Politik

Empfehlung aus Frankreich: Deutschland soll aus dem Euro austreten

Lesezeit: 4 min
05.08.2015 00:33
Die Verwerfungen wegen der Griechenland-Krise haben in Frankreich tiefe Spuren hinterlassen. Nun werden erste Stimmen in den französischen Eliten laut, die sagen, es gäbe nur zwei Möglichkeiten: Den geordneten Austritt Deutschlands aus dem Euro oder das wirtschaftliche Chaos. Dieses werde sich einstellen, wenn Frankreich oder ein anderer Süd-Staat gezwungen würden, den Euro-Raum zu verlassen.
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Die französische Produktivität liegt deutlich über der von Deutschland. (Grafik: Flassbeck Economics)

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Während sich in Griechenland die „Verhandlungen“ über den nächste „Hilfs“-Paket mehr mühsam als konstruktiv dahinschleppen, diskutieren die französischen politischen Eliten bereits die nächsten Schritte. Sie haben das Vertrauen in Deutschland verloren, ganz so, wie Angela Merkel das Vertrauen in die Syriza-Regierung verloren hat. Unter solchen Umständen ist eine politische Union in Europa nur schwer vorstellbar. Viel naheliegender sind da Gedanken über die Frage, wer zuerst aus dem Euro austreten solle – Frankreich oder Deutschland.

Shahin Vallée, früher Berater im französischen Wirtschaftsministerium und des früheren EU-Ratspräsidenten, hat in der New York Times eine ziemlich desillusionierte Analyse abgeliefert: Er kritisiert Deutschland heftig und geht davon aus, dass die harte Haltung Deutschlands gegenüber Griechenland nur ein Vorspiel zu dem ist, was kommen wird: eine fundamentale Auseinandersetzung zwischen Frankreich und Deutschland über die Zukunft der Europäischen Union.

Vallée glaubt nicht, dass dieser grundsätzliche Konflikt durch einen Kompromiss im Einvernehmen gelöst werden könne. Deutschland sehe den Euro als nicht mehr als einen festen Wechselkurs an. Deutschland habe eine in der deutschen Öffentlichkeit überzeugende Interpretation vorgelegt, wonach die politische Stabilität der Euro-Zone nur gewahrt werden könne, wenn die Regeln eingehalten werden. Wie der britische Historiker Harold James erläutert, hätte Deutschland aus seiner Geschichte gelernt, dass eine Staatenbund in der Tat nur mit Regeln funktionieren könne, weil es keine exklusive demokratische Repräsentation auf europäischer Ebene gibt.

Frankreichs Vision, so kritisiert Vallée, sei zu vage: Einerseits sehe Frankreich den Euro als die Vorstufe zu einer Geldpolitik nach Keynes, wonach die Geldpolitik der entscheidende Hebel sei, um in Krisen gegenzusteuern. Doch damit dies funktioniert, müssten die einzelnen Staaten ganz wesentliche Teile ihrer Souveränität aufgeben. Genau das könnten die französischen Eliten ihren Wählern nicht vermitteln. In Ermangelung eines klaren Gegenmodells zur deutschen Disziplin sei nicht zu erwarten, dass Frankreich in der Lage sein werde, gemeinsam mit Italien und Spanien eine Allianz gegen Deutschland aufzubauen.

Frankreichs Präsident Francois Hollande hatte dies in einem Zeitungsbeitrag zwar skizziert und die französische Linie wird seit längerem von den Italienern unterstützt. Doch Vallée gibt dieser Achse keine Chance. Daher müssten sich alle französischen Parteien, inklusive der „europafreundlichen“, nun aktiv mit der Frage auseinandersetzen, „welche Vorteile der Austritt aus der Währungsunion bringen“ würde.

Vallée glaubt, dass der Streit um Griechenland dazu führen werde, dass die eine Spaltung der Euro-Zone kommt. Er schreibt: „Die Frage ist, ob dieser Bruch in Form eines geordneten Austritt Deutschlands geschieht, oder ob es zu einem langsamen, wirtschaftlich viel zerstörerischen Austritt Frankreichs und der europäischen Süd-Staaten kommen wird.“ Es ist eindeutig, dass die französischen Eliten an dem Chaos kein Interesse haben und solcherart Deutschland unverhohlen nahelegen, aus der Gemeinschaftswährung auszutreten.

Etwas weniger drastisch, aber nicht minder konsequent, hat das französische EZB-Mitglied Benoît Cœuré die Lage beschrieben. In einem Interview mit Le Monde sagte Cœuré, dass die Euro-Zone mit ihren gegenwärtigen Strukturen nicht funktioniere. Als Beweis führt Cœuré an, dass sich 19 Regierungschefs bei Gipfel in Brüssel 17 Stunden lang eingesperrt hätten, um „die Details für ein Land zu besprechen, welches weniger als zwei Prozent der Wirtschaftsleistung der Euro-Zone ausmacht“. Für Cœuré ist klar, dass das Prinzip der intergouvernementalen Fühung gescheitert ist. Wenn die Euro-Chefs nicht eine alternative Struktur entwickeln, werde sich die Griechenland-Krise wieder und wieder wiederholen. Der Geist des Euro-Austritts eines Landes sei aus der Flasche. Das dauerhafte Scheitern der Währungsunion werde nachhaltige Folgen auch für die Wirtschaft in Europa haben.

Die französischen Gedanken laufen dem Ansatz von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble diametral entgegen. Schäuble will einen Kern-Euro. Die Voraussetzung für diese, dann notwendigerweise enge politische Union, sei die Bereitschaft, die fiskalpolitischen Regeln von Maastricht einzuhalten.

Ambrose Evans-Pritchard vom Daily Telegraph, geht noch einen Schritt weiter und sieht in einer Analyse vor allem die linken Parteien in den Euro-Staaten unter Zugzwang: Zwar habe die Podemos in Spanien laut jüngsten Umfragen an Boden verloren, doch dies solle nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Linke in Europa vor einem echten Paradigmenwechsel stehe. Evans-Pritchard sieht die neuen linken Parteien als radikale Bewegungen im Sinne Lenins, die das klassische Konsens-Modell der Sozialdemokraten in Frage stellen. Evans-Pritchard glaubt, dass eine echte sozialistische Bewegung keine Austeritätspolitik propagieren könne. In Griechenland war die Pasok, ein Mitglied der Sozialistischen Internationale, genau wegen dieser Unvereinbarkeit der ideologischen Positionen mit der politischen Realität, in der Bedeutungslosigkeit verschwunden.

Evans-Pritchard hält sogar einen „europäischen Bürgerkrieg“ für möglich. Er stimmt darin mit dem früheren stellvertretenden italienischen Finanzminister Stefano Fassina überein, der in einem Blog-Beitrag eine „kontrollierte Auflösung der Euro-Zone“ vorschlägt. Nur so könnten sich einzelne Länder dem „neoliberalen Merkantilismus“ von Ländern wie Deutschland entziehen. Fassina, ein Vertrauter von Premier Matteo Renzi, spricht sogar von der Notwendigkeit einer „europäischen Befreiuungs-Front“.

Die unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Ansätze gehen auch mit einer „jederzeit leicht zum Leben zu erweckenden Germanophobie“ einher, wie Vallée schreibt. Diese rührt auch daher, dass sich die Franzosen zu Unrecht als wirtschaftlich minderwertig dargestellt sehen. Der Ökonom Heiner Flassbeck hat in einer Vorlesung in Berlin dargelegt, dass Frankreich, anders als in Deutschland behauptet, die Ziele der Währungsunion besser verwirklicht habe als Deutschland. Er verweist auf die Inflation und vor allem auf die Produktivität, die demnach in Frankreich besser sei als in Deutschland:

Zuletzt hatten US-Ökonomen Deutschland den Austritt aus dem Euro nahegelegt. Ob die Bundesregierung unter Angela Merkel einen solchen Schritt klammheimlich plant oder zumindest bereit ist, ihn als letzte Konsequenz aus einer weiterhin völlig unübersichtlichen Lage billigend in Kauf nimmt, ist unklar. Ein Weiter-wie-bisher wird jedoch spätestens zu dem Zeitpunkt nicht mehr möglich sein, wenn die nächsten Kredite an Griechenland vergeben sein werden, ohne dass sich die Wirtschaft im Land wirklich bessert. Vermutlich werden sich die Euro-Retter mit neuen „Brücken-Krediten“ über den Sommer retten.

Aber in wenigen Monaten dürfte der Grexit erneut auf der Tagesordnung stehen. Er mag auf den Finanzmärkten beherrschbar erscheinen. Die politische Ansteckung ist nicht mehr zu vermeiden. Ohne echte politische Gestaltungskraft wird es sehr schwer sein, die Euro-Zone zusammenzuhalten. Politiker, die das Format und die Reputation haben, einen solchen Kraftakt zu stemmen, sind am europäischen Horizont nirgendwo zu erkennen.


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