Deutschland

Schüler-Kontrolle: Berlin will Schulnoten ins Internet stellen

Lesezeit: 3 min
04.11.2012 00:50
Der Trend, immer mehr Daten im Internet verfügbar zu machen, hat nun auch die Schulen erreicht. Die Einführung neuer Software an Berliner Schulen soll Arbeitsabläufe vereinfachen. Doch die Verfügbarkeit von Schülerdaten im Internet ist ein erheblicher Angriff auf die Privatsphäre und ein weiterer Schritt in Richtung Überwachung der Bürger.
Schüler-Kontrolle: Berlin will Schulnoten ins Internet stellen

Die Adresse des Schülers, die Telefonnummer seiner Eltern, sein Stundenplan, seine Noten, seine entschuldigten und unentschuldigten Fehlzeiten, auffälliges Verhalten („Moritz stört den Unterricht“) – all das und mehr soll demnächst in Berlin über das Internet zugängig gemacht werden. Dies birgt erhebliche Gefahren. Einerseits besteht Sorge um die Sicherheit der Daten, andererseits wird hier eine weitere Tür in Richtung totale Überwachung der Bürger durch den Staat aufgemacht.

Ab November wird in Berlin erstmals das sogenannte elektronische Klassenbuch erprobt, sagte ein Sprecher der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft den Deutschen Wirtschafts Nachrichten. Dabei handelt es sich um ein System, das den Stunden- und Vertretungsplan „für alle Lehrer und Schüler im Internet oder auf dem Handy darstellt“, so der österreichische Hersteller Gruber und Petters. Weitere Funktionen seien die zentrale Eingabe von Fehlzeiten im Sekretariat und die einfache Dokumentation des Lernstoffs durch die Lehrer (Herstellerseite hier).

Ab Februar 2013 besteht für die zehn in der Pilotphase teilnehmenden Berliner Schulen außerdem die Möglichkeit, im Falle unentschuldigten Fehlens eine SMS an die Eltern auszulösen. Die Teilnahme am SMS-Versand sei für die Eltern jedoch absolut freiwillig, sagte der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix den Deutschen Wirtschafts Nachrichten. Eltern müssten ihre Handynummern nicht angeben. Auch dürfe die SMS keine personenbezogenen Daten über den Schüler enthalten, nur etwa die Bitte um Kontaktaufnahme.

Das elektronische Klassenbuch verspricht, die Verwaltungsarbeit für Lehrer und Schulleitung deutlich zu vereinfachen, so der Schulleiter der teilnehmenden Friedensburg-Oberschule Paul Schuknecht zu den Deutschen Wirtschafts Nachrichten. Er habe sich persönlich für die Teilnahme seiner Schule am Probelauf eingesetzt. Fehlzeiten zum Beispiel müssten nur einmal per Mausklick im System vermerkt werden und seien dann sofort für die weitere Verwendung durch alle Beteiligten verfügbar. Eine SMS, die lediglich die Bitte um einen Rückruf enthält, findet der Schulleiter nicht problematisch.

Von offizieller Seite wird beteuert, die Teilnahme am elektronischen Klassenbuch sei freiwillig. Aber wenn die Schule sich für das System entschieden hat, können einzelne Eltern sich eben nicht verweigern und die Daten ihres Kindes landen auf einem Server im Internet. Zwar können sie ihre Handynummer zurückhalten. Doch was ist, wenn zum Beispiel ein Großteil der Schulklasse am SMS-Versand teilnimmt, was dem Lehrer ja die Arbeit erleichtert? Wie groß wird der Druck auf den einzelnen Schüler, dessen Eltern nicht teilnehmen und der dem Lehrer folglich zusätzliche Arbeit macht? Und wie lange noch werden die Schulen über ihre Teilnahme am elektronischen Klassenbuch selbst entscheiden dürfen?

Sandra Scheeres, Senatorin für Bildung, Jugend und Wissenschaft des Landes Berlin (SPD), sagte auf eine Anfrage der Piratenpartei: „Ein unbefugter Zugriff auf das elektronische Klassenbuch ist systembedingt ausgeschlossen.“ Doch Datensicherheit konnte in der Vergangenheit noch nicht einmal von großen privaten Unternehmen gewährleistet werden, obwohl diese ein großes Eigeninteresse an der Sicherheit ihrer Kundendaten hatten. Denn in der Privatwirtschaft kann der unzufriedene Kunde einfach den Anbieter wechseln. Den Schulanbieter kann man in Deutschland nur in begrenztem Umfang wechseln, denn es besteht Schulpflicht. Ein großes Verantwortungsbewusstsein mit Kundendaten findet sich daher im öffentlichen Dienst sicherlich nicht. Mit hoher Datensicherheit ist nicht zu rechnen.

Das in Berlin verwendete elektronische Klassenbuch ist „in anderen Bundesländern schon zum Einsatz gekommen und teilweise aus Datenschutzgründen wieder abgeschafft worden“, sagte Martin Delius, bildungspolitischer Sprecher der Berliner Piratenfraktion, den Deutschen Wirtschafts Nachrichten. Wie das elektronische Klassenbuch funktioniert, zeigt das Albert-Einstein-Gymnasium in Bremen. Die Lehrer können sich seit diesem Jahr auf der Seite der Schule in das elektronische Klassenbuch einloggen (hier) und haben sofort Zugriff auf die Daten der Schule.

Die Kosten der Software liegen bei 72.690 Euro, so Delius auf seiner Homepage (hier). Dieses Geld könne an anderer Stelle Besseres bewirken. Er wirft dem Senat vor, er setze auf „Überwachung und Kontrolle“ anstelle von „Überzeugung, Betreuung und Attraktivität der schulischen Angebote“. Er befürchtet gar einen „öffentlichen Pranger mit live-Fehlzeiten im Internet“. Auch zweifelt Delius, inwiefern die Lehrer überhaupt willens und in der Lage sein werden, die neue Software effektiv anzuwenden.

Woran man in der Schule gewöhnt worden ist, das hält man oft auch als Erwachsener für normal. Man lernt, den Autoritäten zu gehorchen und ihr Urteil in Form von Lob, Kritik und Noten anzunehmen. Nun wird in Berlin mit dem elektronischen Klassenbuch dafür gesorgt werden, dass Schulabgänger es für ganz normal halten, wenn der Staat immer mehr Daten der Bürger nach Belieben speichert, auswertet und für seine Zwecke nutzt. Und niemand kann vorhersagen, welche Zwecke der Staat in Zukunft verfolgen wird. Wird es etwa unter dem Vorwand der „Terrorbekämpfung“ alternativlos werden, Schüleräußerungen zu politischen Themen im elektronischen Klassenbuch festzuhalten? Wird der Staat mithilfe der Schulen „terrorverdächtige“ Schüler identifizieren, die er dann Zeit ihres Lebens beobachten oder ins Gefängnis stecken wird?

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