Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was meinen die Währungshüter in New York damit, dass die „wirtschaftlichen Bedingungen noch nicht gegeben seien“? Welche Bedingungen haben wir aktuell?
Srinivas Thiruvadanthai: Es gibt mehrere Fragilitäten der Weltwirtschaft. Besonders zerbrechlich sind die Volkswirtschaften der Schwellenländer. Die Schwellenländer haben mit einem enormen Druck auf ihre Währungen zu kämpfen und leiden zusätzlich unter drastischen Kapitalabflüssen. Zudem weisen sie höhere „Spreads“, also Differenzen, bei den Staats- und Unternehmensanleihen auf. Eine Zinserhöhung würde die Probleme verstärken, da der Dollar mit einer großen Wahrscheinlichkeit an Boden gewinnen würde. Zweitens ist die US-Verschuldung im Unternehmenssektor gestiegen und ist heute höher als noch am Vorabend der vorherigen Rezession. Darüber hinaus steigt der Finanzierungsbedarf für Unternehmensanleihen. Die „Spreads“ für Unternehmensanleihen sind gestiegen und die Kreditbedingungen verschärfen sich. Die Zahlungsverzüge erhöhen sich und es gibt bei den Bewertungen der Kreditwürdigkeit mehr Herabstufungen als Heraufstufungen. Eine Zinserhöhung würde die Kreditbedingungen drastisch verschärfen. Drittens sind die weltweiten Vermögenspreise sehr hoch. Eine Zinserhöhung würde an dieser Stelle einen drastischen Rückgang bei den Vermögenspreisen auslösen, der wiederum durch eine Rückkoppelung durch den Vermögenseffekt zu Ausgabenkürzungen führen würde.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Doch woher wissen wir, dass die Bedingungen für eine Zinserhöhung im kommenden Jahr besser sein werden? Wird die Situation der Schwellenländer dann stabiler sein?
Srinivas Thiruvadanthai: Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sich die Situation in den Schwellenländer verbessern wird.
Die derzeitige Situation in den Schwellenländern ist das Ergebnis langfristiger wirtschaftlicher Probleme, die mit Exportrückgängen in die entwickelten Märkte zusammenhängt. Dies wiederum hängt mit dem geschwächten Wachstum in den entwickelten Märkten zusammen. Als Ergebnis haben die Schwellenländer mit Überinvestitionen und Überkapazitäten und einer hohen Verschuldung im Unternehmenssektor zu kämpfen. Die Anhebung des Binnenkonsums ist ebenfalls ein schwer umsetzbarer Lösungsansatz, da die Schwellenländer von Fremdkapital abhängig sind. Während in der Vergangenheit Währungskrisen die wirtschaftlichen Probleme in den Schwellenländern ausgelöst hatten, haben wir derzeit ein wirtschaftliches Problem, welches Währungsschwäche und Kapitalflucht auslöst. Kurzum: Ein Abbremsen der Kapitalflucht wird nicht zu einer Erholung der wirtschaftlichen Situation führen. Die wirtschaftliche Situation in den Schwellenländern wird sich weiter verschlechtern, bevor es zu einer erneuten Erholung kommt. Das kommende Jahr wird für die Schwellenländer wesentlich schlechter verlaufen als das aktuelle Jahr.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Länder wird die Zinserhöhung am stärksten treffen?
Srinivas Thiruvadanthai: Die Schwellenländer werden die Leidtragenden sein. Unter diesen wiederum werden die Länder mit hohen Leistungsbilanzdefiziten – wie die Türkei – und vor allem auch Rohstoffexporteure wie Brasilien, Südafrika, Kolumbien, Chile, Indonesien und Malaysia besonders negativ beeinflusst werden. All diese Staaten sind anfällig für eine Zinserhöhung.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie würden sie dann die Auswirkungen einer Zinserhöhung auf Russland bewerten?
Srinivas Thiruvadanthai: Russland ist im wesentlichen ein Rohstoff-Produzent und Exporteur. Die Rohstoffpreise, vor allem die Ölpreise, sind bereits unter Druck. Eine Zinserhöhung würde alles nur noch schlimmer machen. Der Leistungsbilanzüberschuss Russlands wird zurückgehen und die Kapitalabflüsse werden zunehmen. Russland steckt bereits in einer Rezession und diese wird sich vertiefen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was würde eine Zinserhöhung durch die Fed in der Eurozone auslösen?
Srinivas Thiruvadanthai: Die Eurozone wäre grundsätzlich indirekt von einer Zinserhöhung durch die Fed betroffen. Eine Ausnahme bildet hier der Euro, dessen Wert direkt betroffen wäre. Der Euro dürfte gegenüber dem Dollar an Wert verlieren. Dadurch, dass sich die Situation in den Schwellenländern drastisch verschlechtern würde, wäre die Eurozone aufgrund ihrer Verflechtungen mit den Schwellenländern mit einer Verzögerung betroffen. Denn der Euro-Raum ist immer noch sehr vom Export und von Handelsbilanzüberschüssen abhängig. Wir können derzeit beobachten, dass die EU-Exporte in die Schwellenländer stetig abnehmen.
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Srinivas Thiruvadanthai ist Direktor der Forschungs-Abteilung am Jerome Levy Forecasting Center in New York. Er untersuchte vor allem „Vermögenseffekte“ auf das Konsumverhalten und deren Auswirkungen auf Unternehmensgewinne; die anhaltende und durchdringende Überbewertung von Unternehmensgewinnen; Schwachstellen des Finanzsektors im Zuge einer Immobilienblase; die Entwicklung der japanischen Bilanzen während der Immobilien-Blase und seine Folgen und die finanzielle Entwicklung der asiatischen Volkswirtschaften. Zudem war er über drei Jahre am indischen Kredit-Institut ICICI Bank als Darlehensberater tätig.