Die US-Notenbank Fed hält sich die Tür für eine Zinserhöhung im September zwar weiter offen. Vizepräsident Stanley Fischer sagte am Samstag in Jackson Hole (Wyoming) laut einem von der Fed übermittelten Redemanuskript, es sei nicht unwahrscheinlich, dass sich die Auslöser der derzeit niedrigen Inflation langsam auflösten. Allerdings lässt sich aus den Worten Fischers nicht ablesen, ob die Fed ihren Plan, die Leitzinsen im September zu erhöhen, wirklich weiter verfolgt.
Fischer sagte nämlich, dass die Entscheidung auch von der Entwicklung an den Finanzmärkten abhängen werde. Diese hatten nach Einschätzung der chinesischen Zentralbank in Erwartung von höheren Zinsen in der vergangenen Woche eine veritablen Einbruch erlebt. Es ist gut möglich, dass Fischers Aussagen zu einem weiteren Test an den Börsen führen könnten. Traditionell reagieren die Börsen in der Woche nach einem signifikanten Absturz unberechenbar - es kann deutlich nach oben oder nach unten gehen.
Wichtige Geldpolitiker aus der ganzen Welt waren am Donnerstag zu ihrem jährlichen informellen Treffen in Jackson Hole zusammengekommen, das am Samstag endete.
Fischer sagte, es gebe gute Gründe für eine wieder - über zwei Prozent - steigende Inflation. So begännen sich zum Beispiel einige Effekte für einen starken Dollar und den Absturz des Ölpreises allmählich aufzulösen. Beides seien Schlüsselfaktoren für eine niedrige Inflation.
Politik und Märkte warten mit großer Spannung, ob die Fed bei ihrer nächsten Sitzung am 16. und 17. September eine Zinswende einleiten wird. Sie galt seit Monaten als praktisch ausgemacht, aber zuletzt äußerten sich führende Vertreter der Notenbank, Investoren und Analysten wieder zurückhaltender.
«Bei unseren geldpolitischen Entscheidungen interessieren wir uns mehr dafür, wohin die US-Wirtschaft geht als dafür, woher sie kommt», sagte Fischer. In diesem Zusammenhang dürfte die Fed mit einer gewissen Sorge nach Kanada blicken: Der wichtigste Handelspartner der USA steht vor einer technischen Rezession, wie Bloomberg meldet. Eine fundamentale Schwäche Kanadas wäre für die USA wesentlich unangenehmer als die Schwäche Chinas.
In Jackson Hole sprachen die Notenbanker auch über die Folgen des Einbruchs des chinesischen Aktienmarktes und die jüngsten, schweren Turbulenzen an den Finanzmärkten. Fischer sagte, die Fed beobachte die Geschehnisse in China andauernd.
«Wir müssen den Gesamtzustand der US-Wirtschaft genauso beachten wie den Einfluss anderer Volkswirtschaften auf die USA», sagte Fischer. Wie auch in einem Interview mit dem Sender CNBC am Freitag machte Fischer neuerlich klar, dass die jüngsten Wirtschaftsdaten und die Entwicklung der Finanzmärkte in den nächsten beiden Wochen entscheidend für die Entscheidung über die künftigen Zinsen sind.
In der Finanzkrise wurde Jackson Hole als Tagungsort der Notenbanker ein Begriff. Weil nun sowohl die Chefin der US-Notenbank Fed, Janet Yellen, als auch der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, nicht teilnahmen, war das Treffen weniger brisant als in den Vorjahren. Fischers Rede war einer der Höhepunkte. Warum Yellen und Draghi dem Treffen ferngeblieben sind, ist unklar. Es ist gut denkbar, dass sich die Zentralbanker unsicher sind, welche Bedeutung ihre Aussagen in einem von ständigen Mutmaßungen und Spekulationen geprägten Umfeld haben.