Das Pentagon hat zum ersten Mal seit dem Ende des Kalten Krieges seine Notfallpläne für einen Krieg mit Russland überarbeitet. Die neuen US-Pläne für das Baltikum bestehen aus zwei Teilen: Zum einen umfassen sie Aufgaben, welche die USA innerhalb der NATO zm Schutz der baltischen Staaten ausüben können. Zum anderen beschreiben sie auch die Möglichkeit von militärischen Alleingängen der USA. Der Fokus der neuen Pläne liegt auf der Abwehr sogenannter hybrider Kriegsführung. Dabei handelt es sich um den Einsatz irregulärer Truppen, wie sie von Russland zuletzt bei der Übernahme militärischer Stützpunkte auf der Krim eingesetzt wurden. Außerdem beinhaltet sie die gezielte Destabiliserung der Region durch organisierte Massenproteste und den Einsatz von Cyberattacken auf kritische Infrastuktur.
„Sie versuchen herauszufinden, unter welchen Umständen das US-Verteidigungsministerium auf eine Cyberattacke reagieren würde. Es herrscht zurzeit eine lebhafte Debatte dazu“, zitiert Foreign Policy einen Militärberater der US-Regierung. Dabei geht es auch um die Frage, ob ein Cyberangriff den NATO-Bündnisfall auslösen kann. NATO-Vizegeneralsekretär Jamie Shea sagte kürzlich auf einer Konferenz in Potsdam, dass ein Hackerangriff auf ein Mitgliedsland die NATO auf den Plan rufen würde. Zuletzt führte die NATO in Estland ein Manöver zu Cyberattacken durch.
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Als Grund für die neuen Kriegspläne des Pentagon muss erneut der angebliche russische Einmarsch in der Ukraine herhalten. „Russlands Invasion der östlichen Ukraine brachte die USA dazu, ihre Notfallpläne abzustauben. Sie waren ziemlich veraltet“, zitiert Foreign Policy Michèle Flournoy und Mitbegründer des Center for a New American Security (CNAS). Der Think-Tank mit Sitz in Washington wurde erst im Jahr 2007 gegründet, konnte sich jedoch seither als einer der einflussreichsten Organisationen bei militärischen Fragen etablieren. Finanziert wurde die Organisation durch Steuergelder sowie durch Zuschüsse vom Rockefeller Brothers Fund, wie der US-Journalist Justin Raimondo berichtet. CNAS steht zwar der demokratischen Partei nahe, vertritt bei militärische Interventionen jedoch die gleiche Ideologie wie die US-Neokonservativen. So sieht CNAS-Agenda die „Entwicklung starker, pragmatischer und prinzipientreuer Sicherheits- und Verteidigungsstrategien vor, die amerikanische Interessen und Werte fördern und schützen.“
Seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise hat die NATO zahlreiche Kriegsspiele zu Konflikten in den baltischen Staaten durchgeführt. Das Szenario sah dabei vor, dass Russland zunächst den politischen Druck auf Estland, Lettland und Litauen erhöht. Anschließend traten russische Provokateure auf den Plan, die Proteste in der Bevölkerung auslösten. Und schließlich besetzten irreguläre Truppen die Regierungsgebäude. Verantwortlich für die Durchführung dieser Kriegsspiele, die im Pentagon und in der US-Militärbasis Ramstein in Deutschland stattfanden, war David Ochmanek. Er ist Militärstratege im US-Verteidungsministerium und bei der RAND Corporation. Der US-Think-Tank berät die Regierung seit Jahren bei sicherheitspolitischen Fragen. „Unsere Frage lautete: Ist die NATO in der Lage diese Länder zu verteidigen? Wir haben 16 Mal mit acht verschiedenen Teams gespielt und das Ergebnis war immer das Gleiche: Wir sind nicht in der Lage diese Länder zu verteidigen. Wir haben einfach nicht die Truppenstärke in Europa“, so Ochmanek gegenüber Foreign Policy.
Angesichts von mehr als 40.000 US-Soldaten allein in Deutschland, fällt es schwer dieser Schlussfolgerung Glauben zu schenken. Vielmehr scheinen die Kriegsspiele als Rechtfertigung für höhere Militärbudgets in den östlichen NATO-Ländern und für eine verstärkte Präsenz von US-Truppen in Europa zu dienen. Die USA haben bereits angekündigt, zusätzliche Panzer und Artillerie in den baltischen Staaten zu stationieren, wie CNN berichtet. Seit Ausbruch der Ukraine-Krise hat die NATO massenhaft schweres Kriegsgerät nach Osten transportiert. Im vergangenen Jahr wurden über 3.200 Militärtransporte allein über österreichisches Bundesgebiet durchgeführt, obwohl Österreich kein NATO-Mitglied ist und sich in seiner Verfassung zur Neutralität verpflichtet hat. Auch Deutschland spielt bei den NATO-Plänen eine Schlüsselrolle. In der Ukraine führte das westliche Militärbündnis kürzlich die Manöver „Rapid Trident“ und „Sea Breeze“ durch, an denen auch die Bundeswehr teilnahm. Obwohl die Nato einen Zusammenhang der Übungen mit „tatsächlichen Weltereignissen“ leugnet, sehen Kritiker wie die Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel darin den „Teil einer Eskalationspolitik“.
Die US-Regierung zieht offenbar auch das Szenario eines taktischen Atomschlags in Betracht. Das Pentagon beruft sich in seiner Planung auf Russlands Verteidigungsdoktrin, in der sich das Land einen Nuklearschlag als letztes militärisches Mittel vorbehält. „Doktrin heißt sicherlich nicht, dass sie es tun würden, aber es wäre verantwortungslos diese Aspekte nicht wenigstens zu durchdenken. Jedes Mal, wenn es nukleares Säbelrasseln gibt, ist das Grund zur Besorgnis, egal woher es kommt“, zitiert Foreign Policy einen Vertreter des US-Verteidigungsministeriums. In Kürze werden neue US-Atombomben auf deutschem Boden stationiert, obwohl noch 2009 der Abzug der alten amerikanischen Nuklearwaffen beschlossen wurde. Russland kündigte bereits Gegenmaßnahmen an. So könnten etwa ballistische Raketen vom Typ Iskander an der polnischen Grenze stationiert werden, so ein russischer Militärvertreter.
Bisher sind die Pentagon-Pläne für das Baltikum nur Kriegsspiele. Und doch sollen sie auch ein deutliches Signal an Russland senden. Der Militärstratege Ochmanek gibt sich zuversichtlich, dass die NATO Russland bei einem möglichen Konflikt im Baltikum langfristig zurückdrängen würde. „Am Ende habe ich keine Zweifel, dass sich die NATO durchsetzen und die territoriale Integrität aller NATO-Länder wiederherstellen wird. Aber ich kann nicht dafür garantieren, dass es einfach oder ohne großes Risiko sein wird.“