Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat bei einer Diskussion des Council on Foreign Relations in New York versucht, den russischen Präsidenten Wladimir Putin lächerlich zu machen. Schäuble antwortete auf die Frage nach der Entwicklung in der Ukraine mit einem, wie er es nannte, Witz. Es gebe in Europa einen berühmten Preis, den Karlspreis. Dieser werde für Verdienste um die europäische Integration verliehen. Er schließe nicht aus, dass eines Tages Putin diesen Preis erhalten könnte. Putin habe die Europäer zu einer Einheit zusammengeschweißt (erstes Video über dem Artikel, ab Minute 53:00).
Schäuble konnte sich des, wie die FAZ es nennt, „herzlichen Gelächters“ des Publikums sicher sein. Das stimmt nicht wirklich, denn die Lacher waren eher in der Minderheit, weil die meisten Amerikaner noch nie im Leben vom Karlspreis gehört haben. Auch in Deutschland ist der Preis eher eine intime Veranstaltung, in der sich die politischen Eliten selbst auszeichnen. Die FAZ klärt daher ihr Publikum über die Bedeutung dieses Preises auf, und rückt Schäuble in das aus ihrer Sicht rechte Licht, indem sie schreibt: „In seiner bescheidenen Art erwähnt er nicht, dass sich unter dem Jahr 2012 auf der Aachener Liste der illustren Preisträger der Name Wolfgang Schäuble findet.“ Zuletzt hatte der mittlerweile längst in Vergessenheit geratene EU Ratspräsident Herman Van Rompuy den Preis erhalten.
Doch tatsächlich war der Spott Schäubles eher ein Ausdruck der Hilflosigkeit in der Ukraine Krise, die längst zu einem Stellvertreter-Krieg zwischen den USA und Russland ausgeartet ist. Die Europäer zahlen den Preis dafür, und Schäuble ist das offenbar auch bewusst. In seiner Antwort deutete Schäuble nämlich an, dass er es durchaus für denkbar hält, dass Putin in dem Streit mit dem Westen kurzfristig erfolgreich sein könne. Schäuble sagte, dass es keine militärische Lösung für die Ukraine gäbe. Er sagte, dass er damit auch mit dem amerikanischen Präsidenten und dem amerikanischen Vizepräsidenten übereinstimme.
Schäuble wies darauf hin, dass Deutschland alle Anstrengungen unternehmen wolle, um zur Zusammenarbeit mit Russland zurückkehren zu können. Er werde daher auch demnächst mit seinem russischen Amtskollegen zusammentreffen, um ihm zu sagen, dass die Minsker Vereinbarungen umgesetzt werden müssen. Dann sei eine Zusammenarbeit mit Russland wieder möglich. Schäuble strich auffallend oft hervor, wie einig die Europäer in den Sanktionen sind. Auch dies klang mehr nach einer Beschwörung als nach einer überzeugenden Feststellung. Denn tatsächlich sind die Europäer tief gespalten. Die Mehrheit der EU-Staaten will ein Ende der Sanktionen, weil die russischen Gegensanktionen verheerende Wirkungen auf die ohnehin angeschlagene Wirtschaft in Europa haben.
Es dürfte im Auditorium geschuldet gewesen sein, dass Schäuble sich nicht dazu durchringen konnte, eine entschiedene, eigenständige deutsche Außenpolitik in der Russland Frage zu skizzieren. Schäuble sprach immer wieder von einer „Atlantischen Gemeinschaft“, als gebe es neben der „Europäischen Gemeinschaft“ bereits eine zweite politische Union.
In Russland dürften Schäubles Witze über Putin weniger gut ankommen. Ein wesentliches Element des aktuellen Konfliktes liegt darin, dass Russland von der westlichen Wertegemeinschaft herablassend behandelt wird. Solche Überheblichkeit hat in der Geschichte der Kriege zwischen den Nationen in der Regel nicht zum Frieden geführt, sondern bestehende Spannungen meist verschärft.
Auch das deutsche Publikum dürfte sich dem Schenkelklopfen des transatlantischen Freundeskreises nicht vorbehaltlos anschließen. Ein kritisches Publikum erwartet vom Auftritt deutscher Politiker im Ausland, dass deutsche Interessen vertreten werden - gegebenenfalls auch Widerspruch gegenüber Freunden. Das transatlantische Bündnis wird erst wieder mit Leben erfüllt werden können, wenn deutsche Politiker nicht um der Pointe willen einen Kotau vor den Amerikanern machen und gleichzeitig andere Partner – in diesem Fall die Russen – vor den Kopf stoßen.
Schäuble neigt dazu, für einen spontanen Applaus seine gesamte Argumentation in Misskredit zu bringen. Das ist schade. Denn der CDU-Politiker vertrat im großen Ganzen bei dem Auftritt in New York wie auch beim zweiten Auftritt in den USA (bei Brookings, zweites Video über dem Artikel) durchaus differenzierte Auffassungen und formulierte, wenngleich verhalten, auch Kritik an den amerikanischen Partnern.