Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit verliert immer mehr den Blick für die Realität. Trotz heftiger Kritik von allen Seiten verteidigte der SPD-Politiker am Montag im Berliner Abgeordnetenhaus seinen Entschluss aus dem Jahr 2012, seinen damaligen Kulturstaatssekretär Andre Schmitz trotz Steuerbetrugs nicht zu entlassen.
Wowereit sagte, er sei in der zweiten Jahreshälfte 2012 von Schmitz informiert worden, dass gegen ihn wegen eines Kontos in der Schweiz ermittelt werde. Ermittlungen seien aber "kein Schuldspruch". Dies gelte auch für die Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldauflage Ende 2012. Wowereits krude Logik: Bei Schmitz habe letztlich keine dienstliche Verletzung, sondern eine private Verfehlung vorgelegen.
Wowereit unterstrich, Verstöße gegen das Steuerrecht seien keine Kavaliersdelikte und würden vom Land Berlin konsequent verfolgt. Den Vorwurf der Opposition, mit zweierlei Maß zu messen, wies der Bürgermeister zurück. Auch bei anderen Beamten in vergleichbaren Fällen wäre es nicht zu einem Disziplinarverfahren gekommen.
Dass Wowereit nicht zurücktreten will, könnte man ja noch verstehen: Dass er aber nun aus einem offenkundigen Skandal noch einen Modellfall machen möchte, ist schon bemerkenswert. Wowereit vertritt offenkundig die Auffassung, dass der Staat für den Beamten da sei und nicht der Beamte für den Staat. Was Wowereit in einem Nebensatz einräumt: Offenbar gibt es in Berlin noch mehrere Beamte, die den Staat um die Steuern betrügen.
Versteht Wowereit wirklich nicht, dass die Steuerhinterziehung eines in der Öffentlich massiv präsenten Staatssekretärs eine Verhöhnung aller Bürger ist, die ihre Vermögen nicht in der Schweiz lagern und daher dem Fiskus die Zinsen vorenthalten können?
Offenbar versteht Wowereit das Problem wirklich nicht. Er versucht, das Thema mit Altersstarrsinn kleinzureden.
"Ich stehe auch heute zu dieser Entscheidung von damals", sagte Wowereit in einer Sondersitzung des Rechtsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus. Die Einleitung eines disziplinarischen Verfahrens gegen Schmitz sei ihm als Dienstherr laut mehrerer Rechtsgutachten gar nicht möglich gewesen, argumentierte er. Politisch habe er bei seiner Abwägung die jahrzehntelangen Verdienste Schmitz' für die öffentliche Hand zugrundegelegt.
Der 60-jährige Wowereit steht unter Druck, weil er seit zwei Jahren vom Steuer-Strafverfahren gegen den inzwischen zurückgetretenen Kulturstaatssekretär wusste. Vergangene Woche kam er der Bitte seines langjährigen Vertrauen nach, ihn von seinen Aufgaben zu entbinden. Das Verfahren war erst durch Medienberichte bekanntgeworden. Die Opposition wirft Wowereit vor, die Steueraffäre unter den Teppich gekehrt zu haben.
Die Ausschuss-Sitzung hatten Linke, Grüne und Piraten beantragt. Schmitz hat ein geerbtes Vermögen von fast einer halben Million Euro in der Schweiz angelegt und die Erträge nicht korrekt versteuert. Das Verfahren war gegen eine Geldauflage von 5000 Euro und Steuernachzahlungen von mehr als 20.000 Euro eingestellt worden.