Die umstrittene Schiefergas-Förderung (Fracking) kommt nach Deutschland: Um beim Einstieg nicht zu große Proteste zu provozieren, betont die Bundesregierung, dass Fracking zunächst nur unter strengen Auflagen zu Probezwecken erlaubt ist. Tatsächlich erlaubt der vom Kabinett in Berlin am Mittwoch beschlossene Gesetzesentwurf des Bundesumwelt- und Bundeswirtschaftsministeriums auch die spätere großflächige Förderung von Schiefergas. Zunächst soll Fracking allerdings in sensiblen Regionen wie Wasserschutzgebieten verboten werden. Bisher gibt es keine gesetzliche Regelung. Ein erster Anlauf war 2013 gescheitert, weil Vorschläge der damaligen Bundesregierung aus Sicht einiger Unions-Abgeordneter keinen ausreichenden Wasserschutz boten. Auch jetzt fordern bereits Dutzende Bundestagsabgeordnete von Union und SPD Nachbesserungen, so wird unter anderem gefordert, dass es keinen Automatismus für eine kommerzielle Förderung ab 2019 geben dürfe.
Die Gesetzesvorlage ist gewissermaßen ein Vorgriff auf das Freihandelsabkommen TTIP, von dem sich die US-Energiekonzerne den Eintritt in den europäischen Markt erhoffen. Nach dem überraschenden Atomausstieg ist Deutschland besonders anfällig und sucht nach Alternativen, um sich aus der russischen Abhängigkeit zu befreien. Hier bieten die Amerikaner Hilfe an und versprechen, mit dem Fracking ein neues Wundermittel gefunden zu haben. Tatsächlich ist noch völlig unklar, ob das Fracking überhaupt wirtschaftlich betrieben werden kann: Aktuell leben alle US-Konzerne von üppigen Steuergeldern, erwirtschaften nur Verluste und müssen mit teils dramatischen Kursverlusten zurande kommen. Der Fracking-Boom in den USA erinnert ein wenig an den Solar-Boom in Deutschland, als ebenfalls zahlreiche Unternehmen ihr Geschäftsmodell darin sahen, Fördergelder vom Staat zu kassieren, die Anleger zu blenden und am Ende darauf zu hoffen, dass sie von einem Wettbewerber übernommen oder vom Staat mit weiteren Subventionen über Wasser gehalten werden.
Die europäischen Staats- und Regierungschefs hatten bereits vor zwei Wochen auf dem EU-Gipfel in Brüssel einen weiteren Schritt in Richtung einer Energie-Union gemacht. EU-Ratspräsident Donald Tusk sagte, dass die Union ein „großes Potenzial“ habe und ein Garant für sicherere und günstigere Energie sein werde. Russland missbrauche seine Gasverträge als „politische Waffe“, so Tusk. Doch bei jenen Verträgen sollte es um Wirtschaft und nicht um Politik gehen.
Die Energie-Union wird politisch verbrämt: Die EU-Staaten wollen sich im Rahmen der Energie-Union von den russischen Gaslieferungen unabhängig machen, wobei die Idee einer derartigen Union auch vor den Verwerfungen mit Russland bestand. Tatsächlich erklärt sich das Interesse der Amerikaner an einem Weiterköcheln des Ukraine-Konflikts auch damit, dass die Europäer Angst vor einem russischen Gas-Stopp bekommen könnten und ihren noch beträchtlichen Widerstand gegen das Fracking aufgeben könnten. Einzelne US-Politiker haben auch persönliche Interessen, wie der US-Vizepräsident Biden, dessen Sohn in der Ukraine für ein Fracking-Unternehmen arbeitet.
Im vergangenen Jahr schrieb Tusk in einem Gastbeitrag der Financial Times, dass die „exzessive Abhängigkeit von Russlands Energie“ die EU schwäche. Derzeit beziehen die EU-Staaten 44 Prozent ihres Erdgases aus Russland und 33 Prozent aus Norwegen. Weitere Lieferanten sind Algerien, Nigeria, Libyen, Trinidad und Tobago und Peru, berichtet das französische Energie-Portal gas in focus. Sachlich gibt es keinen Grund, sich vor den Russen zu fürchten: Sogar Angela Merkel hatte noch vor einigen Monaten eingeräumt, dass die Russen ihre Gas-Verträge immer präzise erfüllt hätten und daher ein verlässlicher Partner seien.
Der polnische EU-Ratspräsident ist ein Verfechter der Nutzung von fossiler Energie und Fracking. Das Fracking wird als Möglichkeit angesehen, um das angebliche russische Gasmonopol innerhalb Europas zu brechen. Doch die Stoßrichtung Tusks eröffnet vor allem den USA große wirtschaftliche Möglichkeiten innerhalb der EU. Die US-Fracking-Industrie will sich in Europa als Produzent betätigen und die EU-Staaten anschließend mit LNG-Gas beliefern. Um dieses Ziel zu erreichen, wird Lobby-Arbeit betrieben.
Die Grundlage für die US-Expansion soll das TTIP-Abkommen zwischen den USA und der EU liefern. Sollte es zum endgültigen Abschluss des Abkommens kommen, würden die Amerikaner die Russen problemlos aus dem europäischen Energiemarkt verdrängen, um amerikanischen Konzernen einen neuen Absatzmarkt zu erschließen. Mit dem zu Ende verhandelten Freihandelsabkommen CETA hat die EU-Kommission und die US-Regierung bereits Vorsorgen für den Notfall getroffen. Im Rahmen des Abkommens besteht die Möglichkeit, Milliarden Strafzahlungen von Fracking-unwilligen Regierungen in der EU einzufordern. Das Ganze wird dann unter der Begrifflichkeit „Investitions-Schutz“ subsumiert.
Zur Fracking-Lobby in Europa gehört der Arbeitergeberverband Businesseurope mit Hauptsitz in Brüssel. Businesseurope ist sowohl personell als auch finanziell mit internationalen Öl- und Gaskonzernen wie ExxonMobil, GDFSuez, BP, Total oder Statoil verzahnt.
Der Lobby-Organisation International Gas & Oil Producers Association (IOGP) gehören Öl- und Gadfirmen wie Shell, Chevron, Statoil, OMV, DONG Energy, Statoil oder Total an. Die Mitglieder der IOGP produzieren fast die Hälfte des weltweiten Öls und ein Viertel des weltweiten Gases.
Shale Gas Europe gehört ebenfalls zur Fracking-Lobby. Die Mitglieder der Organisation sind ebenfalls europäische und US-amerikanische Öl-Konzerne. Doch auch der US-Konzern Halliburton ist ein Mitglied.
Die internationalen Öl- und Gaskonzerne sind zudem im European Energy Forum (EFF) organisiert, die aktive Lobbyarbeit für die Frackings-Industrie betreibt, berichtet The Parliament Magazine. Bemerkenswert ist dass die CSU-Politikerin und EU-Abgeordnete Angelika Nieber neben ihrer aktiven Mitgliedschaft (Active Members) beim EFF auch seit dem Jahr 2000 im ZDF-Fernsehrat sitzt. Die CDU-Politiker und EU-Abgeordneten Werner Langen und Herbert Reul sind ebenfalls aktive Mitglieder der Lobby-Organisation.
Die American Chamber of Commerce to the European Union (AmChamEU) vetritt 140 US-Großkonzerne in Europa. Zu den Mitgliedern gehören neben Chevron und Exxon Mobil auch der Chemiekonzern Albemarle Corporation oder Goldman Sachs. Die AmChamEU ist eines der einflussreichsten Fracking-Lobby-Organisationen in Brüssel.
Zu den Fracking-Befürwortern unter den EU-Staaten gehören Polen, Litauen, Rumänien und Großbritannien, berichtet euronews. Doch in Bulgarien, Spanien und Frankreich ist die Technologie verboten. Die Amerikaner hingegen wollen Fracking als neuen Export-Schlager etablieren und zugleich die eigene Abhängigkeit vom Erdöl reduzieren.
Die Entscheidung einiger EU-Staaten für die Nutzung der Fracking-Technik führt in Moskau unweigerlich zu Irritationen. Es bleibt unklar, ob die EU-Staaten diesen Schritt geschlossen gehen werden. Beispielsweise bezieht Ungarn etwa 80 Prozent seines Gases aus Russland. Das Land braucht auch russisches Know-How, um seine Stromversorgung zu garantieren. Sollte die aktuelle Annäherung zwischen Budapest und Moskau anhalten, wird in etwa zehn Jahren 56 Prozent des ungarischen Stroms auf russisches Know-How und Technologie zurückgehen. Denn der russische Nuklear-Riese ROSATOM wird in Ungarn das Atomkraftwerk Paks um zwei weitere Atom-Reaktoren ausbauen.
In Januar 2012 musste die bulgarische Regierung eine Schiefergas-Förderlizenz des US-Energieriesen Chevron zurücknehmen, weil es landesweite Proteste gegen die Lizenz-Vergabe gegeben hatte. Die Nato behauptet, dass Russland die europäischen Umweltaktivisten beim Widerstand gegen das Fracking fernsteuert. Für mehrere EU-Staaten Osteuropas bleibt Russland nach wie vor ein wichtiger Energie-Versorger.
Deutschland hat mit der heutigen Kabinetts-Entscheidung den Weg für die US-Fracking-Industrie freigemacht. Sollte das TTIP zur Unterzeichnung gelangen, wird Deutschland ein attraktiver Markt, auch, weil dann die Möglichkeit besteht, über die Investmentschutzklauseln entgangene Gewinne rechtlich abzusichern, falls es wider Erwarten doch zu Protesten von Umweltschützern kommen sollte.