeit: 4 min
Analyse: Putins Besuch in Indien zeigt die gefesselten Hände des Kreml
Nach dem Treffen verwies der indische Staatschef auch auf die Eröffnung neuer Konsulate in Russland. (Foto: dpa) Foto: Grigory Sysoyev

Ein pompöser Empfang bei Putins Besuch in Indien verdeckt ein Machtgefälle

Der Staatsbesuch des russischen Regimeführers in Indien spiegelt die wachsende Abhängigkeit des Kreml von Ölexporten wider. Nach über vier Jahren traf Wladimir Putin zu einem Staatsbesuch in Indien ein und wurde in Neu-Delhi mit einem roten Teppich empfangen. Am Flughafen begrüßte ihn Indiens Premierminister Narendra Modi persönlich. Die beiden Männer umarmten sich zur Begrüßung. Hinter dem warmen Empfang verbirgt sich jedoch eine symbolische Verschiebung des Kräfteverhältnisses.

Russland und Indien verbindet eine Partnerschaft von drei Vierteln eines Jahrhunderts. Neben geopolitischen Balanceakten gegenüber Pakistan und China beruhte diese Partnerschaft historisch auf zwei wirtschaftlichen Säulen. Russische Waffenexporte und der Export russischer Ölprodukte.

Putin ist nicht zufällig gerade jetzt in Indien. Die russischen Steuereinnahmen aus dem Ölexport sind auf das niedrigste Niveau seit einem Jahrzehnt gefallen. Die Kriegsführung und der Mangel an Bauteilen haben zudem dazu geführt, dass vom einst bedeutenden Waffenexport praktisch nur noch ein Zehntel übrig ist. Für beide Bereiche sind derzeit keine Verbesserungsperspektiven in Sicht.

Indiens Bedürfnis nach billigem Öl und der Preis für Russland

Der umfassende Krieg in der Ukraine hat Indien zu Russlands wichtigstem Partner im Energiesektor gemacht. Seit Februar 2022 haben indische Raffinerien nahezu 140 Milliarden Dollar gezahlt, um russisches Rohöl zu kaufen. Der Preis für die russische Urals-Sorte fiel aufgrund der Sanktionen im November sogar auf 36 Dollar pro Barrel. Dies lag 23 Dollar unter dem Brent-Benchmark. Trotz erheblicher Rabatte bleibt jedoch immer mehr russisches Öl mangels Absatz auf See liegen.

Indiens große Raffinerien fürchten die von den USA verhängten Sanktionen gegen russische Energiekonzerne. Schon jetzt hat Donald Trump Indien 25 Prozent Zölle für den Kauf russischer Energie auferlegt. Diese kommen zusätzlich zu den bereits bestehenden 25 Prozent Grundzöllen auf die meisten Exportwaren.

Obwohl Indien in diesem Jahr russisches Öl im Wert von 50 Milliarden Dollar kauft und zusätzlich rund 10 Milliarden Dollar für Düngemittel, Koks und Metalle ausgibt, verkauft es im Gegenzug lediglich Waren im Wert von fünf Milliarden Dollar und Dienstleistungen im Wert von einer Milliarde Dollar nach Russland.

Die USA sind jedoch Indiens wichtigster Exportmarkt. Die diesjährigen 86 Milliarden Dollar an Ausfuhren in die USA entsprechen nahezu einem Fünftel des gesamten indischen Warenexports. Daher besteht trotz der Bedeutung von billigem russischem Öl, das raffiniert und gegebenenfalls sogar nach Europa weiterverkauft werden kann, ein Risiko. Handelsstörungen mit den USA bedrohen Indiens langfristige wirtschaftliche Perspektiven wesentlich stärker.

Hinzu kommt, dass sich die Lage auf dem globalen Ölmarkt verändert hat. Der Ölpreis ist in diesem Jahr und voraussichtlich auch im nächsten und übernächsten Jahr im historischen Vergleich sehr niedrig.

Russland ist zunehmend auf den Export von Rohöl angewiesen, da ukrainische Angriffe auf die Infrastruktur außerhalb Russlands die Raffinierung zu Kraftstoffen gestört haben. Deshalb muss Russland den Energieträger ohne Wertschöpfung weiterverkaufen. Die über das Schwarze Meer verschiffte russische Energie ist zusätzlich Angriffen durch Seedrohnen und sogenannten Magnetminen ausgesetzt. Diese haben nicht nur die Schattenflotte, sondern auch Schiffe dritter Länder getroffen, die russisches Öl transportieren.

Symbolisch bleibt Russland damit nur ein sicherer Exportweg. Der über die Ostsee.

Große Versprechen, geringe Fähigkeiten

Nach Angaben des Pressebüros der indischen Regierung sollen die Beziehungen zwischen den beiden Staaten auf ein neues Niveau gehoben werden. Bis 2030 soll der bilaterale Handel ein Volumen von 100 Milliarden Dollar erreichen. Zudem soll ein Freihandelsabkommen zwischen Indien und der Eurasischen Union gelten. Als Fundament dieser Wirtschaftsbeziehung wird die militärische Zusammenarbeit beschrieben. Teil davon ist ein militärisch-technisches Kooperationsabkommen, das bis 2031 gültig ist.

Gemeinsam mit Russland entwickelte Indien die BrahMos-Langstreckenrakete. Diese ist seit 2007 Teil der indischen Streitkräfte. Im ersten Jahr des umfassenden Krieges erklärten die beiden Staaten, die nächste Generation der Rakete auf der Grundlage der russischen Tsirkon entwickeln zu wollen. Diese kann nach Angaben des Kreml bis zu drei Kilometer pro Sekunde fliegen. Ukrainische und westliche Verteidigungsanalysten berichten jedoch, dass Kiew diese Raketen erfolgreich abgefangen habe.

Die Schlüsselthemen von Putins Besuch waren jedoch der Su-57 und das S-400-System. Dies sind Russlands modernster Kampfjet und ein bereits in Indien eingesetztes Luftabwehrsystem. Indien kämpfte im Mai vier Tage lang mit dem alten Rivalen Pakistan. Es musste sowohl in der Luft als auch am Boden feststellen, dass chinesische Waffen im pakistanischen Arsenal besser funktionierten als erwartet.

Der Su-57 ist zwar offiziell Teil der russischen Streitkräfte, wurde jedoch selten eingesetzt. Insgesamt wurden nur wenige Dutzend produziert. Technische Probleme, knappe Budgets aufgrund von Sanktionen und schlechte Verfügbarkeit sanktionierter Komponenten behindern die Produktion.

Nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI ist Indien weiterhin Russlands wichtigster Exportmarkt. Doch der Anteil russischer Waffensysteme an Indiens Importen ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Auch wenn viele russische Plattformen weiterhin das strukturelle Rückgrat der indischen Hochtechnologie-Systeme darstellen, wachsen die Anteile französischer, amerikanischer und israelischer Systeme. Dazu gehören französische Rafale-Kampfjets oder amerikanische Apache-Kampfhubschrauber.

Indien hält zwar noch einige wichtige Beschaffungen mit Russland aufrecht, darunter ein Atom-U-Boot im Wert von zwei Milliarden Dollar. Der Leasingvertrag wurde jedoch bereits 2019 unterzeichnet. Die früheste mögliche Umsetzung ist 2028. Gleichzeitig hat Pakistan für fünf Milliarden Dollar acht diesel-elektrische U-Boote aus China bestellt.

Vor diesem Hintergrund erklärte Modi erneut, Indien stehe ausschließlich auf der Seite des Friedens. Die Aussage bezog sich auf die Ukraine, spiegelte jedoch eine Haltung wider, die der der chinesischen Kommunistischen Partei ähnelt. Eine nominelle Unterstützung Russlands, um Moskaus Notlage maximal auszunutzen. Gleichzeitig soll die Beziehung zum Westen nicht übermäßig beschädigt werden.

Das Treffen wurde begleitet von dem Versprechen, dass Russland Indien helfen werde, im Verteidigungsbereich unabhängig zu werden. Putin garantierte zudem persönlich, dass die Öllieferungen nach Indien ohne Unterbrechung fortgesetzt werden. Die Datenlage zeigt jedoch, dass Russland kaum andere Optionen hat und deshalb gezwungen ist, all dies zu versprechen.

Das brüchige Imperium

Putins Besuch in Indien offenbart die strukturelle Schwäche Russlands. Moskau sucht dringend stabile Absatzmärkte für Öl und Waffen, doch Indien handelt zunehmend aus einer Position der Stärke. Die Russland-Indien-Beziehungen sind damit ein Spiegel globaler Machtverschiebungen. Während der Kreml versucht, seine Rolle als strategischer Partner zu bewahren, nutzt Indien die Lage, um maximale Vorteile aus russischer Abhängigkeit zu ziehen, ohne sich geopolitisch festzulegen. Für Europa bedeutet dies eine zusätzliche Komplexität im globalen Energie- und Sicherheitsgefüge.

Putins Besuch in Indien sollte Stärke demonstrieren, zeigt jedoch die enge strategische Zwangslage des Kreml. Russland ist wirtschaftlich auf Rohölexport angewiesen, militärisch geschwächt und technologisch isoliert. Indien nutzt diese Situation geschickt aus. Der Kreml kann viel versprechen, aber nur wenig erfüllen. Die Russland-Indien-Beziehungen entwickeln sich damit zu einem Fenster, durch das die geopolitische Fragilität Russlands deutlich sichtbar wird.

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Marius Vaitiekūnas

Zum Autor:

Marius Vaitiekūnas ist ein ausgewiesener Experte für Geopolitik und internationale Wirtschaftsverflechtungen. Geboren 1985 in Kaunas, Litauen, schreibt er als freier Autor regelmäßig für verschiedene europäische Medien über die geopolitischen Auswirkungen internationaler Konflikte, wirtschaftlicher Machtverschiebungen und sicherheitspolitischer Entwicklungen. Seine inhaltlichen Schwerpunkte sind die globale Energiepolitik und die sicherheitspolitischen Dynamiken im osteuropäischen Raum.

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