Die Rebellen im Osten der Ukraine haben der Regierung in Kiew vorgeworfen, eine neue Offensive in Donezk gestartet zu haben. Der Angriff der Armee auf den Flughafen von Donezk habe am Samstag von Norden begonnen, sagte ein Rebellenkämpfer mit dem Decknamen Moskwa am Mittwoch der Nachrichtenagentur AFP. Das Terminal des Flughafens sei von Geschossen aus Flugabwehrgeschützen getroffen worden.
Die beiden Konfliktparteien hätten eigentlich Flugabwehrgeschütze und andere schwere Waffen nach der Unterzeichnung des Minsker-Waffenstillstandsabkommens im Februar 2015 von der Frontlinie abziehen müssen. Die Rebellen hatten den Donezker Flughafen im Januar 2015 nach verlustreichen Kämpfen eingenommen. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hatte daraufhin angekündigt, das Gelände wieder zurückerobern zu wollen.
Beide Seiten melden auch neue Opfer der Kämpfe. Ein Mann, der sich laut AFP als freiwilliger Kämpfer aus Russland bezeichnete, sagte, acht Rebellen seien seit Montag in einer Stadt nördlich von Donezk getötet worden. Kiew erklärte, in den vergangenen zehn Tagen seien rund 20 Soldaten getötet worden. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zählte in der Nacht zu Dienstag 305 Explosionen nördlich und westlich von Donezk.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Kiew alles unternimmt, um der EU einen Grund zu liefern, damit die Russland-Sanktionen verlängert werden. Eine besondere Rolle scheint in diesem Zusammenhang Bundeskanzlerin Angela Merkel zu spielen: Sie hatte bereits während des G7-Gipfels gesagt, dass sie keinen Grund für ein Ende der Sanktionen sehe.
Um diese von der US-Regierung beim G7 ausgegebene Marschrichtung nun auch durchzusetzen, hat die Kanzlerin eine Art Argumentations-Offenive gestartet: So sagte der außenpolitischen Berater der Bundeskanzlerin, Christoph Heusgen, am Donnerstag, für die Aufhebung der EU-Strafmaßnahmen gegen Russland sei es viel zu früh. "Falls die heutige Situation anhält, sehe ich nicht, wieso die Sanktionen nicht um weitere sechs Monate verlängert werden", sagte Heusgen am Donnerstag beim German Marshall Fund in Berlin. "Diese Diskussion über eine Sanktionsaufhebung kommt viel zu früh." Man sei nirgends in der Nähe der Umsetzung der Minsker Friedensvereinbarung für die Ostukraine. Weder gebe es einen wirklichen Waffenstillstand, noch dürften sich die OSZE-Beobachter in der gesamten Ostukraine bewegen, noch hätten Lokalwahlen stattgefunden. Die neuen Angriffe der Ukraine fanden - zumindest in dem Reuters-Bericht über die Veranstaltung - keine Erwähnung.
Heusgen erinnerte an den jüngsten Beschluss des G7-Gipfels, auch frühere Beschlüsse des EU-Rates, wonach die die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen an die Umsetzung des Minsk-Abkommens geknüpft seien. Merkel hatte unmittelbar nach dem G7 gesagt, sie sehe die Aufhebung der Sanktionen nicht. Zuvor hatten die USA die EU-Vertreter eingeschworen, bei den Sanktionen auf Kurs zu bleiben.
Heusgen sagte, wenn sich die Situation in diesem Monat nicht ändere, erwarte er eine Verlängerung. Seine Ausführung, dass es wichtig sei, mit Russland weiter im Gespräch zu bleiben, kann vor dem Hintergrund des strammen Anti-Russland-Kurses als unerhebliche Floskel qualifiziert werden. Heusgen hatte zusammen mit seinem französischen Kollegen gerade Gespräche in Moskau geführt. Worüber und mit wem genau Heusgen dort gesprochen hat, ist nicht bekannt.
Viele EU-Staaten laufen zwar gegen die Sanktionen Sturm, weil sie die europäische Wirtschaft empfindlich schädigen. Auch deutsche Bundesländer und die SPD hatten zuletzt gegen die Sanktionen protestiert. Bayern ist wegen der Milchbauern besonders betroffen. Es ist anzunehmen, dass ein Teil des Zerwürfnisses zwischen CSU-Chef Horts Seehofer und Angela Merkel auf völlig unterschiedliche Einschätzungen in der Russland-Frage zurückzuführen ist.
Merkel selbst traf sich am Donnerstag mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Merkel hilft der Nato bei der Vorbereitung ihres Gipfels im Juli. Dieser soll, wie Stoltenberg in einer Grundsatzrede in Washington ausgeführt hatte, eine deutliche Erweiterung der Nato in Richtung Russland verabschieden.
Merkel bekräftigte gegenüber Stoltenberg die deutsche Bereitschaft, sich stärker im Baltikum zu engagieren. Der Nato-Gipfel wird die Ausweitung der Militärpräsenz in den nordosteuropäischen Ländern um mehrere rotierende Bataillone beschließen. Er freue sich auf die deutsche Unterstützung dabei, sagte Stoltenberg und betonte zugleich, es handele sich "um einen Beitrag zu gemeinsamer Verteidigung", es gehe nicht darum, "einen Konflikt zu provozieren". Die Nato und Russland befänden sich "nicht in einem neuen Kalten Krieg", Ziel sei, "die Kanäle für den politischen Dialog offen zu halten".
Die früheren Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen sehen sich nach der Ukraine-Krise besonders von ihrem großen Nachbarn bedroht und fordern dauerhaft Nato-Truppen auf ihrem Territorium. Die Stationierung von Kampftruppen ist der Allianz gemäß der Nato-Russland-Grundakte nicht gestattet. Die Grundakte sei "ein wichtiges Instrument" und werde "nicht verletzt", sagte Merkel. Polen hatte erst vor wenigen Tagen erklärt, bei der Grundakte handle es sich um ein politisches Dokument ohne jede rechtliche Verbindlichkeit.