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Hunderte Unternehmen müssen auf Ökostrom-Rabatte verzichten

Lesezeit: 3 min
11.04.2014 11:45
Klimaschutz und Arbeitsplätze sind die Zukunft in Europa. Die mittelständische Industrie müsse entlastet werden, um beides zu erreichen, so die Kanzlerin. Das Verfahren der EU gegen die Industrie-Rabatte in Deutschland geht jedoch weiter. Sollten sich die Unternehmen nicht an die neuen Regeln halten, will EU-Kommissar Almunia nicht vor Strafzahlungen zurückschrecken. Der neue Entwurf führt zudem dazu, dass es für etwa 500 Unternehmen keine Rabatte mehr geben wird.
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Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Ausnahmen der Industrie von der Ökostrom-Umlage gegen Kritik verteidigt. „Ich bin mir ganz sicher, dass die Bürgerinnen und Bürger auf gar keinen Fall wollen, dass sichere zukunftsfähige Arbeitsplätze durch die Energiewende verlorengehen”, sagte Merkel am Mittwoch im Bundestag. Die Energiewende dürfe nicht die Stärke der deutschen Wirtschaft schwächen, also die mittelständische Industrie. „Wir müssen Klimaschutz und Arbeitsplätze zusammenbringen, sonst wird der Klimaschutz keine Zukunft in Europa haben.” Die Regierung könne aber nicht versprechen, dass für die Menschen die Ökostrom-Umlage sinken werde, räumte die CDU-Politikerin ein.

Die Ausgestaltung der Energiewende werde ein Thema der gesamten Legislaturperiode bis Ende 2017 sein. Als nächstes gehe es um Fragen des Netzausbaus und der Kapazitäten (mehr zum Thema Netzausbau – hier). Ziel bleibe es, den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung bis 2015 auf 40 bis 45 Prozent auszubauen.

Bei aller Unterstützung konnte die Regierung nicht verhindern, dass etwa 500 Unternehmen nicht mehr in den Genuss der Industriestrom-Rabatte kommen werden.

Das Bundeskabinett hatte die Neufassung des Ökostrom-Gesetzes EEG am Dienstag beschlossen. Opposition und Verbraucherschützer kritisieren, dass für die Industrie-Rabatte die privaten Haushalte zahlen müssten.

Solarindustrie und Verbraucherschützer haben Verfassungsklage gegen die Ökostromreform angekündigt. Es gebe erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass die geplante Ökostrom-Abgabe auf Solarstrom zur Selbstversorgung gegen das im Grundgesetz verankerte Gleichbehandlungsprinzip verstoße, teilten der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW) und die Verbraucherzentrale Bundesverband am Mittwoch mit. „Große Teile der Industrie werden weiterhin von der Energiewende-Finanzierung befreit. Wer mit Solarstrom die Umwelt entlastet, wird dagegen zur Kasse gebeten”, kritisierte der BSW-Hauptgeschäftsführer Carsten Körnig (mehr dazu – hier).

Der Energieexperte der Verbraucherzentrale, Holger Krawinkel, nannte eine Abgabe auf Solarstrom Unsinn. Die Eigenerzeugung sei ein wesentlicher Bestandteil der Energiewende. „Doch die aktuellen Pläne bremsen die Verbraucher aus, die zu einer umweltfreundlichen Stromerzeugung beitragen”, kritisierte er.

Der am Dienstag vom Kabinett verabschiedete Entwurf zur EEG-Novelle sieht vor, ab August den Eigenverbrauch des Solarstroms mit 50 Prozent der EEG-Umlage zu belasten. Das entspricht nach Angaben des BSW derzeit rund 3,1 Cent je Kilowattstunde (kWh). Mieter, die ihren Solarstrom vom Dach des Vermieters beziehen, würden sogar die volle EEG-Umlage zahlen. Ausgenommen sind lediglich Betreiber von Kleinstanlagen etwa auf Eigenheimen. Dieses Segment machte nach BSW-Angaben im vergangenen Jahr aber nur knapp ein Fünftel der neu installierten Leistung aus. Damit würde also der Eigenverbrauch selbst erzeugten Solarstroms in den meisten Fällen finanziell belastet (mehr zum Thema Eigenverbrauch – hier).

EU-Kommission schont Industrie

Die EU-Kommission kommt mit ihren Leitlinien für Beihilfen im Energiesektor der europäischen Industrie weit entgegen. Einen Tag nach der Beilegung des Streits mit der Bundesregierung über Strompreise-Rabatte legte die Brüsseler Behörde ihr neues Regelwerk vor, an dem die 28 Mitgliedsländer ihre Hilfen im Energiebereich bis 2020 ausrichten sollen. Im Kern soll das Beihilfesystem für erneuerbare Energieträger ab 2017 durch Ausschreibungsverfahren abgelöst werden. „Es ist an der Zeit, dass erneuerbare Energien am Marktgeschehen teilnehmen”, sagte EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia. “Europa sollte seine ehrgeizigen Energie- und Klimaziele zu möglichst geringen Kosten für die Steuerzahler und ohne übermäßige Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt erreichen.”

Wie bereits am Dienstag bekanntwurde, sollen die Lasten für besonders energie-intensive Branchen gemildert werden. „Zudem werden die Mitgliedstaaten sehr energieintensive Unternehmen entlasten können, auch wenn sie in anderen Wirtschaftszweigen tätig sind”, heißt es in einer Erklärung der Kommission.

Umweltverbände und Grüne hatten einige der schon zuvor bekanntgewordenen Vorgaben der EU-Kommission scharf kritisiert. „Die luftverschmutzende Industrie und die Energie-Oligopole tragen den Sieg davon”, sagte Claude Turmes, grüner EU-Abgeordneter aus Luxemburg. Die Bürger verlören bei der Reform zweifach: „Sie bezahlen für die neue Freifahrt der Industrie und leiden weiter unter einer veralteten Energieversorgung, die kleine und dezentralisierte Akteure bestraft.” Letztere seien aber die wichtigsten Treiber der Energiewende.

Beihilfen für die Atomenergie sind in den Leitlinien nicht enthalten. In der Kommission war argumentiert worden, dass staatliche Unterstützung nur für jene Technologien gewährt werden solle, die noch keine Marktreife erreicht haben. Vor allem das auf Nuklear-Energie setzende Großbritannien hatte auf einen entsprechenden Passus gehofft

EU-Verfahren läuft weiter

Das Verfahren gegen Deutschland wegen Rabatten für die Industrie bei der EEG-Umlage läuft nach Angaben von EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia weiter. Auf die Unternehmen kämen auch Rückzahlungen zu, falls festgestellt werde, dass die Befreiungen von den Kosten der Energiewende nicht mit den am Mittwoch vorgelegten Leitlinien übereinstimmten. „In den vergangenen zwei Jahren hat es Vergünstigungen gegeben, die nicht mit den Regelungen vereinbar sind”, sagte Almunia. Eine rückwirkende Rückzahlung der Rabatte hatte Almunia jedoch zuvor ausgeschlossen (hier).

Er verwies zugleich darauf, dass für 68 besonders energieintensive Branchen Ausnahmen gewährt würden. In bisherigen Entwürfen für die EU-Leitlinien war nur von 65 Sektoren die Rede gewesen. Welche drei Branchen noch dazu gekommen sind, sagte Almunia nicht. Die vollständigen Leitlinien sollen im Laufe des Tages veröffentlicht werden. Bundesregierung und EU-Kommission hatten sich am Dienstag darauf geeinigt, dass große Stromverbraucher nur einen Bruchteil der Umlage zur Ökostrom-Förderung zahlen müssen (wie zum Beispiel die Deutsche Bahnhier). Die Brüsseler Behörde hat gegen Deutschland und Frankreich Verfahren wegen Industrie-Rabatten im Energiebereich eröffnet.

 

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