Politik

TTIP-Aktionsbündnis: EU-Kommission täuscht Einlenken vor

Die Bürgerinitiative „Stopp TTIP“ kritisiert deutlich die neue Handelsstrategie der EU-Kommission. Schon die wirtschaftspolitischen Grundannahmen seien zu hinterfragen. „Eine Abkehr von Verdrängung und einer kapitalistischen Profit-Maximierung orientierten Wirtschaft ist auf europäischer Ebene nicht zu erkennen“
19.10.2015 10:40
Lesezeit: 3 min

Nachdem die Deutschen Wirtschafts Nachrichten im Zuge der TTIP-Berichterstattung die neue Handelsstrategie der EU-Kommission vorgestellt hat, hat sich nun auch das  TTIP-Aktionsbündnis gegenüber den Deutschen Wirtschafts Nachrichten zur neuen Strategie geäußert:

„Auf den anhaltenden Widerstand der Menschen in Europa aber auch den USA gegen die geplanten Freihandelsabkommen wie TTIP, CETA und TiSA stellt Frau Malmstroem also eine „neue Handels- und Investitionsstrategie“ vor.

Dabei geht Frau Malmstroem von grundlegend hinterfragenswürdigen wirtschaftspolitischen Paradigmen aus:

Durch Freihandel und Exporte würden überproportional Arbeitsplätze in der EU geschaffen.

Viele Beispiele zeigen, dass Länder mit hohen Exportüberschüssen, dies nur auf Kosten der importierenden Länder (wo Arbeitsplätze wegfallen) bzw. auf Kosten der Arbeitsbedingungen und Lohnstückkosten im eigenen Land können. Bestes Beispiel dafür ist z.B. Deutschland, das durch seine hohen Exportüberschüsse Produktionszweige in Nachbarländern massiv unter Druck setzt (z.B. fleischverarbeitende Industrie, Landwirtschaft, Lebensmittelindustrie). Auch die USA haben dieselbe Strategie gegenüber Mexiko (innerhalb des Freihandelsabkommens NAFTA mit Mexiko und Kanada von 1994) angewandt: Versprochen wurden Arbeitsplatzzuwächse auf beiden Seiten. In der Realität haben die USA den mexikanischen Markt mit hochsubventioniertem Mais überschwemmt, was in Folge dazu geführt hat, dass rund 3.000.000 Kleinbauern ihre Existenz verloren haben. 55 Millionen Mexikaner leben in extremer Armut. Die Obama Regierung musste z.B. alleine 2012 11 Milliarden in die „Grenzsicherung“ investieren. Während in den USA durch Auslagerung in das benachbarte Billiglohnland tausende hochqualitative Industriearbeitsplätze verlorengingen (z.B. in der Autozulieferindustrie).

Durch Freihandel könnten die hohen Standards der EU weltweit Geltung bekommen.

Freihandel zementiert grundsätzlich den Ist-Zustand bei Vertragsabschluss. Auch die EU hat in vielen Bereichen einen Nachholbedarf: Im Bereich der Lebensmitteldeklaration, des Pestizideinsatzes beispielsweise. Verbesserungen von Standards in umwelt-, sozial- und arbeitsrechtlichen Bereichen sind bei gleichzeitiger Einklagemöglichkeit des Status bei Vertragsabschluss oder Investitionsbeginn nur mehr schwer bis nicht durchführbar. Nebenbei „kosten“ hohe Standards „Wettbewerbsfähigkeit“ gegenüber anderen Ländern.

Menschen würden von niedrigen Preisen, größerer Auswahl und Innovation profitieren.

Nicht erwähnt wird dabei, dass niedrigere Preise für Konsumartikel durch niedrige Löhne, Mechanisierung und Digitalisierung (Wegfall von Arbeitsplätzen) erzeugt wurden. Die Kaufkraft ist daher insbesondere in den südeuropäischen Ländern gesunken. Die größere Auswahl kann nur durch höhere Transportkapazitäten bewältigt werden, was direkt zur Verdrängung lokaler, regionaler Produktion führt. Innovation findet nur dort statt, wo auch billige Produktionskapazitäten vorhanden sind, was zu massiven Auslagerungen in Billiglohnländer geführt hat.

Menschen in der EU würden sich Wachstum durch Export wünschen, gleichzeitig soll die Strategie auch Nachhaltigkeitsziele verfolgen.

Eine Ausweitung von Export und damit auch der zurückgelegten Kilometer in Produktion und Vertrieb sind unvereinbar mit den europäischen Klimazielen.

Grundsätzlich geht auch diese vorgelegte Strategie von der Annahme aus, dass Freihandel nur Gewinner produziert. Das Gegenteil ist der Fall: Freihandel begünstigt immer den Marktführer in einer Branche und schafft Monopolstellungen auf Kosten von Arbeitnehmerrechten, Löhnen, Produktsicherheit und Umwelt. So erhoben die USA Zölle von 35 bis 50% von 1820 bis 2. WKR, erst nach Erreichung von  Weltmarktführung begannen sie Zölle abzubauen.

Was Frau Malmstroem nicht erwähnt:

Der umstrittene Investorenschutz, der Konzerne zu völkerrechtsartigen Subjekten werden lässt, der Staaten auf Milliarden aufgrund vermeintlich entgangener Gewinne klagen kann, wird nicht erwähnt in der neuen Strategie. Damit verbunden sind die schon derzeit stattfindenden sog. Chilling Effekte, wobei Staaten gewisse Gesetze nicht mehr ratifizieren aufgrund befürchteter Klagen.

CETA, das im Herbst dem Parlament zur Ratifizierung vorgelegt werden soll, dürfte also nicht mehr in die neue Strategie fallen, was natürlich fatal wäre, da US amerikanische Firmen über kanadische Töchter alle Handelsvorteile und auch einen Investorenschutz einklagen könnten.

Der Regulatorische Rat findet ebenfalls keine Erwähnung. Mit diesem Instrument sollen Gesetzesvorhaben an den Parlamenten vorbei schon im Vorfeld zwischen den Vertragsländern bzw. Lobbygruppen abgesprochen werden.

Rachet-Klauseln werden ebenfalls nicht erwähnt: Damit sollen einmal durchgeführte Privatisierungen nicht mehr renationalisiert werden können. (Das passiert aber derzeit in vielen europäischen Städten in denen vormals öffentliche Dienstleistungen wie die Wasserversorgung privatisiert wurden. Die nachfolgende verschlechterte Servicequalität bzw. steigende Preise veranlassen Kommunen sie wieder zurückzukaufen). Freihandelsabkommen schließen das aus.

Zusammenfassend gewinnt man den Eindruck, dass die protestierende Zivilgesellschaft mit ein paar nachhaltig klingenden Sprechblasen in der heißen Phase der CETA Ratifizierung und TTIP Verhandlungen beruhigt werden soll bzw. ein Einlenken vorgetäuscht werden soll. Aber aus der von Frau Malmström vorgelegten Strategie können keine Neuerungen in Bezug auf die am stärksten kritisierten Punkte der Freihandelsabkommen abgelesen werden. Makroökonomisch zielen die Freihandelsabkommen auf Marktverdrängung ab. Demokratiepolitisch auf Entmündigung von Staaten, gewählten Vertretern und Bürgern auf Kosten von supranationalen Konzernstrukturen.

Andere Prioritäten, die beispielsweise mit dem sog. „Alternativen Handelsmandat“ (einem Grundsatzpapier, ausgearbeitet von ca. 50 NGO's) skizziert werden, wurden nicht aufgenommen. In dem Alternativen Handelsmandat sollen u.a. souveräne Staaten, die Kapital- und Warenströme kontrollieren bzw. Abgaben auf Produkte einheben können, sofern sie eigenen Standards unterlaufen.

Wohin die wirtschafts-und arbeitsrechtliche Reise in Europa geht, haben die EU Institutionen bereits gezeigt bzw. zeigen sie anhand der sog. Europäischen Schuldnerländer wie Griechenland. Wo der Abbau von „wettbewerbshemmenden“ arbeitsrechtlichen Standards und angemessenen Löhnen zum Standardrepertoire geworden ist. Eine Abkehr von der an Konkurrenz, Verdrängung und kapitalistischer Profitmaximierung orientierten Wirtschaft ist auf europäischer Ebene nicht zu erkennen und wird auch durch die neue Strategie nicht vorangetrieben.“

Wie ernst die EU-Handelskommissarin Malmström die Demonstrationen der Bürger gegen TTIP und CETA nimmt, zeigte sich zuletzt in einem Interview mit dem britischen Independent. Angesprochen darauf, wie sie ihre Werbung für das Handelsbündnis angesichts der wachsenden Kritik  fortsetzen könne, antwortete sie: „Ich habe mein Mandat nicht von den europäischen Bürgern erhalten.“

 

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