Politik

Eskalation: Nato übernimmt Grenz-Sicherung der EU

Lesezeit: 2 min
25.02.2016 11:36
Die EU ist offenbar nicht in der Lage, ihre Außengrenzen zu schützen. Daher hat die Nato einen Einsatz beschlossen. Es ist mit Gewalt gegen Flüchtlinge zu rechnen, weil sich viele nicht freiwillig deportieren lassen werden.

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Die Lage um die Flüchtlinge an den europäischen Außengrenzen spitzt sich zu: In Mazedonien sitzen tausende Flüchtlinge fest. In Griechenland kommen täglich tausende neue an. Seit Wochen bereitet die EU die Schließung der Außengrenzen vor. Sie soll bis zum März vollzogen sein. Doch ohne Hilfe von außen scheint das nicht möglich zu sein.

Die Nato hat daher in der Nacht zum Donnerstag beschlossen, einen Einsatz in der Ägäis zu starten. Dieser soll offiziell der „Ortung von Flüchtlingsbooten“ dienen. Diese Erklärung ist nicht glaubwürdig – weil die Ortung der Boote heute schon möglich ist und eine Verbesserung mit zivilen Mitteln relativ einfach zu bewerkstelligen wäre.

Tatsächlich wird die Nato mit dem Beschluss zur Grenz-Sicherungstruppe für die EU: Sie wird die Flüchtlinge abwehren, und zwar schon auf dem offenen Meer: Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte nach dem Beschluss, dass die Nato Personen, die sie im Mittelmeer aufgreift, an der Einreise in die EU hindern wird: „Sollten Menschen gerettet werden, die über die Türkei kommen, werden sie in die Türkei zurückgebracht.“

Der Nato-Verband hat keinen Auftrag zum unmittelbaren Stoppen von Booten. Er soll vorrangig Informationen über ablegende Migrantenboote an die türkischen Behörden liefern, so dass die Küstenwache des Landes sie stoppen kann. Doch es ist nicht geklärt, was passiert, wenn die türkische Küstenwache nicht einschreitet – etwa aus Personalmangel.

Der Nato-Einsatz in der Ägäis soll nach Angaben aus Militärkreisen bis zum EU-Türkei-Gipfel am 7. März beginnen. Bis dahin sollten die Details mit den Küstenwachen der Türkei und Griechenlands sowie der europäischen Grenzschutzbehörde Frontex geklärt werden, hieß es am Donnerstag: „Wir werden uns an den internationalen Bemühungen beteiligen, die Menschenschleuserei und die illegale Migration in der Ägäis zu bekämpfen“, sagte Stoltenberg: „Diese Krise betrifft uns alle, und wir müssen alle zusammen eine Lösung finden.“

Die Nato vertritt die Auffassung, dass sich die Türkei bereiterklärt habe, die Flüchtlinge wieder aufzunehmen. Tatsächlich gibt es entsprechende Absichtserklärungen, aber keine Beschlüsse. Bis heute ist unklar, die die der Türkei versprochenen 3 Milliarden Euro aufgebracht werden.

Angela Merkel hatte dem türkischen Präsidenten Erdogan den Einsatz der Nato versprochen – wobei unklar ist, was das Militärbündnis langfristig in der Region machen soll. Merkel selbst braucht eine Beruhigung der öffentlichen Diskussion vor den bevorstehenden Landtagswahlen. Die Eile rührt auch von den zunehmend gefährlichen Zuständen im Nato-Land Griechenland.

Wegen der bevorstehenden Schließung der Balkanroute fürchtet Griechenland chaotische Zustände durch einen Rückstau von Flüchtlingen. „Griechenland wird keine einseitigen Maßnahmen akzeptieren“, sagte der griechische Innenminister Ioannis Mouzalas am Donnerstag beim Treffen mit seinen EU-Kollegen in Brüssel. „Griechenland wird es nicht hinnehmen, Europas Libanon zu werden.“ Mouzalas drohte, auch Athen könne in der Flüchtlingskrise nicht abgestimmte Maßnahmen ergreifen.

Am Mittwoch hatten zehn Balkan-Länder um Österreich vereinbart, die Kontrollen entlang der mazedonisch-griechischen Grenze zu verschärfen. Ziel ist es laut Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, „die Migrationsströme zu stoppen“.

Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras hatte daraufhin am Mittwochabend mit einer Blockade von EU-Entscheidungen gedroht. Seine Regierung werde „keinem Abkommen mehr zustimmen, wenn die Last und die Verantwortung nicht im richtigen Verhältnis geteilt“ würden, sagte er im Parlament. Schon jetzt ist die humanitäre Lage der Flüchtlinge und Migranten in Griechenland verheerend. Das Lager ist Lesbos genügt den grundlegenden Menschenrechten nicht im mindesten.

Das Innenministertreffen finde „in einem kritischen Moment“ statt, sagte EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos. „Die Einheit der Union und menschliche Leben stehen auf dem Spiel.“

Diese Warnung deutet darauf hin, dass sich die EU auf den Einsatz von Gewalt bei der Grenzschließung einstellt: Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz, der mit den Balkan-Kollegen die Grenzschließung organisiert, hatte bereits vor Wochen angekündigt, dass es „nicht ohne hässliche Bilder gehen“ werde, dass die Grenzen geschlossen werden. Damals hatte Kurz noch gehofft, die Türkei werde der EU die Arbeit abnehmen.

Der Nato-Einsatz in genuin politische Aufgaben stellt einen Trend dar: Weil die politischen Parteien die Dimensionen der Flüchtlingskrise entweder nicht verstehen oder für ihre jeweiligen Geschäftszwecke instrumentalisieren, übernimmt das Militär an vielen Stellen die Aufgaben der Politik: In einem Bericht von Al Jazeera aus Griechenland wird beschrieben, wie das Militär bei Bau von Flüchtlings-Camps einspringen muss, um das politische Versagen zu kompensieren (Video am Anfang des Artikels).


Mehr zum Thema:  
Europa >

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Bildung für die Zukunft SOS-Kinderdorf Thüringen im Einsatz für die Demokratie

In einer Zeit, in der die Unzufriedenheit mit der Politik wächst, engagiert sich das SOS-Kinderdorf Thüringen mit einem Demokratieprojekt...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Klimaneutralität Deutschland: Wie der Ländervergleich die Fortschritte zeigt
25.12.2024

Deutschland muss seine Bemühungen zur Erreichung der Klimaziele des Pariser Abkommens intensivieren. Laut einer Bertelsmann-Studie...

DWN
Politik
Politik Auf einmal haben alle Ideen! Wahlkampfversprechen: Was die Parteien zu Steuern, Rente, Klima planen
25.12.2024

Die Wahlkampfprogramme der deutschen Parteien werden erst am kommenden Dienstag offiziell vorgestellt. Die Grundthemen und Positionierungen...

DWN
Politik
Politik CO2-Preis steigt - was das beim Tanken und Heizen bedeutet
25.12.2024

Das neue Jahr könnte mit höheren Preisen an der Tankstelle beginnen. Das liegt an einem steigenden CO2-Preis. Ab 2027 könnte sich dieser...

DWN
Technologie
Technologie KI-Wettlauf: Wie Europa den Anschluss an die Welt verliert
25.12.2024

Europas Wettbewerbsfähigkeit steht vor einer existenziellen Herausforderung. Während künstliche Intelligenz (KI) eine technologische und...

DWN
Panorama
Panorama Aus nach 170 Jahren: Schokohersteller Cadbury ist kein Hoflieferant mehr
25.12.2024

Das nennt man wohl: aus der königlichen Gunst gefallen. Die Chocolatiers von Cadbury müssen zu Weihnachten einen schweren Schlag...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft CO₂-Entnahme: Revolution oder Greenwashing? Der Weg zu einer emissionsneutralen Zukunft
25.12.2024

Die Europäische Union hat sich verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen bis 2050 auf null zu reduzieren, und es gibt deutliche Anzeichen...

DWN
Politik
Politik Grundsicherung im Alter: Zu wenig gearbeitet und trotzdem Rente?
25.12.2024

Das Thema Rente ist ein heißumkämpftes Wahlkampfthema in der „Rentnerrepublik“ Deutschland – und die Zahl der Rentner und der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Brain Drain in Deutschland? 20 Prozent der Studenten wollen nach Abschluss auswandern
25.12.2024

Laut einer Umfrage sehen viele Studenten bessere berufliche Chancen im Ausland. Auch die Zahl der deutschen Auswanderer war zuletzt hoch....