Mario Draghi droht zu Beginn seines vierten Jahres an der Spitze der EZB eine Palastrevolte. Wie Reuters von mehreren Insidern erfuhr, wollen einige Chefs der nationalen Euro-Notenbanken noch in dieser Woche den offenen Waffengang mit dem Italiener wagen. Ihre Kritik: sein aus ihrer Sicht heimlichtuerischer Führungsstil und seine unberechenbare Kommunikation. Für Draghi könnte das durchaus gefährlich werden, denn Irritationen im 24-köpfigen EZB-Rat, in dem die Gouverneure der Zentralbanken der aktuell 18 Euro-Länder über eine Mehrheit verfügen, könnten seinen Gestaltungsspielraum begrenzen.
Einige Ratsmitglieder wollen ihr zunehmendes Unbehagen über Draghis Führungsstil bereits an diesem Mittwochabend äußern - beim traditionellen Abendessen der EZB-Granden vor der dann am Donnerstagvormittag anstehenden offiziellen Zinsentscheidung der Notenbanker. Sie sind verstimmt: Draghi habe zwar im Vergleich zu seinem Vorgänger Jean-Claude Trichet nach seinem Amtsantritt im November 2011 für einigen frischen Wind gesorgt. Die wirklich relevanten Entscheidungen treffe er aber alleine oder höchstens abgestimmt mit einer Handvoll enger Vertrauter - böse Zungen sprechen von einem „Küchenkabinett“: EZB-Chefvolkswirt Peter Praet und Draghis „Außenminister“ Benoit Coeure.
„Mario ist verschwiegener, wenig kollegial. Die Gouverneure der nationalen Notenbanken fühlen sich manchmal ausgeschlossen, tappen im Dunklen“, bemängelt ein langjähriges Ratsmitglied, das nicht namentlich genannt werden will. „Jean-Claude hat viel mehr daran gearbeitet einen Konsens herzustellen. Er beriet sich mehr und hat mehr kommuniziert“, beschreibt ein anderer EZB-Insider den Wandel an der Spitze der Notenbank.
Sogar Mitglieder des der Form nach engsten Führungszirkels um Draghi, des sechsköpfigen EZB-Direktoriums, hätten von zwei der jüngsten Alleingänge des Chefs vorab nichts gewusst: seinem beim Notenbankertreffen in Jackson Hole gegebenen Versprechen, die EZB werde „mit allen Mitteln“ gegen das Schreckgespenst einer Deflation vorgehen ebenso wie seiner Aussage, die EZB wolle ihre Bilanz „auf das Niveau von Anfang 2012“ aufblähen. An den Finanzmärkten hatten beide Bemerkungen Draghis für Furore gesorgt, weil sie eine neue Phase der Geldpolitik in der Euro-Zone einläuteten und damit klar war, dass die Notenbank ihre Bilanz um gut eine Billion Euro vergrößern will.
Vor allem Draghis letzte Äußerung sorgte nach Aussagen der Insider für Verärgerung bei den Kollegen im EZB-Rat: „Wir hatten uns darauf geeinigt, dass wir keine Hausnummern nennen. Deshalb irritierte sein Hinweis auf die Größe der Bilanz zu Anfang 2012 zahlreiche Kollegen.“ Ein anderer Notenbanker glaubt sogar, dass Draghis forsche und unabgestimmte Kommunikation schädlich war: „Das hat exakt die Erwartungen erzeugt, die wir doch vermeiden wollten. Jetzt wird alles, was wir tun, daran gemessen, ob wir es schaffen, die Bilanz um eine Billion Euro zu vergrößern. Damit hat er uns mehr Probleme gemacht, als nötig gewesen wären:“ Die EZB wollte das nicht kommentieren.
Viele im Rat kreiden Draghi auch die Art und Weise an, mit der er das Gremium leitet und lenkt. „Er sitzt da mit seinen drei Mobiltelefonen vor sich und verschickt Nachrichten oder geht hinaus um Telefonate zu führen“, sagt eine Person, die normalerweise bei den Sitzungen hinter verschlossenen Türen dabei ist. Einer der nationalen Notenbankchefs habe einmal sogar seine Wortmeldung zurückgezogen, weil Draghi nicht im Raum war. Seitdem sei es etwas besser um die Anwesenheit des Chefs bestellt: „Er ist jetzt etwas aufmerksamer.“
Draghis bekannt miserables Verhältnis zu Bundesbank-Chef Jens Weidmann ist ein weiteres Problem, das immer wieder für Irritationen sorgt. Inzwischen hat sich nach Angaben eines Zentralbank-Insiders aus dem Umfeld Weidmanns sogar schon Bundeskanzlerin Angela Merkel eingeschaltet und die beiden Streithähne gebeten, sich zu versöhnen. Ein Gespräch der zwei Antipoden der europäischen Geldpolitik in der vergangenen Woche sei jedoch nicht wirklich erfolgreich gewesen. EZB und Bundesbank wollten das nicht kommentieren, ebensowenig das Kanzleramt in Berlin.
Immerhin herrscht nun Klarheit: „Wir wissen jetzt, dass Jens nicht mitmachen wird, sollten wir weitergehen“, sagt ein Notenbanker, der in der Vergangenheit immer wieder als eine Art Brückenbauer zwischen Draghi und Weidmann gescheitert ist. „Er ändert seine Position nicht.“ In einer Zeit, in der schon in den kommenden Monaten weitreichende Entscheidungen der EZB im Kampf gegen die massive Konjunkturschwäche denkbar sind, ist das keine vielversprechende Ausgangslage für einen ohnehin gespaltenen EZB-Rat. Denn wenn es demnächst womöglich zum Schwur kommt, ob die EZB die Geldschleusen durch den Aufkauf von Unternehmens- und Staatsanleihen noch weiter öffnet als bislang, könnte es eng werden für Draghi.
Mehrere Notenbank-Insider erwarten, dass mindestens sieben, vielleicht sogar bis zu zehn Notenbanker ihm dann die Gefolgschaft verweigern: die beiden Direktoriumsmitglieder Yves Mersch und Sabine Lautenschläger sowie die Gouverneure von Deutschland, den Niederlanden, Luxemburg, Estland und Lettland. Eventuell könnten noch Österreich, die Slowakei und Slowenien hinzukommen. Zwar hätte Draghi dann immer noch eine Mehrheit im für die Geldpolitik entscheidenden EZB-Rat, aber auch ein massives politisches Problem im Staatenbund der Währungsunion.