Nach langem Streit zwischen den österreichischen Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP über die geplante Verschärfung des Asylrechts deutet sich eine Einigung an. Die Parteien stimmen grundsätzlich darin überein, dass sich das Land auf eine mögliche neue Flüchtlingswelle vorbereiten müsse. Um dann die Reißleine ziehen zu können, will Österreich mit Hilfe einer umstrittenen Sonderverordnung Asyl nur noch in Ausnahmefällen gewähren. Umstritten innerhalb der Regierung sind aber noch die Verhandlungen mit Ungarn über die Flüchtlingsrücknahme.
2015 wurden in Österreich rund 90.000 Asylanträge gestellt nach rund 28.000 im Jahr zuvor. Die Asylgesuche seien vor allem von Menschen aus Afghanistan, Syrien und dem Irak gekommen. Einen so hohen Zuzug habe es in der jüngeren Vergangenheit nie gegeben, sagte Stephan Marik-Lebeck von der Statistik Austria. „Nicht einmal Anfang der 90er Jahre, als es nach dem Fall des Eisernen Vorhangs eine sehr starke Zuwanderung gab.“ Damals habe es Jahre gegeben mit etwa 70.000 Zuwanderungen in der Spitze.
Um die Zahl im laufenden Jahr drastisch zu reduzieren, legte die Regierung eine Obergrenze von 37.500 Asylverfahren fest. Zwar kamen seit der Schließung der Balkan-Route im Februar weniger Flüchtlinge in Österreich an. Bis Ende Juli wurden schon knapp 28.800 Asylanträge gestellt. Wie viele davon in Verfahren münden, dazu hüllen sich die Behörden in Schweigen.
Wenn alle offene Fragen geklärt und die Voraussetzungen erfüllt seien könnte bis zum Ministerrat am 6. September der Gesetzesentwurf für die Asyl-Sonderverordnung stehen, stellte Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) in Aussicht. Die Verordnung soll dem Land das Ausrufen eines Ausnahmezustandes ermöglichen. Grundlage dafür ist eine im Frühjahr beschlossene Novellierung des Asylgesetzes. Darin ist vorgesehen, dass die Verordnung erlassen werden könne, wenn durch den Migrantenzustrom die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Schutz der inneren Sicherheit gefährdet seien. Ein Asylantrag soll nur noch zugelassen werden, wenn ein Migrant in Österreich nahe Angehörige hat oder wenn dem Flüchtling bei einer Zurückweisung in das Land, von dem er nach Österreich einreisen will, Folter oder unmenschliche Behandlung droht. Letzteres ist de facto bei den österreichischen Nachbarländern nicht gegeben.
Streit gibt es in der Koalition noch darüber, wann der Notstand tatsächlich ausgerufen werden soll. Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) fordert, die Verordnung schon vor dem Erreichen der Obergrenze von 37.500 Asylverfahren umzusetzen. „Es laufen intensive Gespräche mit dem Sozial- und Gesundheitsministerium. Wir werden die Verordnung noch im Sommer in Begutachtung schicken, so dass wir es im Herbst erlassen können“, sagte Sobotka. In der SPÖ gibt es jedoch Zweifel, dass aufgrund des Migrantenzustroms und der Folgen ein Notstand gegeben ist.
Die Regierung steht in der Asylfrage wegen der FPÖ allerdings unter Handlungsdruck. Die Freiheitliche Partei, die eine Verschärfung der Asylpolitik fordert, legt bei Wahlen stetig zu. In der Sonntagsfrage liegt sie derzeit klar vor den Regierungsparteien. Anfang Oktober wählen die Österreicher ein neues Staatsoberhaupt. Die FPÖ hatte das Ergebnis der Stichwahl vom Mai, bei der ihr Präsidentschaftskandidat nur um wenige Tausend Stimmen unterlegen war, erfolgreich angefochten.
Die größte Hürde, die die Regierung für den Beschluss noch zu nehmen hat, sind die Verhandlungen mit Ungarn über die Flüchtlingsrücknahme. Laut Kern soll es Anfang September noch ein Gespräch der Innen- und Verteidigungsminister von Österreich und Ungarn geben. Ein konkreter Termin stehe noch nicht fest, sagte eine Sprecherin des Innenministers. Ungarn sperrt sich derzeit gegen die Rücküberweisung von Migranten. Über die ungarisch-österreichische Grenze im Burgenland sind laut Polizeiangaben im ersten Halbjahr über 5000 Flüchtlinge gekommen. Davon seien 47 nach Ungarn zurückgebracht worden, sagte ein Polizeisprecher.
Zwist innerhalb der Koalition gibt es über die Reihenfolge der Schritte. Sobotka will zuerst grünes Licht für die Notverordnung bekommen, bevor mit Ungarn verhandelt wird. Kanzler Kern geht von einer genau umgekehrten Reihenfolge aus.