Politik

„Wir sollten aus der Kriegs-Propaganda und der Gewalt-Spirale aussteigen“

Lesezeit: 7 min
11.10.2014 03:09
Der Schweizer Nato-Experte Daniele Ganser fordert einen Ausstieg aus den globalen Wirtschaftskriegen. Keine der mit militärischen geführten Konflikte könne zu einem Erfolg führen. Die Wirtschaft profitiere von Innovationen und nicht von Zerstörung.
„Wir sollten aus der Kriegs-Propaganda und der Gewalt-Spirale aussteigen“

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Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Versucht Russland durch den Bau der North- und Southstream-Pipelines die stetig instabiler werdende Ukraine als Transitland zu umgehen?

Daniele Ganser: Das ist richtig. Russland möchte nicht nur auf die Ukraine als Transitland angewiesen sein und hat deshalb diese beiden Pipelines geplant. So könnte Russland Deutschland über die Norsthtream-Pipeline direkt beliefern, wenn die Ukraine nach einem Lieferstopp das Weiterleiten des Erdgases verhindert. Die Ukraine ist selber angewiesen auf Importe durch Gazprom und die bezahlen sie zum Teil nicht. Und dann stellt Gazprom den Teil der Lieferung ein, der für die Ukraine bestimmt ist, aber braucht das Land gleichzeitig als Transitland, um das Erdgas nach Europa zu leiten. Und dann passiert immer das gleiche: Die Ukraine behält immer den Teil zurück, den sie weiterleiten soll. Nun denken aber viele Leute, man braucht angesichts der Northstream-Pipeline die Ukraine als Transitland nicht mehr. Das stimmt so nicht. Man muss verstehen, dass die Menge zu klein ist, die durch die Northstream geleitet werden kann. Die EU braucht etwa 120 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr und die Northstream kann nur 55 Milliarden Kubikmeter transportieren. Und solange die Southstream nicht fertig ist, ist die Ukraine nach wie vor das wichtigste Transitland.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Der Bau der Southstream-Pipeline steht jedoch zurzeit auf der Kippe. Massive Korruption in Bulgarien verteuert das Projekt. Zudem scheint die EU Druck auf Bulgarien und Rumänien auszuüben, um das Projekt zu verhindern. Wie sehen Sie die Lage?

Daniele Ganser: Die Southstream verläuft vom russischen Territorium südlich der Krim durch das Schwarze Meer und dann wird sie bei Bulgarien aus dem Wasser wieder an Land weitergeführt. Und ohne Bulgarien geht das nicht. Man könnte sie dann alternativ durch Rumänien ziehen, aber man braucht eines der beiden Länder. Eine Alternative zu Southstream für die Russen, ist einen Deal mit den Chinesen auszuhandeln, was sie jetzt auch gemacht haben. Sie haben entschieden, dass sie Pipelines bauen, um Erdgas auch nach China zu exportieren. Die Russen wollen 38 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr nach China liefern, aber das erst ab 2018.

Auch vor diesem Hintergrund verstehe ich den Ukraine-Konflikt nicht und was er Europa und Deutschland bringen soll. Meiner Meinung nach sind unter den treibenden Kräften, die den Konflikt anheizen, die Amerikaner, prominent dort Victoria Nuland, die durch ihr Zitat „Fuck the EU“ bekannt ist. Die EU-28 ist gespalten: Die Polen zum Beispiel sind ein treibender Konfliktteilnehmer. Mir scheint, dass die Franzosen und die Deutschen den Konflikt mit Russland nicht wollen und das sie wissen, dass man dann am Schluss nur verliert. Wenn die Russen das Erdgas nach China liefern, dann trifft es die USA nicht so hart und Europa dagegen viel härter. Der Sturz der Regierung von Janukowitsch im Februar 2014 ist eine undurchsichtige Sache, welche die Geschichtsschreibung noch lange beschäftigen wird. Scharfschützen haben damals das Land gezielt destabilisiert und Chaos erzeugt.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Rolle spielt China im weltweiten Verteilungskampf um Ressourcen?

Daniele Ganser: China ist natürlich ein Netto-Importeur von Öl und Gas, genau wie die EU, die USA und Japan. Diese vier Wirtschaftsregionen spielen – gemessen am BIP – eine entscheidende Rolle im globalen Wirtschaftsspiel und diese vier sind alle angewiesen auf Importe von Öl und Gas. Die Chinesen treten dabei natürlich in Konkurrenz zu den Europäern, Amerikanern und auch zu den Japanern. Mit Japan sieht man es im südchinesischen Meer. Dort hat China auch Konflikte mit den Philippinen und Vietnam, das sind also so etwas wie ostasiatische Kämpfe um Ressourcen. Das sind zwar keine Kriege um Öl und Gas wie der Irakkrieg 2003 mit vielen Toten, aber es sind schon ernsthafte Konflikte, wo sich die Konfliktparteien mit Schiffen und Wasserwerfern bekämpfen oder künstliche Inseln aufschütten und Bohrplattformen in umstrittenen Gewässern aufstellen. Das sind also strategische Scharmützel. In Kanada oder Afrika dagegen gehen die Chinesen rein und erkaufen sich den Zugang zu Ressourcen über Lizenzen. Im Sudan bauen sie sogar wenig zimperlich gleich eine Ölraffinerie und eine Pipeline hin. Und in Afrika berühren die Chinesen dann natürlich auch US-Interessen. Und wenn die Chinesen und die Amerikaner aufeinander treffen – wie zum Beispiel im Sudan oder in Nigeria – dann wird es immer etwas delikat.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die ressourcenreichsten Länder Afrikas - wie beispielsweise Libyen, Mali, Nigeria und der Sudan - sind alle politisch instabil. Ist die Destabilisierung teilweise von den großen Wirtschaftsmächten beabsichtigt oder zumindest geduldet?

Daniele Ganser: Da spielen sicher westliche Interessen, aber auch chinesische Interessen eine Rolle. Ich weiß nicht, ob auch die Japaner in Afrika eigene Interessen verfolgen. Klar ist: Die Netto-Importeure haben ein Interesse an einem gesicherten Zugriff auf Rohstoffe. Deshalb müssen diese Stellvertreter-Kriege kritisch durchleuchtet werden. Es wird einfach so dargestellt, dass man sagt, man muss jetzt nach Nigeria Spezialeinheiten schicken, weil dort die Terrorgruppe Boko Haram Hunderte Mädchen entführt hat. So kann man es der Bevölkerung verkaufen und da sagt jeder gleich: „Okay, ab in den Krieg!“. Aber das ist ein bisschen platt, denn strategisch läuft dort meiner Meinung nach etwas völlig anderes. Es läuft der Zugriff auf Öl und Gas in Nigeria, genau wie im Sudan und Libyen.

Aber die Propaganda läuft auf Hochtouren. Nur so kann man es Leuten auf der Straße verkaufen. Wenn man von Erdölbeutezügen sprechen würde, dann käme sofort die Frage auf: „Auf der Basis welcher Rechtsgrundlage tun wir das? Ist das vielleicht sogar das Öl und Gas, dass bei uns im Keller ist? Und gibt es nicht die Möglichkeit, das mit Holz, Wind oder Sonnenenergie zu ersetzen?“. Das wäre dann ein ganz anderer Diskurs und der wird nicht geführt. Stattdessen haben wir diese Geschichten, dass der Islamische Staat oder Boko Haram oder Putin bekämpft werden müssen. Das sind die Inkarnationen des Bösen und der Westen kämpft immer auf der Seite der Guten. Wenn sie das jedoch aus der Vogelperspektive betrachten, dann werden sie sehen, dass das gar nicht stimmen kann. Denn der Westen hat schon immer strategische Interessen wahrgenommen. Das heißt nicht, das man bei jedem Konflikt immer eine solche Dimension findet. Aber das große Muster ist für mich klar: Wir stecken mitten in den Wirtschaftskriegen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Unter dem Deckmantel des internationalen Kampfes gegen den Islamischen Staat (IS) gerät auch Syrien wieder ins Fadenkreuz. Hat auch dieser Konflikt eine energiepolitische Seite?

Daniele Ganser: Es ist tatsächlich so, dass auch Syrien ein wichtiges Transitland ist, so wie die Ukraine. Bei Syrien geht es darum, ob Katar oder Saudi Arabien ihr Erdöl und Erdgas durchleiten können oder aber ob der Iran Syrien als Exporthafen nutzen kann. Für uns Europäer mag das egal sein, aber für die Leute vor Ort ist das nicht egal. Die Iraner haben einen Vertrag mit Assad unterzeichnet, das sie den Zuschlag bekommen und ihr Erdgas über Syrien exportieren können. Es soll eine Pipeline vom Iran über den Irak nach Syrien führen. Teilweise ist diese schon gebaut, andere Teile befinden sich wiederum noch in der Planung. Dann hätte der Iran in Syrien allerdings einen sehr großen Einfluss, und das wollen Katar und Saudi Arabien nicht. Man sieht sehr deutlich, dass beide am Sturz von Assad interessiert sind und daran arbeiten, während der Iran das verhindern will.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Rolle spielen die USA dabei?

Die Rolle der USA und des Westens ist dabei unklar. Erst bombadiert er den Irak und entlässt die ganze Armee von Saddam Hussein, das sind in erster Linie Sunniten. Ein Teil dieser Sunniten ist jetzt im Islamischen Staat aktiv. Und die sind gewalttätig, das ist wirklich ein Problem. Es ist natürlich völlig falsch Leute zu köpfen und zu enthaupten. Das lehnt die Friedensforschung ab und ich bin stark in der Friedensforschung engagiert. Aber wenn man mal von dieser emotionalen Ebene wegkommt und die Sache strategisch anschaut, dann wird man sehen, dass der IS der neue Vorwand ist, um den Nahen Osten - und speziell Syrien - zu bombardieren und Assad zu stürzen.

Obama sagt, er wolle Syrien bombadieren, um die IS auszuschalten. Aber gemäss UNO Charta dürfen die USA Syrien nicht bombardieren, ohne Resolution des Sicherheitsrates, und die liegt nicht vor. Es ist einfach illegal andere Länder zu bombardieren. Die USA wollen in Syrien keine Bodentruppen einsetzen, sondern wieder Rebellen wie die Freie Syrische Armee aufrüsten und trainieren, diese sollen dann Assad stürzen und die IS besiegen. Das ganze ist ein Tanz auf dem Vulkan. Es ist sehr schwer zu vermeiden, dass nicht wieder die falschen Leute die Waffen bekommen. Dieses Terrormanagement des Westens ist kompliziert und ich glaube, dass man hier Schiffbruch erleiden wird. Sollte es den USA gelingen Assad zu stürzen, wird Syrien im Chaos versinken. Das ist mit Libyen vergleichbar. Damals hat man gesagt: „Wir töten Gaddhafi, erbeuten das Erdöl und danach ist es eine stabile Situation.“ Aber das Land ist überhaupt nicht stabil. Libyen ist ein einziges Chaos. Was man also zurücklässt sind kaputte Staaten, die den Leuten im Land keine Sicherheit mehr bieten können und so unkontrollierbare Flüchtlingsströme auslösen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Alternativen sehen Sie, um die Konflikte um die Rohstoffe der Welt in Zukunft friedlicher zu lösen?

Daniele Ganser: Ich bin Befürworter der Energiewende, dass man also aus Kohle, Öl, Gas und Atomenergie aussteigt, und zwar weil sich in diesen vier nicht erneuerbaren Energien die Probleme immer mehr akzentuieren werden. Über Öl- und Gaskriege haben wir schon gesprochen. Wir werden auch wieder Atomunfälle haben. Ich glaube nicht, dass Fukushima der letzte Unfall war, denn es ist nur eines von 440 Atomkraftwerken weltweit. Kohle, Öl und Gas verstärken zudem den Klimawandel, auch wieder ein riesiges Themengebiet. Man kann also sagen: Diese vier können es nicht sein, sonst werden wir uns mit einer Kombination aus Ressourcenkriegen, Klimawandel und radioaktiv belasteten Gebieten konfrontiert sehen. Und das wollen wir ja nicht.

Ich denke, dass wir aus der Kriegspropaganda und der Gewaltspirale aussteigen sollten, und dass wir auf erneuerbare Energien und Energieeffizienz setzen sollten. Wir können heute Häuser bauen, die unter dem Strich mehr Energie produzieren, als sie brauchen. Man kann Solarenergie, Geothermie, Windenergie, Holzenergie und Wasserkraft nutzen. Man kann auch Biomasse nutzen, wenn man nicht in die Nahrungsmittelkette eingreift. Diese alternative Energieerzeugung wird immer wichtiger und das ist Deutschland weltweit in einer Spitzenposition und hat auch viel Gutes getan, indem man den Preis der Photovoltaik runtergeholt hat. Das ist auch das, was ich persönlich mache: Ich habe bei mir die Erdgasheizung rausgenommen und habe Solarthermie und Photovoltaik aufs Dach gemacht. Dazu Erdwärmepumpe und alles gut isoliert. Mein Haus produziert jetzt mehr Energie als es braucht. Denn ich bin schwer davon überzeugt, dass uns diese Themen noch lange beschäftigen werden.

Lesen Sie hier den ersten Teil des Interviews über die neue Aufgabe der Nato und den globale Energie-Krieg.

***

Daniele Ganser , geboren 1972 in Lugano in der Schweiz, ist Historiker und Friedensforscher spezialisiert auf Energiefragen, Wirtschaftsgeschichte, Geostrategie und internationale Zeitgeschichte seit 1945. Er ist Gründer und Inhaber des Swiss Institute for Peace and Energy Research (SIPER). Er studierte ab 1992 Geschichte und Internationale Beziehungen an der Universität Basel, an der Amsterdam University (UVA) und an der London School of Economics and Political Science (LSE).

Sein aktuelles Buch „Europa im Erdölrausch – Die Folgen einer gefährlichen Abhängigkeit“ erschien im September 2012. Ganser legt die erste Gesamtdarstellung zu Europas Erdöl-Abhängigkeit vor. Er schildert die Hintergründe des andauernden, blutigen Kampfs ums Erdöl bis hin zu den jüngsten Kriegen im Irak und in Libyen. Für heiße Diskussionen werden auch seine Szenarien zur energiepolitischen Zukunft sorgen: Spitzt sich der globale Kampf ums Erdöl zu? Gelingt den Europäern die Wende hin zu 100 Prozent erneuerbaren Energien?


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