Vor der Öffentlichkeit in der EU bewusst geheimgehalten, verhandelt die EU mit Kanada derzeit über ein Freihandelsabkommen, das zum Vorbild für das ebenfalls verhandelte „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP) werden wird. Im TTIP sind es vor allem die großen US-Unternehmen, die sich einen gerichtsfreien Raum für Schadensersatzansprüche gegen Regierungen in der EU sichern wollen.
Das schon seit fünf Jahren mit Kanada geheim verhandelte „Comprehensive Economic and Trade Agreement“ (CETA) ist nun fast fertig, aber der Öffentlichkeit noch immer nicht in vollem Umfang bekannt. Auch die Abgeordneten des Bundestags hatten bis vor einem Monat keinen Zugang (Lobbyisten aber schon). Das Bundeswirtschaftsministerium lehnt Informationsfreiheits-Anfragen grundsätzlich ab, weil ein Bekanntwerden „nachteilige Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen“ haben könnte. Vor einem Monat war das das Hauptdokument bekanntgeworden. Das waren aber „nur“ knapp über 500 Seiten, während das CETA alles in allem mit 19 Dokumenten 1.602 Seiten lang ist.
Darin enthalten sind die Regeln über ein Investor-Staat-Schiedsverfahren. Ein in einem solchen gerichtsfreien Verfahren ergehender Schiedsspruch muss von beiden Seiten und also auch von Deutschland wie ein letztinstanzliches Urteil, das durch deutsche Gerichte ergangen ist, umgesetzt werden. Seit 2009 steht der EU für bilaterale Investitionsabkommen und Investitionsschutzabkommen die alleinige Kompetenz zu. Deutschland ist also betroffen, kann aber nicht selbst verhandeln. Am 26. Oktober treffen sich die Verhandlungsparteien im kanadischen Ottawa und könnten den finalen Vertragstext dort frühestens annehmen. Erst danach bekommen die Parlamente den fertigen Text, den sie entweder annehmen oder ablehnen können. Eine weitere Mitwirkung ist nicht vorgesehen. Dabei muss CETA als „Beta-Version“ für das viel wichtigere TTIP mit den USA betrachtet werden. Was in CETA steht, lässt sich in TTIP schlecht verhindern.
Nach den mit Kanada und den USA von der EU vorgesehenen Investment-Schutzklauseln können sich in EU-Staaten investierende Unternehmen unbegrenzt an den Staaten schadlos halten, wenn sie behaupten können, dass ihre Investments durch falsche Behörden-Entscheidungen, neue Gesetze oder lästige Bürgerinitiativen an Wert verloren haben. Das wird dann nicht vor den Gerichten des Staates verhandelt, sondern im Hinterzimmer von eigens vorgesehenen Schiedsgerichten, gegen die es keine Rechtsmittel gibt, entschieden. Deren Sprüche sind in der Vergangenheit oft einseitig zugunsten der Businessinteressen gefallen. So können wichtige staatliche Gesetze zum Schutz der Gemeinschaftsinteressen in Deutschland und anderen Ländern unterminiert werden. Außerdem wird in dem Abkommen ein „Regulierungsrat“ eingesetzt, der künftig bei neuen Umwelt- oder Sozialvorschriften mitreden darf.
Schon die wuchernden bilateralen Investmentschutzabkommen haben die Nachteile und Gefahren gezeigt und am Ende zu erheblichem Widerstand in der Bevölkerung geführt. Betroffen waren vor allem Länder Lateinamerikas, die zu hohen Zahlungen verurteilt wurden, nachdem sie Umweltschutzvorschriften erlassen hatten. Aber auch Deutschland musste sich mit Vattenfall vor den Gerichten auseinander setzen, nachdem die Stadt Hamburg dem Unternehmen auferlegt hatte, beim Kohlekraftwerk Moorburg die verschärften Standards für die Wasserqualität entlang der Elbe zu befolgen.
Weil dies angeblich die Wirtschaftlichkeit des Projekts beeinträchtigte, verlangte Vattenfall 2010 von der Bundesregierung unter Berufung auf die Investitionsschutzklausel der von Deutschland unterzeichneten Energie Charta 4,1 Milliarden Euro an Schadensersatz. Der Ausgang des Verfahrens wurde geheim gehalten, doch betrachtete das Unternehmen nach Insidern den Ausgang als einen vollen Erfolg, weil die Stadt Hamburg unter dem Druck des Schiedsverfahrens die Umweltbedingungen nachträglich aufweichte und vor allem einen umstrittenen Kühlturm genehmigte. Außerdem betreibt Vattenfall vor einem Schiedsgericht eine Klage gegen die Aufkündigung des Atomkonsenses im Rahmen des Atomausstiegs nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima. Diese Schiedsklage betrifft die Frage, ob die Bundesrepublik das Gebot des „Fair and Equitable Treatment“ verletzt hat, indem sie den Atomkonsens aufgekündigt hat.
Nach allen diesen Erfahrungen verlangen die Kritiker von CETA und TTIP, auf Vorschriften über Investor-Staat-Schiedsverfahren zu verzichten und die Regelung von Ersatzansprüchen der Investoren der normalen Gerichtsbarkeit zu überlassen. Für den anstehenden Parteikonvent der SPD hatte Parteichef Sigmar Gabriel einen Kompromissantrag erarbeiten lassen, in dem ein kritischer Diskussionsprozess in der Partei vorgeschlagen wird. Der SPD-Chef wollte so auch verhindern, dass die Genossen sich vorschnell gegen das Freihandelsabkommen aussprechen. Außerdem ließ Gabriel zwischen seinem Ministerium und dem DGB ein Papier erarbeiten, das dann bei dem Parteikonvent am 20. September angenommen wurde. Es lehnt zwar Investor-Staat-Schiedsverfahren ab, verlangt dann aber eindeutigere Definitionen und verweist auf die in den schon existierenden Investitionsschutzabkommen vorgesehenen Investor-Staat-Schiedsverfahren (als brächte das TTIP in dieser Hinsicht nichts Neues) und setzt sich im Übrigen für die von der EU-Kommission beschlossenen öffentlichen Konsultationen ein:
„Prinzipiell ist auszuschließen, dass das demokratische Recht, Regelungen zum Schutz von Gemeinwohlzielen zu schaffen, gefährdet, ausgehebelt oder umgangen wird oder dass ein Marktzugang, der solchen Regeln widerspricht, einklagbar wird. Die Fähigkeit von Parlamenten und Regierungen, Gesetze und Regeln zum Schutz und im Sinne der Bürgerinnen und Bürger zu erlassen, darf auch nicht durch die Schaffung eines ,Regulierungsrates‘ im Kontext regulatorischer Kooperation oder durch weitgehende Investitionsschutzvorschriften erschwert werden. Investitionsschutzvorschriften sind in einem Abkommen zwischen den USA und der EU grundsätzlich nicht erforderlich und sollten nicht mit TTIP eingeführt werden. In jedem Fall sind Investor-Staat-Schiedsverfahren und unklare Definitionen von Rechtsbergriffen, wie „Faire und Gerechte Behandlung“ oder „Indirekte Enteignung“ abzulehnen. Die Europäische Kommission hat nun ein Verhandlungsmoratorium zum Investitionsschutz beschlossen und eine dreimonatige Öffentliche Konsultation zu 3 dieser Frage ab März 2014 eingeleitet. Das Verhandlungsmoratorium ist zu begrüßen, zumal es eine grundsätzliche öffentliche Debatte über Investitionsschutz erlaubt. Probleme - wie die Einschränkung staatlicher Regulierungsfähigkeit und die Gefahr hoher Entschädigungs- und Prozesskosten für Staaten, wegen privater Klagen gegen legitime Gesetze - existieren schließlich auch schon aufgrund existierender Investitionsschutzabkommen.“
Interessanterweise wird das Kanada-Abkommen in dem Papier mit keinem Wort erwähnt. Wenn das erst einmal gelaufen ist, wird das Investor-Staat-Schiedsverfahren im TTIP zum Selbstläufer werden. Was Gabriel hier betreibt, ist ohnehin nur eine Hinhaltetaktik gegenüber den Kritikern. Gabriel weiß genau, dass die USA das TTIP ohne das Investor-Staat-Schiedsverfahren nicht abschließen wird. Für diesen Fall hat sich Gabriel absichtsvoll nicht festgelegt. Wirtschaftsverbände und Bundesregierung haben schon bisher für das TTIP das Blaue von Himmel herunter versprochen: 400.000 neue Arbeitsplätze allein in Europa, davon 100.000 in Deutschland und ein Plus von 0,5 Prozent an jährlicher Wirtschaftsleistung. So heißt es denn auch in Gabriels neuem Papier mit dem DGB:
„Handelsgespräche zwischen den großen Wirtschaftsräumen USA und EU, die in ein Freihandelsabkommen münden, eröffnen die Chance die bilateralen Handelsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und nachhaltiger zu gestalten. Es geht darum, zusätzlichen Wohlstand tatsächlich breiten Bevölkerungsschichten zukommen zu lassen, wirtschaftliche, soziale und ökologische Standards zu verbessern, sowie faire Wettbewerbs- und gute Arbeitsbedingungen zu schaffen.“
Der Hinweis auf zusätzlichen Wohlstand für „tatsächlich breite Bevölkerungsschichten“ ist nach allen Erfahrungen mit solchen Abkommen nichts anderes als eine Lüge.
Und bleiben die USA (und schon Kanada zuvor) hart in ihrem Verlangen nach einem Investor-Staat-Schiedsverfahren, so werden Bundesregierung und Gabriel einknicken. Das ist noch sicherer als das Amen in der Kirche.