Politik

Think Tank: EU ist auf dem Weg zur bürokratischen Planwirtschaft

Lesezeit: 6 min
30.10.2012 23:37
Wenn die EU-Regierungen noch mehr Souveränität an die EU abtreten, müsse sich Deutschland dafür die Legitimation vom Volk holen, fordert Michal Wohlgemuth, Direkter von Open Europe Berlin. Sowohl auf europäischer Ebene als auch in Deutschland herrsche ein erheblicches Demokratiedefizit.
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Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Herr Wohlgemuth, inwiefern glauben Sie, mit Open Europe Berlin zum EU-Diskurs beitragen zu können?

Michael Wohlgemuth: Das wird sicher nicht leicht; aber die Zeit ist reif! Gerade in Deutschland galt Kritik und Zweifel am scheinbar „alternativlosen“ „immer mehr Europa“ bisher als politisch inkorrekt. Es galt ein Freund-Feind Schema, das schon den fundierten „Europaskeptiker“ zum Gegner der europäischen Idee stempelte. Heute wissen wir, dass es nicht die „Skeptiker“ und „Warner“ waren (eine Mehrzahl der Ökonomen und der Bürger), die die Euro-Zone an den Rand des Kollaps gebracht haben – sondern die Euro-Optimisten, die politische Einheitsträume gegen ökonomische Gesetze durchsetzen wollten – „um jeden Preis“.

Open Europe Berlin will als Plattform für Ideen dienen, wie ein Europa der Bürger und nicht der Bürgen oder Bürokraten erreicht werden kann. Durch eigene Forschung wollen wir Transparenz in die oft undurchschaubaren europäischen Entscheidungsprozesse bringen. Wir wollen die Bürger über Kosten und Nutzen aktuell anstehender europapolitischer Entscheidungen informieren. Wir wollen Alternativen aufzeigen und diskutieren. Unsere Kriterien sind dabei ganz selbstverständliche: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Subsidiarität. Wirtschaftspolitisch heißt das: Ordnungspolitik statt Interventionismus, unverfälschter Wettbewerb statt Europäische Transferunion; kurz: zurück zur Grundidee der Sozialen Marktwirtschaft, die ja auch im Lissaboner Vertrag als Ziel der EU prominent genannt wird. Da ist aber noch viel zu tun!

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Europa und EU sind weite Felder, worauf werden Sie sich bei Ihrer Arbeit konzentrieren?

Michael Wohlgemuth: In der Tat, es gibt ja kaum mehr einen Politikbereich, der heute nicht mehr auch „europäisch“ geregelt wird. Über 100.000 Seiten „Besitzstand“ vereinheitlichter Regeln, die in allen 27 Mitgliedstaaten gleich angewendet werden müssen, sprechen für sich.

Natürlich ist unsere größte Sorge aktuell die Euro/Schuldenkrise – und das wird wohl leider noch lange so bleiben. Momentan untersuchen wir die Kosten der möglichen weiteren Vergemeinschaftung von Staatsschulden in der EU für Deutschland – also: Eurobonds in verschiedenen Variationen einschließlich des Schuldentilgungsfonds, der vom deutschen Sachverständigenrat vorgeschlagen wird. Auch arbeiten wir an einer Studie darüber, wie wenig sinnvoll der milliardenschwere Europäische Strukturfonds innerhalb Europas Steuergelder hin und her verteilt, ohne wirkliche Erfolge.

Wir wollen aber nicht nur warnen und kritisieren. Wir sind durchaus Europa-freundlich, weil wir den Kern der europäischen Einigung: Frieden, Freiheit und Freihandel begeistert mittragen und unbedingt bewahren wollen. Der freie Binnenmarkt ist noch lange nicht wirklich „vollendet“ und muss gerade jetzt wieder gegen protektionistische Tendenzen verteidigt werden. Auch wollen wir positive Beispiele herausstreichen: wir arbeiten an einem Büchlein, das 27 erfolgreiche marktwirtschaftliche Reformen beschreibt – möglichst aus allen 27 Mitgliedsstaaten der EU. Unser weites Expertennetzwerk in Europa hilft uns dabei. In manchen Ländern wird das aber schwer. Meine Freunde in Frankreich haben schon gefragt, ob auch ein Beispiel aus dem 19. Jahrhundert erlaubt sei.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: „Wirtschaftsverfassung statt Wirtschaftsregulierung“ – so lautet eine Ihrer Forderungen. Was genau ist darunter zu verstehen?

Michael Wohlgemuth: „Wirtschaftsverfassung“ ist ein Konzept der Freiburger Schule (Walter Eucken, Franz Böhm), der geistigen Väter der Sozialen Marktwirtschaft. Gemeint ist Ordnungspolitik, d.h. die Bindung der Politik und der Wirtschaft an Spielregeln wie Privateigentum, Vertragsfreiheit, Haftung, Geldwertstabilität, offene Märkte. Eine Wirtschaftsverfassung bindet alle, nach den gleichen und fairen Spielregeln zu handeln.

Eine „Wirtschaftsregierung“ bedeutet dagegen „Planification“, Wirtschaftssteuerung, Angleichung der Spielzüge und Spielergebnisse. Wenn die EU jetzt in Deutschland Quoten für Frauen in der Unternehmensleitung vorschreiben will, wenn sie mehr Universitätsabsolventen fordert (und das erfolgreiche duale System in Deutschland gefährdet), wenn sie so tut, als sei der deutsche Exporterfolg „ungerecht“ und müsse von Frau Merkel irgendwie reduziert werden, oder wenn die EZB bald entscheiden will, welche Staaten sie zu welchen Preisen über welche Banken unbegrenzt finanzieren will, dann ist das „Wirtschaftsregierung“ und eher eine Form der Planwirtschaft als Soziale Marktwirtschaft. Hier ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten, um hinter den gängigen Floskeln („mehr Europa“) die wahren Kosten (weniger Eigenverantwortung, mehr Transfers) offen zu legen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wenn die „Abtretung von Souveränität an Organe der EU nicht ohne expliziten Auftrag des demokratischen Souveräns erfolgen“ darf, inwiefern müsste sich die Struktur der EU in Open Europe Berlins Augen verändern oder muss sie das gar nicht?

Michael Wohlgemuth: Im Moment versucht die Politik, „mehr Europa“ noch immer in Nachtsitzungen des Rates (der Staats- und Regierungschefs) herbeizuführen oder ganz an den Parlamenten vorbei die Finanzierung der Staatsschulden der EZB zu überlassen (die dazu kein demokratisches Mandat hat). Dass das zumindest in Deutschland so nicht geht, hat hier nicht etwa der Bundestag angemahnt, sondern das Bundesverfassungsgericht. Ich will aber auch nicht polemisch und überheblich über die Bundesregierung und unser Parlament richten – die haben eine schrecklich schwere Aufgabe: eine sehr akute Krise zu bewältigen und gleichzeitig sowohl die deutsche Verfassung zu achten als auch die deutsche öffentliche Meinung und die internationalen Finanzmärkte zu beruhigen.

Dennoch gibt es eine schlichte Formel für jede rechtsstaatliche Demokratie: Der Souverän ist das Volk. Er wird repräsentiert durch das Parlament. Das wählt eine Regierung. Die Regierung wiederum ist in der EU mitsamt der anderen Regierungen der EU „Herr der Verträge“ und kann sich einstimmig mit den anderen dazu entscheiden, Souveränitätsrechte an die EU abzutreten. Dann muss sich die Regierung aber ihre Legitimation von da herholen, wo sie sie letztlich her hat - vom Souverän, vom Volk. Das heißt in der Konsequenz nichts anderes als: Volksabstimmung.

Und wenn die EU nun etwa eigene Steuern erheben will oder die Eurozone ihr eigenes zusätzliches Budget aufstellen will, dann muss sie auch für sich zwei demokratische Grundregeln akzeptieren, ohne die sich kein Mitgliedsstaat für die EU qualifizieren würde: „no taxation without representation“ und: „one man, one vote“. Das heißt: jeder EU-Bürger und Steuerzahler müsste dasselbe Stimmgewicht haben bei der Wahl eines EU Parlaments, das sich für Steuererhebungen und -erhöhungen in allgemeinen, gleichen Wahlen zu verantworten hätte.

Für eine echte demokratische Kontrolle auf europäischer Ebene fehlen derzeit (und für lange Zeit) alle Voraussetzungen: eine  informierte und europaweite Öffentlichkeit, ein europäisches Parteiensystem mit konkurrierenden Agenden und vieles mehr. Das europäische Demokratiedefizit beginnt dagegen ohnehin zuhause: wenn der Bundestag sich etwa vom deutschen Verfassungsgericht immer wieder sagen lassen muss, man möge sich doch ernsthafter darum kümmern, dass deutsche Steuergelder auch in der Kontrolle seiner Volksvertreter verbleiben mögen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie finanziert sich Ihre gGmbH?

Michael Wohlgemuth: Im Moment vor allem durch eine bemerkenswerte Persönlichkeit: Tom Kremer – ein Holocaust-Überlebender, der als mittelständischer Unternehmer Spiele wie Rubiks „Zauberwürfel“ vermarktet hat und dabei zu Wohlstand gelangt ist: Tom hat uns eine Anschubfinanzierung gewährt, die für das erste Jahr reichen soll. Danach sind wir auf Spenden angewiesen, die hoffentlich eher aus dem deutschen Raum kommen sollen.

Ich will auch da ganz transparent sein (wie wir es für die EU in weitaus größeren Maßstäben wünschten): Open Europe Berlin hat im Moment ein Jahresbudget von ca. 220.000 EUR. Open Europe Berlin: das sind meine Kollegin Nora Hesse und ich. Im Moment helfen uns Studierende bei der Pionierarbeit für den Preis einer warmen Mahlzeit und einer Praktikumsbescheinigung. Wir haben ein 19qm Büro in der Oranienburger Straße 27 gemietet, das mit gebrauchten IKEA Regalen möbliert ist.

Das klingt weinerlich, ist es aber nicht. Es geht! Wichtig (gerade auch für mich als viele Jahre vom Staat bezahlter Student, Soldat, Uni-Assistent, Doktorand, Professor) ist: wir nehmen keine Steuergelder – auch keine EU-Gelder! Im Gegenteil: wir wollen durch unsere Arbeit die Haftung der deutschen und anderer Steuerzahler für verfehlte europäische Politik minimieren. Und: wir werden als gemeinnützig anerkannte Organisation (gGmbH) auch die Steuerbelastung derer senken können, die uns unterstützen! Wir wollen auch nicht gleich große Aktiengesellschaften um Unterstützung „anhauen“, deren Manager ähnlich wie Verwalter von Steuergeldern das „Geld der Anderen“ spendieren. Wir hoffen vielmehr auf wirklich private Geldgeber für eine gemeinnützige Sache (Forschung, Bildung, Demokratie – so steht es in unserer Satzung).

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie schreiben davon, dass Open Europe Berlin eine „eigenständige deutsche Denkfabrik“ ist. Wie ist Ihr Verhältnis zur britischen Mutter Open Europe?

Michael Wohlgemuth: Sowohl finanziell als auch ideell sind wir – mit voller Unterstützung von Open Europe in London – dabei, uns von der Mutter abzunabeln und uns als eigenständige Partnerorganisation zu behaupten. Meine Kollegen und Freunde in London haben uns großartig unterstützt: wie man eine Webseite aufbaut, welche Forschungsarbeiten für Deutschland relevant sind u.v.m. Auch weil das Team in London viel größer ist, werden wir weiter und gerne auf ihre Unterstützung unserer Forschung zurückgreifen. Open Europe Berlin ist aber weder rechtlich noch ideell eine Filiale von „London“ oder der „City“.

Open Europe in London und Brüssel sind unsere Hebammen. Wir in Berlin wollen und können aber schon jetzt selbst anfangen, nicht nur zu krabbeln, sondern aufrecht zu gehen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie selbst engagieren sich auch bei der Konrad Adenauer Stiftung, als Mitglied des Ordnungspolitischen Beirats und Kollegprofessor. Wie stellen Sie sicher, dass diese Tätigkeiten ihre Arbeit als Direktor von Open Europe Berlin nicht beeinflussen – immerhin ist die Konrad Adenauer Stiftung ja eine Stiftung der CDU?

Michael Wohlgemuth: Ich selbst bin in keiner Partei. Auch Open Europe Berlin ist überparteilich. Wir haben Kontakt zu fast allen parteinahen Stiftungen. Es spricht für die Adenauer Stiftung, dass sie sich in ihren ordnungspolitischen Beirat auch Leute holt, wie etwa auch Heike Göbel von der FAZ, die auch gegenüber der CDU Politik eine kritische Distanz haben. Es geht um die Sache der Ordnungspolitik und da berate ich gern jede Partei und Organisation. Das Promotionskolleg „Soziale Marktwirtschaft“ ist eine tolle Sache; es geht darum, Dissertationen zu betreuen, die ordnungspolitische Fragestellungen wissenschaftlich aufgreifen. Auch hier gilt es, eine Lücke zu füllen: gerade in meinem Fach, der Volkswirtschaftslehre, ist das Denken in Ordnungen, das Berücksichtigen von Institutionen und Werten, allzu sehr einem Denken in abstrakten Modellen gewichen.


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