Gegenüber den durch die unterlassene rechtzeitige Gläubigerbeteiligung wenigstens des Nachrangs entstandenen Schäden im Bereich der o.a. 1,8 Milliarden Euro liegt der im Mai 2014 in Frage stehende mögliche Verlust durch die Beendigung des Verkaufsprozesses um den Faktor zehn niedriger. Am 14 Mai 2014 entschied die Bundesregierung, das bislang höchste Angebot für die Bank von 320 Millionen Euro abzulehnen. Die HRE Gruppe, selbst, hatte laut Presseberichten den Barwert einer Abwicklung in Eigenregie auf lediglich 144 Millionen Euro geschätzt. Warum könnte die Abwicklung in Eigenregie trotzdem günstiger sein?
Zunächst impliziert auch ein Verkauf der Depfa an Finanzinvestoren aus heutiger Sicht wahrscheinlich Abwicklung - mit einem gewissen Zeitabstand, um die Zustimmung des irischen Regulierers zur Übernahme nicht zu gefährden. Das Staatskreditmodell der Depfa ist faktisch tot: es wird durch den Leverage Ratio - per 2018 muss das Eigenkapital mindestens 3% der Bilanzsumme einer Bank betragen - bedroht, das Einpacken von Bonds in Pfandbriefe verspricht nur noch niedrige Margen und auch die irische Aufsicht legt inzwischen Wert auf geringere Fristentransformationsrisiken. Zudem verlor die Bank 2013 einen Teil des Servicingauftrags mit FMS Wertmanagement sowie durch EU-Auflage deren Finanzierung und damit Möglichkeiten der Kreuzsubventionierung ihrer hohen Fixkosten.
Entscheidend für die Bewertung der Handlungsalternativen sind demnach die verbliebenen Aktivarisiken, die Möglichkeiten der Hebung stiller Reserven vor allem auf der Passivseite, die Finanzierungskosten einer Abwicklung, und die operativen Kosten. Über diesen Faktoren schwebt der Zeitraum bis zur Abwicklung als zentrale Determinante des Barwertes. Dieser könnte bei Eigenregie des Bundes aufgrund der geringeren Kapitalkosten deutlich länger ausfallen als beim Verkauf an einen privaten Investor.
Die Aktivarisiken der Depfa Bank wurden durch die Übertragungen des Jahres 2010 begrenzt, könnten aber immer noch erheblich sein. Das Portfolio ist neben Deutschland in Italien, Spanien, Frankreich, Niederlande, Österreich und USA konzentriert. Zwar haben sich die Ratings und Marktpreise für die Peripherieschuldner insgesamt verbessert. Zwei Drittel der Kredite und Bonds der Depfa ACS sind aber an Regionalregierungen und an öffentliche Unternehmen vergeben, vgl Abbildung 7. Die impliziten Staatsgarantien dieser Kreditnehmer durch den Zentralstaat sind in der Krise zwar bisher stets realisiert worden, sind jedoch rechtlich keineswegs sicher. Fraglich ist deshalb, ob die Ratings bei einigen dieser Kreditnehmer- die Ratingagenturen haben in der Vergangenheit implizite Staatsgarantien bei diesen Kreditnehmern stets hoch bewertet -, nicht überhöht sind.
Die Cash Flows der Deckungsaktiva könnten ebenfalls risikobehaftet sein. Ein Teil der öffentlichen Finanzierungen scheinen extrem langfristig und vorfällig kündbar zu sein. Es ist auch unklar, ob die nicht auf Sicherung ausgerichteten Derivate der Boomjahre der 2000er abgearbeitet und die bestehenden Positionen tatsächlich nur noch auf das Micro-Hedging von Zins- und Währungsrisiken der Deckungsstöcke ausgerichtet sind. Im Geschäftsbericht von 2013 werden etwa bei der Gruppe noch 6 Milliarde Euro an „stand-alone“-Derivativen aufgeführt.
Das von der HRE Gruppe nach einem Pressebericht für einen Verkauf vorgebrachte Argument von Bewertungsschwankungen der Aktiva ist vor diesem Hintergrund nachvollziehbar. Diese betreffen aber beide Seiten – Bund und private Käufer – und sollten in den Angebotspreisen beziehungsweise vorgeschlagenen Nebenabreden widergespiegelt sein. Die im Verkaufsprozess bereits ausgehandelten Bewertungen sollen laut einer Mitteilung der Depfa bei Abwicklung in Eigenregie übernommen werden, um eine möglicherweise teure Neubewertung durch Wirtschaftsprüfer bei dem dann wahrscheinlichen Asset Deal mit der FMS Wertmanagement zu vermeiden.
Ausschlaggebend für die Abwicklung in Eigenregie könnte deshalb vor allem die einfachere Hebung stiller Reserven auf der Passivseite sein und hier vor allem beim Hybridkapital. Diese Position hat ein ausstehendes Volumen von 1,13 Milliarden Euro und wird bis zur Abwicklung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr mit Zinscoupons bedient. Folglich bestimmt wie bei jedem Zero Coupon Bond der zeitliche Abstand bis zur Abwicklung der Bank und Rückzahlung zu pari ihren Wert. Ein potentieller Käufer hatte den Investoren bereits ein Rückkaufangebot um die 60c/Euro in Aussicht gestellt. Ebenso stützend wirkte der allgemein größere Zeitdruck eines privaten Käufers bis zur Abwicklung im Vergleich zum Bund, sowie im alternativen Fall der Nichtabwicklung sein Interesse am Wiederaufleben von Dividendenzahlungen. Das Ergebnis des Abbruchs des Verkaufs war folglich ein hoher Kursverlust der Hybride im Bereich von 10-15c/Euro in wenigen Tagen, oder bezogen auf den Nennwert 113 bis 165 Millionen Euro, der der Handlungsalternative Abwicklung in Eigenregie zuzuschreiben ist. Der Bund könnte auf dieser Basis einen erneuten Rückkaufversuch starten, diesmal erfolgversprechender mit dem Druckmittel der Verzögerung der Abwicklung, und damit höhere Gewinne als ein privater Investor heben.
Stützend für die Entscheidung Eigenregie ist auch der Kurssprung der Pfandbriefe der Depfa-Hypothekenbankentöchter in Reaktion auf den Stopp des Verkaufs seit Anfang Mai, der eine Senkung der Finanzierungskosten im Bereich mittleren Laufzeitbereich von 100 Basispunkten anzeigt. Laut Stress Test gewinnt etwa die Depfa ACS bei Zinssenkung (Parallelverschiebung der Zinsstrukturkurve) von 100 Basispunkten um 50 Millionen an Barwert. Die bestehenden Inkongruenzen sind nach Angaben der ACS zwar klein, können aber nun günstiger finanziert werden. Einer der stützenden Faktoren für die Pfandbriefkurse ist die mit der Nichtveräußerung weniger wahrscheinlich gewordene private Abwicklung der Hypothekenbankentöchter beziehungsweise Pfandbriefdeckungen. Derartige Abwicklungen wurden in der Praxis bisher in Europa stets durch den Staat durchgeführt, eine private Abwicklung unter der darin unerfahrenen irischen Aufsicht wäre ein Novum.
Die wahrscheinlich deutlichen Differenzen der Finanzierungskosten zwischen privaten Investoren und dem Bund verbessern auch die Finanzierung der übrigen Aktiva außerhalb der Pfandbriefdeckungen. Auch entfällt beim einem neuerlichen Asset Deal der Depfa Bank mit FMS Wertmanagement der bei einem Share Deal treibende Faktor einer hohen Eigenkapitalrendite. Möglicherweise war diese der treibende Faktor hinter dem niedrigen Barwert, den die HRE-Gruppe für den Abwicklungsfall angibt.
Operative Fragen der Abwicklung sind schließlich zu bewerten und gegenzurechnen. Dazu gehören mögliche IT-Investitionskosten und Personalkosten, die Frage der Integration unter dem Dach der FMS Wertmanagement sowie der Zeitraum der Abwicklung. Die FMS Wertmanagement hat seit Oktober 2013 eine eigene Servicinggesellschaft aufgebaut, um die bisher von der Deutschen Pfandbriefbank PBB und von Depfa Bank plc per Servicingvertrag bearbeiteten Exposures in Zukunft selbst bearbeiten zu können. Jedoch sind die IT-Plattformen der Depfa und FMS nicht vollständig kompatibel. Inwieweit die Risiken sehr langfristiger Servicingkosten bei sehr langfristigen Aktiva tatsächlich auf den privaten Käufer per Vertrag abgewälzt werden können ist fraglich. Es ist auch deshalb kaum anzunehmen, dass die im irischen ACS-Gesetz sowie im deutschen Pfandbriefgesetz angelegte Abwicklung durch Treuhänder ohne staatliche Stützungen auskommen würde. Dafür ist die Existenz der FMS Wertmanagement selbst der beste Beleg.
Als Fazit bleibt festzuhalten, dass eine echte Übertragung der „Tail-Risiken“ bei Servicingkosten und Aktivawerten auf private Käufer fraglich ist und die sonstigen Risiken im Angebotspreis reflektiert sein sollten. Zudem baut der Bund eigene Bad-Bank-Servicingkapazitäten auf, das heißt, FMS Wertmanagement wird wahrscheinlich zur Dauereinrichtung. Unter diesen Umständen erscheint aufgrund der besseren Finanzierungsbedingungen und des Hebungspotentials der stillen Reserven eine Höherbewertung bei Abwicklung in Eigenregie über den gebotenen letzten Kaufpreis im niedrigen dreistelligen Millionenbereich plausibel.
Wo die möglichen Gewinne der Abwicklung in Eigenregie anfallen ist eine problematischere Frage, denn die Zahlung eines höheren Kaufpreises an die HRE Gruppe durch die FMS Wertmanagement in einem Share Deal könnte als verbotene Beihilfe des Bundes interpretiert werden. Bei einem Asset Deal, dh. eine „Nachbefüllung“ der FMS Wertmanagement durch die Depfa Bank zu den bereits mit den privaten Investoren vereinbarten Werten, verbliebe die HRE Gruppe hingegen mit einem wenig attraktiven Rumpfinvestment. Dies wirft Fragen nach der optimalen Privatisierungsstrategie für die verbliebenen Teile der HRE-Gruppe auf.
Bisher erschienen:
Teil 1: Der Auslöser der Finanzkrise: Die Rettung der Depfa-Bank
Der Fall der Depfa Bank ist der Schlüssel für das größte deutsche Bank-Desaster aller Zeiten. Die Bank refinanzierte langfristige Kredite mit kurzfristigen Anleihen. Mit dem Austrocknen der Kreditmärkte mit Beginn der Finanzkrise scheiterte dieses System zwangsläufig. Die Hypo Real Estate, der die Depfa gehörte, stand über Nacht vor dem Abgrund. Diese Entwicklung machte die Finanzkrise und vor allem ihren deutschen Teil besonders kostspielig.
Teil2: Das Irland-Abenteuer der Depfa Bank
Depfa wird nach Irland ausgelagert und geht zu risikoreichen Finanzierungen über. Mit den geringsten Margen erzielt die Bank im Staatskreditgeschäft die höchste Eigenkapitalrendite. 2007 schließt sich Depfa mit dem Hypo Real Estate zusammen. Warum die deutsche Aufsicht den Kauf durch die HRE-Gruppe zustimmte und selbst nach Ausbruch der Krise nicht unterband, bleibt rätselhaft.
Teil 3: Depfa: Stures Festhalten am Bad-Bank-Gesetz kostete dem Steuerzahler Milliarden
Das Depfa-Debakel kostet den deutschen Steuerzahler wohl einen hohen einstelligen Milliardenbetrag. Darunter sind zwei Milliarden Euro, die der Bund dem Steuerzahler hätte ersparen können. Irland hatte dazu 2011 über sein neues Bankenabwicklungsrecht die Möglichkeiten geschaffen. Doch man hielt stur am unzureichenden deutschen Bad-Bank-Gesetzes, das nur die Eigentümer der Banken belastet, fest.
Dieser Text ist der vierte Teil einer fünfteiligen Serie. Lesen Sie im letzten Teil:
Teil 5: Depfa: Hoher Schaden durch indirekte Verstaatlichung
Der hohe Schaden für den Steuerzahler aus der indirekten Verstaatlichung der irischen Depfa entstand vor allem durch den politischen Widerstand gegen Abwicklung und Gläubigerbeteiligung in Deutschland. Durch das starre Festhalten an der einmal beschlossenen Bankenrettungsstrategie wurden nebenbei auch bei einer Privatbank die Rettungskosten für den Steuerzahler maximiert.
Hans-Joachim Dübel ist Gründer und Leiter der Finanzberatungs-Firma Finpolconsult. Zuvor war er von 1998 bis 2000 Finanz-Analyst bei der Weltbank. Er gilt als einer der angesehensten Experten in Fragen der Banken-Rettung und hat in dieser Frage zahlreiche internationale Organisationen beraten. Er hat in den vergangenen Jahren mehrere Arbeitspapiere zur Banken-Krise erstellt. Sein aktuelles Arbeitspapier „The Capital Structure of Banks and Practice of Bank Restructuring“ wurde im Juni-Monatsbericht des Bundesfinanzministeriums berücksichtigt.