Finanzen

In Griechenland droht eine verschärfte Depression

Lesezeit: 5 min
24.06.2015 02:30
Was als Reform und Rettungspaket für Griechenland angedacht war, wirkt als Programm zur massiven Verschärfung der Depression. Alle Beteiligten sind in falschen Konzepten gefangen und scheinen frei von Kenntnissen der Geld- und Finanzpolitik und ihrer Interaktion zu agieren. Wir erleben in Griechenland die größte Fehlleistung der Wirtschaftsgeschichte seit den 1930er Jahren.
In Griechenland droht eine verschärfte Depression

Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die Euroretter wollen heute und morgen Nägel mit Köpfen machen. Schade, dass sie Sargnägel einschlagen. Nach einem von beiden Seiten unsäglich geführten monatelangen Tauziehen scheinen sich die Kontrahenten eine Minute vor Zwölf zusammenzuraufen. Doch das Ergebnis ist niederschmetternd, auch wenn die Finanzmärkte mit einem Aufschnaufen reagiert haben. Im Wesentlichen sind es Steuererhöhungen. Deren Details werden heute von der Eurogruppe der Finanzminister noch ausgefeilt. Morgen sollen dann die Regierungschefs durchnicken. Was alle Teilnehmer nicht auf der Rechnung haben, ist die Wirkung der Geldpolitik und Bankenkrise auf die Konjunktur.

Seit letztem Dezember ist eine Welle der Depositenabzüge in Griechenland im Gang. Es sind Depositenabzüge aller Art, aber hauptsächlich konzentriert auf das inländische Nichtbanken-Publikum (blaue Säulen) und auf die ausländischen Interbankengelder (rot). Im Gegenzug weitet die griechische Zentralbank ihre ELA-Fazilität aus (grün), um die Löcher zu stopfen. Der letzte von der griechischen Zentralbank publizierte Wert der konsolidierten Bankbilanzen bezieht sich auf Ende April 2015. Seither haben sich die Ereignisse nochmals überstürzt. Ihre Wirkung ist noch nicht in der Graphik abgebildet. Insgesamt sind seit Ende November bis heute rund 75 Mrd. Depositen abgezogen worden, rund 30% der Depositen des Bankensystems. Nur dank der kräftigen Ausweitung der ELA-Fazilität und der EZB-Finanzierung konnte eine Bilanzkontraktion vermieden werden. Eine solche hätte sofortige Kreditkündigungen und Zwangsverkäufe von Aktiven sowie eine Bankpanik zur Folge gehabt.

Die Kontraktion der Depositen wird aber nicht ohne Wirkungen bleiben. Zwar haben die Banken die Bestände der Aktiven bisher nicht wesentlich abgebaut. Sie können es auch nicht, denn die Kredite sind zu einem erheblichen Teil langfristig. Rund 77% haben eine Laufzeit von einem Jahr und darüber.

Die Banken müssen aufgrund der Aussagen der EZB-Spitze und der gesamtpolitischen Konstellation damit rechnen, dass die Finanzierung durch die EZB vorübergehend ist und dass sie bei unerwünschter Entwicklung auch plötzlich eingestellt werden kann. Weil die restlichen Aktiven praktisch illiquide sind und nicht rasch veräußert werden können, werden sie verzweifelt versuchen, Liquiditätspolster aufzubauen. Also werden sie die Neukreditvergabe stoppen. Auslaufende Kredite werden nicht verlängert oder gerollt, neue Kredite nicht mehr vergeben, nicht benutzte Kreditlimiten gekürzt. In der Wirkung wird dies einem Kreditstopp vor allem bei größeren Unternehmen gleichkommen. Die Neukreditvergabe an Haushalte für Hypotheken und Konsumkredite und für kleine Unternehmen ist ohnehin schon zusammengebrochen. Entsprechend liegen bei diesen Segmenten die Quoten nicht mehr bedienter Kredite zwischen 40 und 60%.

Der Kreditstopp für eine Kundengruppe drückt sich nachher in einem Liquiditätsentzug in diesem Segment aus. Kommt es nun zu einem absoluten Kreditstopp, so wird dies den harten Kern der griechischen Wirtschaft treffen, nämlich die größeren Unternehmen. Nur sie erhalten noch Neukredite von über einer Million EUR. Für sie war bisher genügend Kredit verfügbar und erhältlich. Klar gab es einen Rückgang, aber er war bis auf 2014 alles andere als dramatisch und sicher teilweise auch nachfragebedingt. Die Neukreditvergaben lagen immer noch auf einem hohen Niveau. Nun wird sich das ändern. Die rote Linie wird 2015 steil abstürzen. Es wird wie vorher bei den Kleinunternehmen und den Haushalten schlagartig zu einer eigentlichen Kreditklemme kommen.

Damit steigt auch das Risiko, dass die Kreditrationierung Kettenreaktionen von Insolvenzen aus Liquiditätsgründen auslösen wird. Ein größeres Unternehmen kann nicht mehr bezahlen und zieht Lieferanten und Gläubiger mit in den Abgrund. Hier ist anzufügen, dass nach siebenjähriger scharfer Rezession die Reserven dünn oder aufgebraucht sind. Es braucht nur noch wenig, um den Exitus auszulösen. Ein Kreditstopp jetzt hat eine andere Wirkung als 2008, als die Reserven und Liquiditätspolster prall gefüllt waren. Was in den letzten sieben Monaten abgelaufen ist, stellt mit anderen Worten per se einen ganz massiven geldpolitischen Impuls dar. Dies bei 27% Arbeitslosen und einem Bruttoinlandprodukt, das gemäss offiziellen Zahlen schon um einen Viertel eingebrochen ist. In einem quantitativen Modell ist dies sehr schwierig zu erfassen, weil es gar keine Vergleichswerte aus der Vergangenheit für eine solche Situation gibt. Nicht zu vergessen ist, dass auch der Staat nicht mehr bezahlen kann, weil seine Kassen seit Monaten leer sind. Auch er wird Liquidität für die Lieferanten entziehen.

Was sich geldpolitisch anbahnt, ist eine drastische Verschärfung der Rezession, ein regelrechter Absturz der Konjunktur. Wellen von Insolvenzen, drastische weitere Beschäftigungsverluste vor allem bei größeren Unternehmen, weil sie um jeden Preis Kosten senken müssen, vollständiger Investitionsstopp.

Dabei ist die Geldpolitik in Griechenland schon äußerst restriktiv. Die Realzinsen auf den Kreditbeständen sind seit 2009 erheblich angestiegen, von rund 3% auf rund 8%. Die Realzinsen in der Graphik sind dabei errechnet, indem die nominellen Zinsen mit dem Deflator des Bruttoinlandprodukts preisbereinigt wurden. Dieser ist aber durch die Sequenz vergangener Anpassungen der Mehrwertsteuer überhöht. Die Verkaufspreise der Unternehmen exklusive Mehrwertsteuern sind viel stärker gefallen. Effektiv lagen also die Realzinsen in den letzten Jahren noch höher.

Die Unternehmen und Haushalte zahlen also drastisch erhöhte Realzinsen, auch weil die nominellen Zinssätze nach unten unflexibel sind. Sticky rates sind ein klassisches Merkmal einer Schuldendeflation. Die Banken können die reduzierten Geldmarktsätze gar nicht mehr an die Kunden weitergben. Ihre Kreditmarge ist angesichts der steil angestiegenen Quote nicht mehr bedienter Kredite viel zu gering. Diese Quote lag früher, bis in die 1990er Jahre, wie in vielen Entwicklungs- oder Schwellenländern traditionell hoch. Damals waren allerdings zwei Bedingungen ganz anders. Die Ausleihungen an den privaten Sektor waren sehr gering. Die Banken agierten bis in die 1990er Jahre primär als Staatsfinanzierer.

Und die Banken wurden für die hohen Kreditausfälle mit sehr hohen Kreditmargen entschädigt. Diese betrugen bis über 10%. Jetzt liegen die Quoten nicht mehr bedienter Kredite gemäß den Angaben der Bank of Greece für Ende 2014 bei rund 34%. Und die Kreditmargen sind auf dünne 3-4% geschrumpft. Der große Anstieg der Quote fauler Kredite steht erst noch bevor, weil jetzt die Konkurswelle bei den größeren Unternehmen einsetzen wird.

Vor diesem düsteren geldpolitischen Hintergrund sind die Entscheidungen und das Ringen zwischen den Lenkern der Eurozone und der Syriza-geführten griechischen Regierung zu sehen. Das Fazit ist unmissverständlich. Beide Seiten haben sich restlos verzockt. Eine Straffung der Finanzpolitik, zudem eine ganz massive, ist das Letzte, was in dieser ernsten Situation angemessen ist. Die Lenker der Eurozone haben diese gefordert, und alle Vorschläge der griechischen Regierung abgeschmettert. Sie haben damit die Abzugspanik für den Grexit mitgeschürt. Die ganze Politik der „Liquidität nur gegen Reformen“ ist nun ad absurdum geführt.

Die griechische Regierung ist, mit dem Rücken zur Wand, nun mit einem worst-case Paket in letzter Minute gekommen, das alle schlimmsten Befürchtungen übertrifft. Um rund 7.9 Mia EUR sollen die öffentlichen Kassen bis Jahresende 2016 entlastet werden. Der Löwenanteil, rund 7.3 Mia EUR entfällt auf die Erhöhung von Steuern und Sozialabgaben. Das ist kumuliert mehr als 4% des offiziellen BIP. Auf ein Jahr hochgerechnet entspricht dies einem finanzpolitischen Impuls von rund 2.75%. Dabei ist auch noch die Zusammensetzung miserabel. Die Mehrwertsteuer wird drastisch erhöht, vor allem für die Tourismusindustrie und die Inseln. Die Rechtfertigung für die erhöhte Mehrwertsteuer war bisher immer die indirekte Abwertung. Die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der Exportindustrie sollte verbessert werden.

Jetzt wird sie direkt und massiv verschlechtert. Die Motivation scheint klar. Die Syriza-Regierung will die Geldbeutel der kleinen Leute verschonen und die ausländischen Touristen zahlen lassen. Nur ist dies makroökonomisch nicht ohne Folgen. Die Tourismusbranche ist 2011/12 nahe an den Bankrott gegangen, als die erste Welle erhöhter Mehrwertsteuersätze über sie hinwegbrandete. Jetzt kommt eine viel größere Welle. Die Graphik zeigt die Kapazitätsauslastung in der Hotellerie. Abgesehen von fehlenden Daten in der Blüteperiode der zweiten Hälfte der 1990er Jahre ist es eine lange Zeitreihe. Nie ist es der Hotellerie so mies gegangen wie 2011/12. Damals standen vor allem die kleinen Hotels und die Hotels mit geringer Sternezahl vor dem Abgrund. Unter keinen Umständen sollte jetzt die Mehrwertsteuer so drastisch angehoben werden und die Erfahrung von 2011/12 wiederholt werden.

Doch das Paket ist in der Kombination noch weit miserabler als die einzelnen Bestandteile. Die Kombination von erhöhter Mehrwertsteuer, erhöhten Sozialversicherungsbeiträgen und erhöhten Gewinnsteuern garantiert das weitere Abdriften in den informellen Sektor, vor allem und gerade im Tourismus. Es ist restlos falsch, was diese Regierung vorschlägt, auch wenn es aus einer Situation der Verzweiflung geschieht.

In der Kombination von Geld- und Finanzpolitik ist ein Programm zur maximalen Destruktion der Wirtschaft geboren. Die Euroretter glauben an das Konzept des Primärüberschusses, eine abgewandelte Form des Brüningschen Budget-Ausgleichs. Wenn Budgetdefizite betrachtet werden sollen, dann immer nur auf zyklusadjustierter Basis. Und weil in Griechenland die Konjunktur im Keller ist, hat das Land 2014 konjunkturbereinigt einen enormen Budgetüberschuss erzielt. Bei dieser Konjunkturlage und einem ganz massiv restriktiv wirkenden geldpolitischen Impuls einen ebenfalls deutlich restriktiven finanzpolitischen Impuls einzufordern ist die größte Fehlleistung der Wirtschaftsgeschichte seit den 1930er Jahren. Die griechische Tragödie geht so in einen neuen Akt, aus dem es scheinbar kein Entrinnen mehr gibt. Vor der Geschichte werden die Akteure, welche ihr Gesicht zu wahren trachteten, als tragische Figuren wahrgenommen werden.



DWN
Unternehmen
Unternehmen Insolvenz von HH2E: Rückschlag für Habecks Energiewende - Wasserstoffprojekte in Sachsen in Gefahr
22.11.2024

Der Wasserstoff-Spezialist HH2E hat Insolvenz angemeldet, die Finanzierung durch ein britisches Private-Equity-Unternehmen ist gestoppt....

DWN
Finanzen
Finanzen US-Aktien sind heiß gelaufen: Warum immer mehr Analysten den europäischen Aktienmarkt in den Blick nehmen
22.11.2024

Vermögensverwalter Flossbach von Storch sieht zunehmend Risiken für US-Aktien. Nach der jüngsten Rekordjagd an den US-Börsen verlieren...

DWN
Politik
Politik SPD-Kanzlerkandidat steht fest: Pistorius zieht zurück und ebnet Weg für Scholz
21.11.2024

Nach intensiven Diskussionen innerhalb der SPD hat Verteidigungsminister Boris Pistorius Olaf Scholz den Weg für die erneute...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Prognose: Kryptowährung mit Rekordhoch kurz vor 100.000 Dollar - wie geht's weiter?
21.11.2024

Neues Bitcoin-Rekordhoch am Mittwoch - und am Donnerstag hat die wichtigste Kryptowährung direkt nachgelegt. Seit dem Sieg von Donald...

DWN
Panorama
Panorama Merkel-Buch „Freiheit“: Wie die Ex-Kanzlerin ihre politischen Memoiren schönschreibt
21.11.2024

Biden geht, Trump kommt! Wer auf Scholz folgt, ist zwar noch unklar. Dafür steht das Polit-Comeback des Jahres auf der Tagesordnung: Ab...

DWN
Politik
Politik Solidaritätszuschlag: Kippt das Bundesverfassungsgericht die „Reichensteuer“? Unternehmen könnten Milliarden sparen!
21.11.2024

Den umstrittenen Solidaritätszuschlag müssen seit 2021 immer noch Besserverdiener und Unternehmen zahlen. Ob das verfassungswidrig ist,...

DWN
Finanzen
Finanzen Bundesbank: Konjunkturflaute, Handelskonflikte, leere Büroimmobilien - Banken stehen vor akuten Herausforderungen
21.11.2024

Eigentlich stehen Deutschlands Finanzinstitute in Summe noch ganz gut da – so das Fazit der Bundesbank. Doch der Blick nach vorn ist...

DWN
Finanzen
Finanzen Von Dividenden leben? So erzielen Sie ein passives Einkommen an der Börse
21.11.2024

Dividenden-ETFs schütten jedes Jahr drei bis vier Prozent der angelegten Summe aus. Wäre das auch was für Ihre Anlagestrategie?...