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Sahra Wagenknecht: „Unheimliche Komplizenschaft zwischen Deutschland und den USA“

Lesezeit: 6 min
09.10.2014 00:00
Sahra Wagenknecht von der Links-Partei geht mit der extrem an die USA angebundenen deutschen Außenpolitik hart ins Gericht: Merkel und Steinmeier hätten einen Wirtschaftskrieg gegen Russland mitgetragen, der vor allem der europäischen und deutschen Wirtschaft schadet. Sie fordert das sofortige Ende der Sanktionen gegen Russland, das Ende der Unterstützung einer Regierung in Kiew, in der bis heute Faschisten sitzen, und eine restlose Aufklärung des Abschusses von Flug MH17.
Sahra Wagenknecht: „Unheimliche Komplizenschaft zwischen Deutschland und den USA“

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Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Bedingungen für die Sanktionen sind offenbar erfüllt, etwa die geforderte Waffenruhe. Sollten die Sanktionen gegen Russland jetzt aufgehoben werden?

Sahra Wagenknecht: Die Sanktionen waren von Anfang an falsch, sie sollten schleunigst aufgehoben werden. Der Versuch einer dauerhaften Waffenruhe ist auch nicht wegen, sondern trotz der Sanktionen zustande gekommen. Durch die einseitige Parteinahme des Westens im Ukrainekonflikt wurde die Regierung in Kiew vielmehr in ihrem militärischen Vorgehen bestärkt, das inzwischen mehrere tausend zivile Opfer gefordert hat. Es ist gut, dass es jetzt trotzdem eine Waffenruhe gibt und man kann nur hoffen, dass sie hält.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Auswirkungen hat das Vorgehen der EU auf das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland?

Sahra Wagenknecht: Die Bundesregierung hat mit ihrer zögerlichen Haltung nur kokettiert, aber hatte nicht den Mumm, den USA auch nur einmal ernsthaft Paroli zu bieten. Letztendlich haben Merkel und Steinmeier den Wirtschaftskrieg gegen Russland mitgetragen, der vor allem der europäischen und deutschen Wirtschaft schadet. Die Folgen sind fatal und bereits in der schlechteren Konjunktur sichtbar. Der nachhaltige wirtschaftliche und außenpolitische Schaden ist nicht absehbar.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was sagen Sie zu der Aussage von US-Vizepräsident Joe Biden, die EU habe erst von den Amerikanern zu den Sanktionen gezwungen werden müssen?

Sahra Wagenknecht: Die verhängten Sanktionen schaden Deutschland und der EU aufgrund ihrer engen wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland deutlich mehr als den USA. Insofern ist es gut vorstellbar, dass es Druck seitens der USA gab. Dies untermauert erneut, dass die europäische Außenpolitik zunehmend von den USA gestaltet wird, auch entgegen den Interessen der eigenen Bevölkerung. Dies zeigt sich auch bei anderen Themen wie der Datensicherheit. Ich denke, dass der Bundestag sich noch viel intensiver mit dieser unheimlichen Komplizenschaft beschäftigen muss, die zwischen den USA und Deutschland (nicht nur) auf der Ebene der Geheimdienste besteht, zumal die parlamentarischen Kontrollmechanismen hier bislang versagt haben.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Schürt die Bundesregierung durch ihre aktuelle Politik Zwietracht zwischen den beiden Ländern?

Sahra Wagenknecht: Ja, wer „Russland-“ oder „Putin-Versteher“ zum Schimpfwort macht, der will Zwietracht säen. Mich haben viele Zuschriften von Menschen aus allen sozialen Schichten erreicht, die von der einseitigen Haltung der Bundesregierung geschockt und abgestoßen sind – und zwar sowohl aus Deutschland als auch aus Russland.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Lösung ist im Kontext der aktuellen Geschehnisse die beste für die deutsch-russische Partnerschaft?

Sahra Wagenknecht: Deutschland muss zu einer Außenpolitik in der Tradition von Willy Brandt zurückkehren. Eine Lösung des Konflikts in der Ukraine und Stabilität in Europa wird es nur mit und nicht gegen Russland geben. Jede Eskalation und einseitige Parteinahme erschwert den Weg zu einer dauerhaften Lösung. Deshalb muss auch die Entscheidung zur Stationierung von Nato-Truppen an der russischen Westgrenze zurückgenommen werden. In diesem Punkt bin ich, wie bei der Ablehnung von Sanktionen, mit Hans-Dietrich Genscher einer Meinung.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Seinerzeit gab es Gespräche zwischen Merkel, Sarkozy und Putin, die Allianz zwischen den Ländern zu stärken. Wie konnte sich dieser Prozess so umdrehen?

Sahra Wagenknecht: Offensichtlich haben maßgeblich die Interessen der USA zum Eskalationskurs geführt. Der Druck muss groß gewesen sein. Man denke nur an das „Fuck the EU“, das Victoria Nuland, die für Europa zuständige Staatssekretärin im US-Außenministerium, im Gespräch mit dem amerikanischen Botschafter in Kiew äußerte. Es ist ein Armutszeugnis, dass die Bundesregierung nicht willens ist, eine souveräne Außenpolitik zu praktizieren, um so die friedliche Kooperation mit Russland zu schützen, was im europäischen und deutschen Interesse wäre.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Der ARD-Programmmbeirat verurteilt die Berichterstattung zum Ukraine-Konflikt deutlich. Wie stehen Sie zu den Vorwürfen der „tendenziösen Berichterstattung“?

Sahra Wagenknecht: Der neunköpfige ARD-Programmbeirat warf den ARD-Redaktionen vor, einseitig über den Ukraine-Konflikt zu berichten. Diese Rüge nahm die starke Kritik des Publikums auf und ist in ihrer Deutlichkeit einmalig in der Geschichte der ARD. Der Bericht des Programmbeirats zeigt, dass die größte Sendeanstalt der Bundesrepublik in eklatanter Art und Weise ihren Informationsauftrag bei der Berichterstattung über die Ukraine-Krise missbraucht hat. Die Berichterstattung des ZDF ist übrigens nicht besser.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wo sehen Sie die Hauptkritikpunkte in der Berichterstattung?

Sahra Wagenknecht: In der völlig einseitigen Parteinahme zugunsten der ukrainischen Regierung.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was ist Ihrer Meinung nach der Grund für diese einseitige Berichterstattung?

Sahra Wagenknecht: Das ist für mich als Außenstehende schwer zu beantworten. Klar ist aber, dass die öffentlich-rechtlichen Medien nicht so unabhängig berichten, wie es ihrem Auftrag entspricht, sondern sehr stark von der Regierungspolitik beeinflusst sind. Dies liegt zum einen an der Dominanz der Vertreter der Regierungsparteien in den entsprechenden Gremien. Hinzu kommt, dass US-dominierte Think Tanks und andere von Übersee gesteuerte Lobbys in den deutschen Medien offensichtlich bestens vernetzt sind, selbst in den öffentlich-rechtlichen Sendern. Dieser Zustand ist für eine Demokratie mehr als problematisch. Es sollte Konsens sein, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht zum Staatsfunk und Lautsprecher der Regierung werden darf, sondern die verschiedenen Meinungen facettenreich widerspiegeln muss. Noch weniger allerdings darf er zum Propagandafunk von US-Hardlinern aus Atlantikbrücke und Co. werden.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Können Sie sich vorstellen, dass von politischer Seite eine solche Berichterstattung forciert wurde?

Sahra Wagenknecht: Selbstverständlich. Zum Beispiel beeinflusst die Bundesregierung die Menge und Art an Informationen, die sie der Öffentlichkeit aus den Kriegsgebieten mitteilt. Über Kontakte zur Regierung in Kiew und Geheimdienstquellen weiß die Regierung über die Geschehnisse in der Ukraine meist sehr viel mehr als die wenigen Journalisten, die vor Ort ihr Leben riskieren. Zum Beispiel durfte ich die Antwort der Bundesregierung auf meine schriftliche Frage, welche schweren Waffensysteme im Bürgerkrieg von der Regierung in Kiew eingesetzt wurden, nicht der Öffentlichkeit mitteilen. Die Antwort wurde als Verschlusssache eingestuft.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wird vor diesem Hintergrund der öffentlich-rechtliche Auftrag noch gewahrt?

Sahra Wagenknecht: Wohl kaum.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Im Moment folgen die Medien weltweit der Argumentation Obamas, die IS mit Luftschlägen zu bekämpfen. Bis auf Russland meldet kein Land Bedenken an diesem Vorgehen. Wie erklären Sie sich das?

Sahra Wagenknecht: Der Umgang mit der Terrororganisation IS ist geprägt von Verlogenheit und Skrupellosigkeit. Die Staaten, die jetzt militärisch gegen den IS vorgehen, haben ihn erst stark gemacht und unterstützen ihn vielfach noch immer. Als es darum ging, Syriens Präsidenten Assad zu schwächen, wurden dessen Gegner gefördert und hochgerüstet, wohl wissend, dass dies vor allem die extremen islamistischen Kräfte stärkt. Erst als sich die mörderische Gewalt des IS gegen die mit den USA verbündeten Kurden im Nordirak richtete und im Irak die Ölquellen in Gefahr gerieten, rückte die Bekämpfung des IS in den Fokus. Dennoch gibt es weder ernstzunehmenden Druck auf die Türkei, ihre Unterstützung des IS einzustellen, noch sind die Finanzquellen des IS, die vor allem aus den Golfstaaten kommen, versiegt. Dieselben Golfstaaten, die den IS hochrüsten, werden übrigens von Deutschland unbeeindruckt mit Waffen beliefert. Die aktuellen Bombardements können den IS nicht  besiegen und sind vor allem Schaufensterpolitik, um die eigene scheinheilige Politik zu kaschieren.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Es ist bekannt, dass die Waffen der IS seinerzeit von den Amerikanern geliefert wurden. Jetzt werden deutsche Waffen in Krisengebiete geliefert, die möglicherweise auch eines Tages wieder gegen Deutschland eingesetzt werden können. Wie stehen Sie zu den Lieferungen?

Sahra Wagenknecht: Waffen in ein Kriegsgebiet zu liefern ist wie Öl in ein Feuer zu gießen. Dass der IS so stark geworden ist, liegt auch daran, dass er über US-Waffen verfügt. Es ist absurd davon auszugehen, dass neue Waffenlieferungen nicht ebenfalls in den Händen des schwer bewaffneten IS landen können. Daher ist es unverantwortlich, dass auch die Bundesregierung sich an der weiteren Hochrüstung dieser Kriegsregion beteiligt. SPD-Wirtschaftsminister Gabriel hat sich bei diesem Thema wieder einmal als vollkommen unglaubwürdig geoutet. Die Linke fordert ein generelles Verbot von Waffenexporten, erst recht in ein Kriegsgebiet. Notwendig sind nicht mehr Waffen, sondern das Kappen sämtlicher Unterstützung für den IS. Außerdem muss die Türkei sofort dazu gebracht werden, dass sie ihre Grenze zu den von der IS beherrschten Gebieten abriegelt und zugleich für kurdische Flüchtlinge konsequent öffnet.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie erklärt es sich, dass die deutsche Außenpolitik nicht mehr als eigenständig wahrgenommen wird, sondern als reaktive – entweder auf Krisen oder taktisch, in dem sie den Amerikanern folgt?

Sahra Wagenknecht: Die deutsche Außenpolitik orientiert sich immer mehr an den USA – und das, obwohl es eine Reihe gravierender Konfliktfelder im transatlantischen Verhältnis gibt, man denke nur an den NSA-Skandal. Die Bundesregierung erhofft sich offensichtlich von der weitgehend kritiklosen Anlehnung an die USA eine bessere Positionierung im internationalen Machtgefüge. Diesem Ziel dient auch ihr Bemühen, nach dem Vorbild der USA in allen möglichen Weltregionen mit der Bundeswehr mitzumischen, auch wenn deren technische Ausrüstung das zur Zeit zum Glück gar nicht zulässt. Der Fokussierung auf die transatlantischen Beziehungen wird jetzt das gute Verhältnis zu Russland und das frühere Bemühen um eine stärkere Eigenständigkeit in der Außenpolitik – etwa im Irakkrieg – geopfert.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Seit dem Absturz von MH17 wird die Schuld darüber den Russen zugesprochen, obwohl bislang kein einziger Beweis dazu erbracht wurde. Wie stehen Sie dazu, dass Kiew und die Bundesregierung alle Informationen unter Verschluss halten – wie etwa die Funksprüche?

Sahra Wagenknecht: Es ist ein Unding, dass die Regierung in Kiew nicht sämtliche Informationen offenlegt. Das gleiche gilt für die Amerikaner, die ihre Satellitenaufnahmen ebenso unter Verschluss halten. Es wundert deshalb nicht, dass so der Eindruck entsteht, die Aufklärung solle verhindert werden. Bis heute ist ungeklärt, wer das Flugzeug tatsächlich abgeschossen hat, auch der niederländische Zwischenbericht zum Absturz der MH17 lässt die entscheidenden Fragen offen. Skandalös ist, dass auch die Bundesregierung sich weigert, über den Inhalt der Funksprüche Auskunft zu geben, obwohl diese ihr durchaus bekannt sein dürften. Dabei hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf, in dieser Frage die Wahrheit zu erfahren. Mit der Behauptung, die Russen seien für den Abschuss verantwortlich, wurden schließlich Sanktionen gegen Russland durchgesetzt.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In Deutschland gibt es keine Diskussion darüber, dass die Bundesregierung in der Ukraine eine Regierung unterstützt, die offen mit Neonazis bzw. Rechtsradikalen paktiert. In den ausländischen Medien wird das sehr wohl thematisiert. Wie stehen Sie dazu?

Sahra Wagenknecht: Dass die Bundesregierung eine Regierung unterstützt, in der bis heute Faschisten Ministerämter bekleiden dürfen, ist ein schrecklicher Tabubruch in der deutschen Außenpolitik, den die Linke von Anfang an thematisiert und angegriffen hat. Auch in dieser Frage haben die deutschen Medien absolut einseitig berichtet. Wie kann es sein, dass in Odessa am 2. Mai 2014 mindestens 48 Regierungsgegner im Gewerkschaftshaus von einer regierungstreuen rechten Meute ermordet werden, ohne dass dies zu einem Aufschrei führt? Wer zu solchen faschistischen Übergriffen schweigt und einer Regierung mit faschistischer Beteiligung weiterhin die Treue hält, macht sich mitschuldig.


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