Small Modular Reactors: Technologie der Zukunft?
In ihrem Grundsatzprogramm bekennt sich die neue Regierungspartei CDU zur Atomkraft: „Wir setzen bei der Gesamtenergieversorgung von morgen auf Technologieoffenheit in Forschung und Anwendung. Aus heutiger Sicht gehören dazu Brennstoffzellen, Wasserstoffkraftwerke, Geothermie, klimaneutrale Gaskraftwerke, Kernkraftwerke der vierten und fünften Generation sowie Fusionskraftwerke. Wir wollen den weltweit ersten Fusionsreaktor bauen.“
Etwas realistischer als die Kernfusion scheinen Reaktoren der vierten Generation. Und, nicht explizit von der CDU genannt, aber oft in einem Atemzug mit dieser Technologie, die noch in der Forschung ist. Die viel gepriesenen Small Modular Reactors (SMR) – Mini-Kernkraftwerke, die in Masse produziert werden sollen und lokal Energie liefern. Kernkraftwerke würden so von teuren Einzelprojekten zu relativ günstigen Massenprodukten. Besonders energieintensive Unternehmen im Tech-Sektor - etwa im Bereich KI mit den dafür nötigen energiehungrigen Rechenzentren - haben schon öffentlichkeitswirksam Interesse an SMR bekundet. Experten gehen davon aus, dass große Datencenter in Zukunft zum Teil so viel Strom benötigen könnten, dass ein einzelnes einen oder mehrere SMR komplett für sich alleine beanspruchen könnte. Für große Unternehmen könnte das eine attraktive Lösung werden, um sich von Energieanbietern unabhängig zu machen.
Aber worum geht es dabei genau? Und ergibt es Sinn, darauf zu setzen? Denn noch steckt die Technologie in den Kinderschuhen.
Was sind Small Modular Reactors?
Eine Definition der IAEA (Internationale Atomenergiebehörde) beschreibt Small Modular Reactors als eine Gruppe kleiner Leistungsreaktoren mit einer geringeren Leistung als die heutiger Atomkraftwerke – von unter zehn Megawatt elektrisch (MWe) bei Mikroreaktoren bis hin zu einer typischen Leistung von 300 MWe. Übliche konventionelle Reaktoren hingegen erreichen über 1000 MWe. Hersteller versprechen sich durch die modulare und standardisierte Bauweise die Möglichkeit, diese Reaktoren in großer Stückzahl mit vergleichsweise moderaten Kosten und Produktionszeiten zu bauen.
- Klein: Physisch deutlich kompakter als herkömmliche Kernreaktoren.
- Modular: Systeme und Komponenten werden im Werk vorgefertigt und als Einheit zum Standort transportiert.
- Reaktor: Erzeugt durch Kernspaltung Wärme zur Energiegewinnung.
Die Funktionsweise dieser Reaktorgruppe variiert: Einige Konzepte entsprechen derjenigen von Leichtwasserreaktoren, dem weltweit am häufigsten eingesetzten Reaktortyp. Diese Bauweise birgt geringere Entwicklungsrisiken, da auf bestehende Betriebserfahrungen zurückgegriffen werden kann.
Andere SMR basieren hingegen auf sogenannten neuartigen Reaktorkonzepten (häufig als Generation-IV-Reaktoren bezeichnet), für die es kaum industrielle Vorerfahrung gibt. Dazu gehören Hochtemperaturreaktoren, Reaktoren mit schnellem Neutronenspektrum und Salzschmelzreaktoren.
Welche Länder entwickeln SMR und zu welchem Zweck?
Die aktuelle Entwicklung von Small Modular Reactors wird größtenteils staatlich finanziert und findet insbesondere in den USA, Kanada und dem Vereinigten Königreich statt. Auch Frankreich hat Entwicklungen angekündigt, und einige europäische Länder zeigen Interesse am Bau entsprechender Anlagen.
Industrie- und geopolitische Motive sowie militärische Interessen spielen dabei eine Rolle. Die meisten Länder, die SMR-Entwicklungsprojekte verfolgen, unterhalten Atomwaffenprogramme, bauen Atom-U-Boote und/oder verfügen bereits über ein großes "ziviles" Atomprogramm.
Neben der regulären Stromversorgung werden vor allem die dezentrale Energieversorgung für Industrie und Haushalte sowie Wärme für Fernwärme, Meerwasserentsalzung und Industrieprozesse angestrebt. Darüber hinaus wird auch an militärischen Anwendungen wie mobil einsetzbaren Mikroreaktoren geforscht.
Klimawandel: Welchen Beitrag können SMR Reaktoren leisten?
Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) zeigt sich hier skeptisch: Mit einer geplanten elektrischen Leistung von 1,5 bis 300 MWe (Megawatt elektrisch) wäre laut BASE zur Bereitstellung der gleichen Gesamtleistung eines konventionellen Kraftwerks eine um den Faktor 3 bis 1000 größere Anzahl an Anlagen erforderlich.
Anstelle von heute circa 400 Reaktoren mit großer Leistung würde dies also den Bau von vielen tausend bis zehntausend SMR-Anlagen bedeuten.
Sollten Small Modular Reactors einen signifikanten Beitrag zur Stromerzeugung leisten – etwa zur Bekämpfung des Klimawandels und zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen –, müssten also viele tausend bis zehntausend SMR-Anlagen errichtet werden. Jede dieser Anlagen wäre mit Nukleartransporten zur Ver- und Entsorgung verbunden.
Wie hoch ist das Sicherheitsrisiko bei Small Modular Reactors?
Spezielle Einsatzszenarien wie Modularität, neue Herstellungsverfahren, Materialien und technologische Lösungen für Sicherheitsfunktionen erfordern oft neue regulatorische Ansätze. Eine geplante weltweite Verbreitung von Small Modular Reactors wirft damit völlig neue Fragen für die zuständigen Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden auf.
Bislang existieren keine spezifischen nationalen oder internationalen Sicherheitsstandards für Small Modular Reactors. Da viele Entwickler einen weltweiten Einsatz anstreben, wäre eine internationale Standardisierung der Anforderungen erforderlich.
SMR könnten in bestimmten Bereichen sicherheitstechnische Vorteile gegenüber großen AKW haben, da sie pro Reaktorkern ein geringeres radioaktives Inventar aufweisen. Zudem könnten gezielte Vereinfachungen und ein verstärkter Einsatz passiver Systeme zu einem höheren Sicherheitsniveau beitragen.
Allerdings wären auch Small Modular Reactors nicht gegen kriegerische Angriffe geschützt. Die hohe Anzahl an Reaktoren, die zur Bereitstellung signifikanter Strommengen notwendig wäre, sowie ihre weltweite Verbreitung würden das Risiko sogar erheblich steigern. Zudem existieren viele Reaktorkonzepte bislang nur "auf dem Papier", sodass zahlreiche Sicherheitsversprechen der Hersteller derzeit nicht seriös bewertet werden können.
Atomwaffenfähiges Material: Vergrößern Small Modular Reactors das Risiko?
Einige nicht-wassergekühlte SMR-Konzepte sehen höhere Urananreicherungen oder den Einsatz von Plutoniumbrennstoffen sowie Wiederaufarbeitungstechnologien vor. Dies wirkt sich nachteilig auf die Proliferationsresistenz aus – also auf die Fähigkeit, den Zugang zu oder die Herstellung von atomwaffenfähigem Material zu verhindern.
Ein wesentlicher Unterschied von SMR-Konzepten zu heutigen Leistungsreaktoren ist die Nutzung von Systemen mit langer Laufzeit, die als geschlossene Einheiten geliefert werden. Eine Versiegelung könnte die Überwachung vereinfachen und den Transportaufwand minimieren. Allerdings wird zu Beginn des Reaktorbetriebs eine große Menge an Spaltmaterial benötigt. Ein weiterer kritischer Aspekt betrifft die Überwachung von Spaltmaterial durch die Internationale Atomenergieorganisation. Viele etablierte Methoden zur Spaltmaterialüberwachung sind nicht direkt auf SMR-Konzepte übertragbar, sodass neue Herausforderungen entstehen.
Laut der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO, auf Englisch IAEA) bieten SMR eine wichtige nukleare Technologie der Zukunft:
Vorteile von Mini-Atomkraft
Die Bauweise von Small Modular Reactors oder auch Mini-Atomkraftwerken bringt eine Reihe von Vorteilen mit sich. Aufgrund ihres geringen Platzbedarfs können sie an Standorten errichtet werden, die für größere Kernkraftwerke ungeeignet sind. Ihre modulare Bauweise ermöglicht eine industrielle Fertigung, wodurch die Einheiten kosteneffizient produziert, transportiert und installiert werden können. Dies reduziert Bauzeiten und Kosten im Vergleich zu maßgeschneiderten Großreaktoren, deren Errichtung oft mit Verzögerungen verbunden ist.
Ein weiterer Vorteil liegt in der Flexibilität des Einsatzes. SMR lassen sich schrittweise in das bestehende Energiesystem integrieren und ermöglichen eine bedarfsgerechte Skalierung, um den wachsenden Energieanforderungen gerecht zu werden.
Herausforderungen der Energieversorgung
Eine der Herausforderungen beim beschleunigten Zugang zu Energie ist die Infrastruktur: die begrenzte Netzabdeckung in ländlichen Gebieten sowie die Kosten des Netzanschlusses für die ländliche Elektrifizierung. Ein einzelnes Kraftwerk sollte nicht mehr als 10 Prozent der gesamten installierten Netzkapazität ausmachen. In Regionen mit unzureichenden Übertragungsleitungen und Netzkapazitäten können Kleinstkraftwerke aufgrund ihrer geringen elektrischen Leistung in ein bestehendes Netz integriert oder netzfern installiert werden, um kohlenstoffarmen Strom für Industrie und Haushalte bereitzustellen.
Dies gilt insbesondere für Mikroreaktoren, eine Untergruppe der SMR, die typischerweise eine elektrische Leistung von bis zu 10 MW(e) erzeugen. Mikroreaktoren benötigen weniger Platz als andere Kernenergieanlagen und eignen sich besonders für Regionen ohne Zugang zu sauberer, zuverlässiger und erschwinglicher Energie. Zudem könnten Mikroreaktoren in Notsituationen als Notstromversorgung dienen oder Dieselgeneratoren ersetzen, die häufig in ländlichen Gemeinden oder abgelegenen Unternehmen eingesetzt werden.
Sicherheitskonzept und Effizienz von Small Modular Reactors
Im Vergleich zu bestehenden Reaktoren sind die vorgeschlagenen SMR-Konzepte in der Regel einfacher, und ihr Sicherheitskonzept basiert oft stärker auf passiven Systemen sowie inhärenten Sicherheitsmerkmalen wie niedriger Leistung und Betriebsdruck. Dies bedeutet, dass kein menschliches Eingreifen oder externe Energie erforderlich ist, um Systeme abzuschalten, da passive Mechanismen auf physikalischen Phänomenen wie natürlicher Zirkulation, Konvektion, Schwerkraft und Selbstüberdruck beruhen. Diese erhöhten Sicherheitsmargen reduzieren in vielen Fällen das Risiko einer unkontrollierten Freisetzung von Radioaktivität in die Umwelt erheblich.
Geringerer Brennstoffbedarf und lange Laufzeiten
SMR-Kraftwerke benötigen weniger Brennstoff. Kraftwerke, die auf Small Modular Reactors basieren, müssen möglicherweise seltener nachgeladen werden: alle drei bis sieben Jahre im Vergleich zu ein bis zwei Jahren bei konventionellen Kraftwerken. Einige SMR-Konzepte sind sogar so ausgelegt, dass sie bis zu 30 Jahre lang ohne Brennelementwechsel betrieben werden können.
Wissenschaftliches Gutachten zu SMR (BASE)
Das BASE ließ ein wissenschaftliches Gutachten zu SMR erstellen. Dies ist eher kritisch gegenüber SMR. Im Rahmen des Gutachtens wurden 136 verschiedene historische sowie aktuelle Reaktoren beziehungsweise SMR-Konzepte untersucht, 31 davon besonders detailliert. Das Gutachten liefert eine wissenschaftliche Einschätzung zu potenziellen Einsatzbereichen sowie den damit verbundenen Sicherheitsfragen und Risiken. Daraus lassen sich laut BASE unter anderem folgende Schlussfolgerungen ziehen:
- Gegenüber Atomkraftwerken mit großer Leistung könnten Small Modular Reactors potenziell sicherheitstechnische Vorteile erzielen, da sie ein beispielsweise geringeres radioaktives Inventar pro Reaktor aufweisen. Die hohe Anzahl an Reaktoren, die für die gleiche Produktionsmenge an elektrischer Leistung notwendig ist, erhöht das Risiko jedoch wiederum um ein Vielfaches.
- Anders als teilweise von Herstellern angegeben, muss bisher davon ausgegangen werden, dass für den anlagenexternen Notfallschutz bei SMR die Möglichkeit von Kontaminationen besteht, die deutlich über das Anlagengelände hinausreichen.
- Durch die geringe elektrische Leistung sind bei Small Modular Reactors die Baukosten relativ betrachtet höher als bei großen Atomkraftwerken. Demnach müssten im Durchschnitt dreitausend SMR produziert werden, bevor sich der Einstieg in die SMR-Produktion finanziell lohnen würde. Es ist daher unwahrscheinlich, dass der strukturelle Kostennachteil kleiner Reaktoren durch Lern- und Masseneffekte ausgeglichen werden kann.