Nachdem ein vierjähriges Kind von einem Rudel streunender Hunde angefallen und zu Tode gebissen wurde, beschloss das rumänische Parlament ein Gesetz, das die Tötung solcher Tiere erlaubt. Allein in der Hauptstadt Bukarest soll es über 60 000 herrenlose Hunde geben. In einigen Medien der Bundesrepublik wurde im Dezember 2013 über die Aktion berichtet, so auch auf »tagesschau.de«.
In einem Interview mit einem deutschen Tierschützer, das in der »Stuttgarter Zeitung« erschien, hieß es, dass die Tiere »in sogenannten EU-Tierheimen, die von der Europäischen Union gefördert werden«, landen, wo sie dann nicht, wie vom Gesetz vorgesehen, »fach- und sachgemäß eingeschläfert«, sondern »mit Eisenstangen erschlagen oder mit Formalinspritzen ins Herz getötet« werden. Das sei eine ebenso »billige wie qualvolle« Methode. Und: »Die rumänischen Politiker wollen die Streuner gar nicht endgültig loswerden, weil sie dann auf die EU-Gelder verzichten müssten, die in irgendwelchen dunklen Kanälen versickern.« Angesichts der mehr oder weniger absurden Projekte, die von der EU gefördert werden, hörte sich das nicht unglaubwürdig an.
Also wollte ich es genauer wissen und schrieb »meinen« EU-Abgeordneten Werner Schulz an:
»lieber herr schulz, es ist schon eine weile her, dass wir uns in brüssel getroffen haben. darf ich sie um eine auskunft bitten? in bukarest werden derzeit herrenlose hunde eingesammelt und eingeschläfert. in einigen medien war davon die rede, diese maßnahme würde von der EU finanziert, mit 250- euro pro hund. ist das ein gerücht oder ist an der geschichte was dran? welcher kommissar wäre in diesem fall zuständig? ich hoffe, es geht ihnen gut. darf ich ihnen mein neues buch zuschicken? es geht um europa. ihr kollege wieland war schon angemessen empört. gruss aus berlin ihr hb«
Ich bekam umgehend eine automatische Bestätigung, dass meine Mail im Büro von Werner Schulz angekommen war. Dann kam nix. Also versuchte ich es wieder.
»lieber herr schulz, ich hab ihnen vor etwas mehr als zwei wochen eine mail geschickt, siehe oben, deren empfang sie bestätigt haben. leider habe ich seitdem nichts von ihnen gehört. ich weiß, dass sie viel zu tun haben. aber es wäre trotzdem sehr nett, eine antwort von ihnen zu bekommen. ich habe mehrmals versucht, sie in ihrem büro in berlin zu erreichen, aber da hebt niemand ab, nicht einmal ein AB. jetzt bin ich in virginia. und der zeitunterschied macht das telefonieren ein wenig mühsam. wenn ich aufstehe, geht es bei ihnen schon in den feierabend. gruss in die alte welt ihr hb«
Einen Tag darauf hatte ich eine Antwort:
»Sehr geehrter Herr Broder, haben Sie Dank für diese wie vorangegangene Mail und entschuldigen Sie bitte die verzögerte Antwort. Kurz zur Sache: Ja, Rumänien nutzt EU-Gelder, um die Überpopulation von Straßentieren in den Griff zu bekommen. Die Debatte ist ja hoch emotionalisiert. Mehr Sachlichkeit wäre angebracht und würde wahrscheinlich auch eher zum Ziel tierschutzgerechter Lösungen führen. Für diese Zielsetzung hat sich im Oktober 2011 übrigens auch das Europaparlament ausgesprochen. Diese Empfehlung (so heißt das im politischen Jargon) fordert die EU-Kommission und die Mitgliederstaaten auf, entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Der zuständige Kommissar ist Dacian Ciolos. Der deutsche Tierschutzbund hatte sich in der Sache an ihn gewandt ([www.tierschutzbund.de] user_upload/Downloads/Briefe/130925_EU-Kommissar_ Ciolos_Strassenhunde.pdf). Dem Schreiben können Sie auch die Adresse entnehmen, wenn Sie sich an ihn wenden möchten. Mehr Infos zum Stand der Dinge und begleitenden Aktionen aus Tierschutzkreisen finden Sie unter [www.tierschutzbund.de] html. Mit freundlichen Grüßen Ilka Dege, Berliner Büro Werner Schulz«
Das war etwas, aber nicht viel. Immerhin bestätigte die Berliner Büroleiterin des Europa-Abgeordneten Werner Schulz, dass Rumänien EU-Gelder »nutzt«, um »die Überpopulation von Straßentieren in den Griff zu bekommen«!– eine hübsche Formulierung, verbunden mit der Bitte um »mehr Sachlichkeit« in der Debatte. Ich schrieb zurück und bat um Präzisierung:
»sehr geehrte frau dege, vielen dank für ihre antwort auf meine mails. angesichts der stürme, die derzeit in der grünen partei toben, habe ich für die verzögerung vollstes verständnis. ich teile auch ihre ansicht, dass die debatte hoch emotionalisiert ist und mehr sachlichkeit angebracht wäre. dazu würde ich gerne beitragen.
leider ist das nicht ganz einfach. ich habe vergeblich versucht, auf einer der zahllosen EU-seiten informationen zu finden, auf welche weise die EU den rumänen hilft, die überpopulation von straßentieren in den griff zu bekommen. wie viel die maßnahme kostet, an wen die mittel überwiesen werden und wie die rumänen abrechnen. indem sie hundeohren nach brüssel einschicken oder beglaubigte erklärungen über die zahl der getöteten tiere abgeben? auch die zwei links, die sie mir gemailt haben, sind nicht zielführend. wäre es ihnen möglich, für mich die EU-seite zu finden, auf der diese angaben enthalten sind? es gibt ja nicht nur eine »empfehlung « des EU-parlaments, es muss auch ein budget für die maßnahme geben.
ich wäre ihnen wirklich sehr dankbar, wenn sie mir weiter helfen könnten. als insider kommt herr schulz viel schneller an die informationen als ich. mit vielen grüßen aus dem sonnigen virginia ihr hb«
Worauf Frau Dege ein wenig überfordert und ziemlich ungehalten reagierte.
»Sehr geehrter Herr Broder, zu Ihrem Anliegen können wir Ihnen offensichtlich nicht sonderlich weiter helfen. Wir bitten um Verständnis, dass wir Ihnen all Ihre Detailfragen leider nicht beantworten können und Sie sich direkt an die Kommission (die solche Programme auflegt) oder eine der Tierschutzorganisationen wenden müssten. Letztere haben oft professionelle Campaigner, die Ihre Fragen sicher viel schneller beantworten können als wir. Das Parlament legt weder Förderprogramme der EU dafür auf, noch können wir uns im Detail damit befassen. Im Voraus Dank für Ihr Verständnis, Ilka Dege«
Als Mitglied des EU-Parlaments kann MdEP Schulz in der Tat nur »Empfehlungen« aussprechen, »so heißt das im politischen Jargon«, die von der EU-Kommission so souverän ignoriert werden, wie die Empfehlung »Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen sie ihren Arzt oder Apotheker«, die man auf jedem Beipackzettel findet. Natürlich könnte er beim zuständigen Kommissar nachfragen, wie das mit den EU-Geldern läuft, die eingesetzt werden, »um die Überpopulation von Straßentieren in den Griff zu bekommen«, er weiß aber im Voraus, wie die Antwort lauten wird, nämlich so wie die, die ich von Ilka Dege, der Berliner Büroleiterin von Schulz, bekommen habe: ausweichend, nebulös, verschwurbelt. Wie es Genosse Zufall so arrangiert, bekam ich etwa zur gleichen Zeit ein Schreiben von Nadine Deusing, die in Coburg das »Europe Direct Informationszentrum« für die Region Oberfranken und Südthüringen leitet, eine von 55 solcher Einrichtungen in Deutschland.
»Sehr geehrter Herr Broder, … unsere Aufgabe ist es, auf regionaler Ebene die Einflüsse der Europäischen Union auf das tägliche Leben transparenter zu machen, Debatten über die Europäische Union und ihre Maßnahmen vor Ort anzuregen und die europäische Identität der Menschen zu fördern. Um diese Ziele zu erreichen, organisieren wir regelmäßig Veranstaltungen zu EU-Themen.
Sehr gerne würde ich auch Sie in Coburg zur Vorstellung Ihres Bestsellers »Die letzten Tage Europas« begrüßen. Wären Sie bereit, zu uns zu kommen, um Ihr Buch zu präsentieren?
Wir würden die Veranstaltung, die Werbung und alles Weitere organisieren. Ich würde mich wirklich riesig freuen, wenn Sie uns einen Besuch abstatten würden! Ich freue mich, von Ihnen zu hören. Herzliche Grüße Nadine Deusing«
Ich antwortete, dass ich noch nie in Coburg gewesen sei und deswegen gerne die Einladung annehmen würde, und reichte das Schreiben an den Knaus Verlag weiter. Knaus organisiert meine Lesungen, macht die Termine fix und handelt die Honorare aus. In diesem Fall war es ein symbolischer Betrag im unteren dreistelligen Bereich. Die Antwort von Frau Deusing kam umgehend. Sie habe, teilte sie mir mit, den Knaus Verlag wissen lassen, »dass wir!– nach Rücksprache mit unserem Geschäftsführer!– die Buchpräsentation in Coburg leider doch nicht stattfinden lassen können, da die Kosten für die Veranstaltung zu hoch sind«. Offensichtlich hatte der Geschäftsführer inzwischen mein Buch gelesen. Nun liegt mir wirklich viel daran, die Einflüsse der Europäischen Union auf das tägliche Leben transparenter zu machen, Debatten über die Europäische Union und ihre Maßnahmen vor Ort anzuregen und die europäische Identität der Menschen zu fördern. Zugleich aber habe ich Verständnis dafür, dass angesichts eines Sieben Jahre-Budgets der EU von rund 960 Milliarden Euro irgendwo gespart werden muss. Also machte ich Frau Deusing ein Angebot:
»wenn sie mir informationen über die aktion mit den straßenhunden besorgen (wer ist dafür zuständig, wer macht die sache vor ort, wieviel kostet das ganze?) komme ich nach coburg und trete honorarfrei bei ihnen auf.!– wäre das ok?«
Frau Deusing reichte meine Anfrage an die zuständige Dienstelle innerhalb der EU Kommission (Generaldirektion Gesundheit und Verbraucher) weiter und bekam tatsächlich eine Antwort, die sie mir nicht vorenthielt:
»Der Europäischen Kommission ist bekannt, dass die Kontrolle der Haustierpopulation einschließlich der Gewährleistung des Wohlergehens streunender Hunde sich in einigen Mitgliedstaaten problematisch erweisen kann. Allerdings, das Wohl streunender Tiere ist nicht in den Zuständigkeitsbereich von EU-Regelungen, sondern verbleibt in der alleinigen Verantwortung der Mitgliedstaaten. Mit Hinweis auf die besonderen Bemerkungen zur Erfordernis eines angemessenen Managements der Hundepopu la tion ist es wichtig daran zu erinnern, dass die Kommission die Arbeit der Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) zur Entwicklung von Richtlinien für die Kontrolle der Populationen streunender Hunde beständig unterstützt, in dem sie die wichtige Rolle der Kommunalbehörden bei der Durchsetzung der Rechtsvorschriften in Bezug auf den Besitz von Hunden hervorgehoben hat und die Stellen benannt hat, die für Entwicklung und Durchführung angemessener Schulungen zur Regelung des Einfangens, Transports und der Haltung von Hunden sowie für Mindestanforderung hinsichtlich der Unterbringung und Pflege zuständig sind.
Im Rahmen dieser Standards wird es für unbedingt notwendig gehalten, parallele Konzepte zur Kontrolle der Population streunender Hunde anzuwenden und zu berücksichtigen, dass eine Tötung, sofern erforderlich, auf humane Weise erfolgen sollte und dass dies allein keine nachhaltige Strategie darstellt.
Es obliegt Rumänien, als Vollmitglied der OIE, zu überlegen, wie sie diese internationalen Richtlinien angemessen in ihrem jeweiligen nationalen Kontext anwenden können. Die Kommission ist nicht befugt, Maßnahmen an die rumänischen Behörden zu diesem Thema anzufragen, und die Mitgliedstaaten sind nicht berechtigt EU-Fördermittel für die Leitung und Überwachung von streunender Hundepopu la tion zu erhalten.
Jedoch, im Geist des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union*, insbesondere auf Artikel 13, die anerkennt, dass Tiere fühlende Wesen sind, Kommissar Borg hat die rumänische Gesundheitsminister erinnert die kritische Rolle der zuständigen nationalen Behörden bei der Gewährleistung der vollständigen Einhaltung mit den oben genannten OIE Empfehlungen zu streunenden Hund Bevölkerungskontrolle. Der Brief wurde auch auf Kommissar Borg Webseite veröffentlich: [ec.europa.eu] 2010-2014/borg/«
Was denn nun? Nutzt Rumänien EU-Gelder, um die Überpopulation von Straßentieren in den Griff zu bekommen oder ist das Wohl streunender Tiere nicht im Zuständigkeitsbereich von EU-Regelungen? Was gilt denn? Und wie soll man den Satz verstehen, eine Tötung, sofern erforderlich, sollte auf humane Weise erfolgen »und dass dies allein keine nachhaltige Strategie darstellt«. Mit den parallelen Konzepten zur Kontrolle der Population streunender Hunde klappt es schon gut, nur mit der Grammatik, der Syntax und der Logik hapert es noch ein wenig. Jetzt warte ich nur noch, ob ich mein Europa-Buch in Coburg vorstellen darf. Meine Honorarforderungen habe ich auf eine Packung Chappi Vollkostbrocken mit Truthahn reduziert.
Dieser Text entstammt dem neuen Buch von Henryk M. Broder: „Rettet Europa! Noch mehr Gründe, Europa gegen die EU zu verteidigen“.