Polnischer Energiekonzern Orlen baut ersten Small Modular Reactor Europas
Der polnische Energiekonzern Orlen und das lokale Kernenergieunternehmen Synthos Green Energy haben angekündigt, im Zentrum von Włocławek ein kleines modulares Kernkraftwerk zu bauen. Zum Einsatz kommt der Small Modular Reactor (SMR) vom Typ BWRX-300. Mit einer Leistung von 300 Megawatt soll es das erste Kraftwerk dieser Art in Europa werden.
In einer gemeinsamen Erklärung bezeichneten die Unternehmen den BWRX-300 laut der Zeitung Puls Biznesu als „technologisch fortschrittlichstes Kleinreaktorprojekt der Welt“. Entwickelt vom US-japanischen Konzern GE Hitachi Nuclear Energy, gilt der SMR als kostengünstiger, flexibler und einfacher zu installieren als herkömmliche Reaktoren. Dennoch gibt es bislang weltweit keinen einzigen kommerziell betriebenen SMR. China beansprucht, diesem Ziel am nächsten zu sein. Orlen strebt an, bis 2035 mindestens zwei SMR-Reaktoren mit einer Gesamtkapazität von 0,6 GW in Betrieb zu nehmen. Die Vereinbarung mit Synthos umfasst operative Änderungen im Joint Venture Orlen Synthos Green Energy (OSGE), an dem beide Konzerne nun je 50 Prozent halten. Zudem gewährt ein Lizenzvertrag vollen Zugang zur amerikanischen BWRX-300-Technologie.
Polens nukleare Ambitionen
Das Projekt ergänzt Polens umfassendere Atomstrategie. Bereits 2023 beschloss die Regierung den Bau des ersten nationalen Kernkraftwerks und schloss mit Westinghouse und Bechtel einen Vertrag über Planung und Bau. Der Baustart ist für 2026 vorgesehen. Parallel gründeten PGE und ZE PAK gemeinsam mit dem südkoreanischen Unternehmen KHNP ein weiteres Joint Venture für ein Kraftwerk bei Konin. Doch KHNP kündigte kürzlich seinen Rückzug aus Polen an – beeinflusst durch Streitigkeiten mit Westinghouse über Patentrechte. Nach einer Einigung mit KEPCO und KHNP im Januar untersagte Westinghouse den Südkoreanern Aktivitäten in Nordamerika, Europa, Großbritannien und der Ukraine, mit Ausnahme Tschechiens.
Die Regierung hält dennoch an ihrer Vision fest, bis 2043 insgesamt sechs Reaktoren zu errichten. Für ein zweites Atomkraftwerk stehen Konin und Belchatów auf der engeren Liste möglicher Standorte. Bis 2027 soll über Standort und Technologie entschieden werden. Eine Baugenehmigung ist für 2031 vorgesehen, die Bauarbeiten für 2032. Acht Jahre später soll der erste Reaktor ans Netz gehen. Die Vorbereitungen für das erste Kraftwerk verlaufen schneller. Energieminister Milosz Motyka erklärte, dass das Projekt in Lubiatów-Kopalin planmäßig voranschreite. Der erste der drei AP1000-Reaktoren soll 2036 in Betrieb gehen.
Bau von SMR-Reaktoren: Bedeutung für Deutschland
Für Deutschland ist die Entwicklung von Small Modular Reactors (SMR) wie dem BWRX-300 von hoher Relevanz. Während die Bundesregierung nach dem Atomausstieg auf Gas, Kohle und erneuerbare Energien setzt, zeigt das polnische Projekt eine alternative Energiepolitik. Ein marktreifes SMR-Kraftwerk in direkter Nachbarschaft könnte den Wettbewerb im europäischen Energiesektor neu ordnen. Für deutsche Unternehmen stellt sich die Frage, ob ein Festhalten am Atomausstieg angesichts steigender Strompreise die internationale Wettbewerbsfähigkeit gefährdet. Zudem dürften die Entwicklungen in Polen die Debatte über Versorgungssicherheit in Deutschland neu beleben.
Skandinavische Pläne für SMR
Auch Schweden und Estland treiben SMR-Projekte voran. Der staatliche Konzern Vattenfall will im Kernkraftwerk Ringhals bis zu fünf neue Reaktoren bauen. Verhandlungen laufen mit Rolls-Royce und GE Vernova. Geplant sind rund 1.500 MW Leistung bis 2035. Estland wiederum prüft ein 600-MW-Kraftwerk mit zwei BWRX-300-Reaktoren, die von Fermi Energia beantragt wurden. Der erste Reaktor könnte frühestens 2035 ans Netz gehen. Da Litauen und Schweden über das NordBalt-Kabel eng verbunden sind, beeinflussen die Entwicklungen in Skandinavien auch die baltischen Strompreise.
Die europäische Energiepolitik gewinnt damit an Dynamik. Während Polen mit dem BWRX-300 den ersten Small Modular Reactor Europas errichten will, verfolgen andere Staaten ähnliche Strategien. Ob der SMR als flexible und kosteneffiziente Alternative zur Großkernkraft den Durchbruch schafft, bleibt die entscheidende Frage – mit weitreichenden Folgen für den gesamten Kontinent.


