Politik

Ukraine: Westen kann Stellvertreter-Krieg gegen Russland nicht gewinnen

Angela Merkels Treffen mit US-Präsident Barack Obama könnte darüber entscheiden, ob sich auf dem Territorium der Ukraine ein ähnliches Bürgerkriegs-Fiasko entwickelt wie in Syrien, dem Irak oder in Libyen. Obama will noch keine Waffen liefern. Ein amerikanischer Think Tank bestärkt den Präsidenten in seiner Linie, warnt vor einem Stellvertreter-Krieg gegen Russland, und liefert der Kanzlerin gute Argumente für ihre Washington-Reise.
09.02.2015 03:12
Lesezeit: 4 min

Das Treffen von Angela Merkel am Montag mit US-Präsident Barack Obama könnte für die Zukunft der Ukraine von entscheidender Bedeutung sein – und damit auch für die Zukunft Europas als einem Kontinent, der über viele Jahrzehnte von Kriegen verschont geblieben ist. Merkel lehnt Waffenlieferungen an die Ukraine entschieden ab und ist damit auf einer Linie mit Obama. Dessen Sicherheitsberaterin Susan Rice hat sich ebenfalls deutlich gegen Waffenlieferungen ausgesprochen. Sie steht damit im Widerspruch zu den Aussagen des neuen Verteidigungsministers Ashton Carter, der in der vergangenen Woche zur allgemeinen Überraschung vor dem Kongress gesagt hatte, er sei dafür, die ukrainische Armee mit Waffen im Kampf gegen die Rebellen im Osten des Landes zu unterstützen. Obamas Vize Joe Biden ist seit längerem ein Verfechter einer harten Linie. Er hatte sich damit gebrüstet, die EU zu Sanktionen gedrängt zu haben. Biden verfolgt in der Ukraine handfeste wirtschaftliche Interessen. 

Dessen Bericht hat Michael Kofman vom liberalen Wilson Center auseinandergenommen. Das Wilson Center beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Fragen der Zusammenarbeit der USA mit Russland und anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Kofman ist ein ausgewiesener Kenner der Lage in den osteuropäischen Staaten. Die Ausrichtung des Wilson Centers ist auf Zusammenarbeit mit Russland und nicht auf eine Konfrontation ausgerichtet.

In einem lesenswerten Artikel für das links-liberale Magazin The National Interest analysiert Kofman die Lage der ukrainischen Armee und kommt zu dem Ergebnis, dass die Bewaffnung der Armee völlig sinnlos sei und dazu beitragen würde, die Ukraine in einen immer unübersichtlicheren, jahrelangen Bürgerkrieg zu stürzen. Denn die ukrainische Armee sei für einen Kampf völlig ungeeignet, wie die die jüngsten militärischen Niederlagen gezeigt hätten. Die Armee habe keine klare Befehlsstruktur, verfüge über mangelhafte oder völlig veraltete technische Ausrüstung, keine militärische Aufklärung und kein qualifiziertes Personal. Militärische Erfolge gegen die von Russland unterstützten Rebellen seien auszuschließen. Die Lieferung von Waffen würde jedoch mit Sicherheit das Engagement Russlands befeuern. Kofman warnt davor, die russischen Streitkräfte zu unterschätzen. Sollten die Russen weiter in einen militärischen Konflikt hineingezogen werden, sei eine Niederlage der Regierung in Kiew unausweichlich. Dies würde jedoch eine politische Lösung des Konflikts immer schwieriger machen.

Kofman vertritt die Auffassung, dass Russland kein Interesse an Kriegen habe. Das hatte ja auch Russlands Präsident Wladimir Putin erst am Wochenende betont – was ihm seitens der Hardliner unter den US-Neocons und der Nato-Befehlshaber den Vorwurf eingetragen habe, Putin könne nicht getraut werden, weil er anders rede als handle. Doch Kofman verweist darauf, dass nationalistische Strömungen in Moskau von Putin niedergehalten würden, auch das Wort der russischen Großreichs sei aus der offiziellen Doktrin gestrichen worden.

Kofmann glaubt, dass das erste Minsker Abkommen keinen Wert habe, weil weder die Russen noch die Regierung in Kiew ein Interesse hätten, sich daran zu halten. Die Russen bezeichneten es als großen Fehler, das Abkommen überhaupt unterzeichnet zu haben, weil sie damit offiziell zu einer Konfliktpartei gemacht worden waren, was sie bis zum Abkommen stets zu vermeiden suchten. Russland wolle keinen Nato-Staat angreifen. Die Unterstützung des Anschlusses der Krim sei ein einmaliger Vorgang gewesen, der militärstrategisch und historisch zu erklären sei und dessen Wiederholung in einer anderen Region ausgeschlossen sei. Robert Parry von Consortium News berichtet sogar davon, dass Putin bereit sein soll, das Referendum in der Krim wiederholen zu lassen, sollte die Ukraine den Gebieten im Donbass, in denen vor allem ethnische Russen leben, eine weitreichende Autonomie gewähren.

Das Hauptproblem der Ukraine sei die Tatsache, dass die Strukturen des Landes völlig zerstört seien und finanzielle Mittel nicht für weitere Zerstörung durch Bewaffnung durch den Westen, sondern den Aufbau der Infrastruktur, der Bekämpfung der Korruption und der Etablierung von demokratischen Strukturen benötigt würden.

Kofman erinnert daran, dass Waffenlieferungen durch die Amerikaner immer dazu geführt hätten, dass die Lage noch schlimmer geworden sei. Er nennt die Unterstützung der Freien Syrischen Armee als Beispiel – die FSA sei heute aufgerieben, weil die Russen Assad noch stärker aufgerüstet hätten. Der Preis seien hunderttausende Tote und Millionen Flüchtlinge gewesen – eine Entwicklung, die man in Ansätzen auch heute schon in der Ukraine beobachten könne. Auch in Libyen sei es so gewesen, und auch der Irak sei nach zwanzig Jahren der militärischen Intervention und Aufrüstung durch die Amerikaner ein Land, in dem der Bürgerkrieg faktisch außer Kontrolle geraten sei – mit dem Aufstieg des Islamischen Staats (IS) als vorläufigen, blutigen Höhepunkt.

Kofman ist der Auffassung, dass die Amerikaner in der Ukraine unbedingt auf die Bedenken der Europäer hören müssten – weil die Europäer tatsächlich Interessen in der Ukraine vertreten. Durch das Assoziierungsabkommen mit der EU hat Europa tatsächlich eine Rolle in der Ukraine übernommen, die darauf hinauslaufen wird, dass die europäischen Steuerzahler in der einen oder anderen Form auch finanziell die Kosten für die Entwicklung übernehmen müssen. Wenn es zu noch mehr Zerstörung kommt – was bei einem vorhersehbar unkontrollierten Einsatz von neuen Waffen und einer entsprechenden russischen Reaktion unvermeidlich ist – werden auch die Kosten immer höher werden.

Kofman glaubt daher, dass eine Kehrtwende der US-Politik zwangsläufig zu einer Spaltung zwischen den USA und der EU führen müsse. Die Europäer müssen auf eine politische Lösung hinwirken, so schwierig diese auch zu erreichen sei. Diese Einschätzung deckt sich auch mit den vielen Wortmeldungen der vergangenen Wochen – von Italien über Deutschland bis hin nach Frankreich. Politiker hatten immer deutlicher gefordert, den Konfrontationskurs mit Russland im Ukraine-Konflikt aufzugeben, weil der Schaden für Europa und Russland immens sei und das Ziel, Russland zu isolieren, für Europa keinen strategischen Nutzen hat sondern mit handfesten wirtschaftlichen Einbußen verknüpft ist. Die Ukraine als Stellvertreter-Krieg gegen Russland zu nutzen, schwächt auch die politische Autorität der EU, wenn es um wirklich aggressive Akte Russlands gehen, wie etwas in Dagestan.

In einem Interview mit der ukrainischen Website Novoe Vremia sagte Kofman, dass noch nie in der Geschichte irgendjemand einen Krieg gegen Russland gewonnen habe, der direkt an einer der Grenzen zu Russland ausgefochten worden sei. Statt Waffen zu liefern, müsse der Westen einen Waffenstillstand erreichen, um einen langfristigen Wiederaufbau der Ukraine zu ermöglichen. Bis jetzt habe der Konflikt nichts bewirkt – außer, dass die Ukraine Gebiete und tausende Soldaten verloren habe. Es sie die Zeit für einen Kompromiss gekommen, der mit Waffen nicht zu erreichen ist. Es sei eine Illusion, dass der Westen einen Stellvertreter-Krieg gegen Russland in der Ukraine gewinnen könne. Diese Erkenntnis müsse auch der Regierung in Kiew vermittelt werden.

Angela Merkels Chance bei dem Washington-Besuch besteht darin, dass sie diese nüchternen Fakten auch Obama zur Kenntnis bringt und ihn auf diese Weise zur Standhaftigkeit gegen jene ermuntert, die den Einsatz von Waffen als einzige Lösung für internationale Konflikte zu Markte tragen.

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