Technologie

EU beschließt Zwei-Klassen-Internet

Die EU hat neue Regeln zur Steuerung des Internets beschlossen. Mit vielen vagen Vorgaben wird im Kern damit der Weg für ein Zwei-Klassen-Internet geebnet, Große Konzerne werden bevorzugt, kleine und unabhängige Player könnten ausgebootet werden.
27.10.2015 14:58
Lesezeit: 2 min

Heute hat das EU-Paparlament den umstrittenen Vorschlag über den Binnenmarkt für elektronische Kommunikation (Telekomgesetz) angenommen. Kritiker befürchten, dass große Telekommunikationskonzerne künftig eine „Überholspur“ kaufen können, während der Rest abgedrängt wird. Eine der besonders strittigen Ausnahmen: Internet-Anbieter können somit zwischen Kategorien von Datenverkehr unterscheiden – „um die Gesamtqualität und das Nutzererlebnis zu optimieren“. Die Änderungsvorschlage von Grünen, Linken und Liberalen wurden nicht berücksichtigt. Diese Parteien hatten gefordert, dass es deutlich sicherere Schranken zur Wahrung der Netzneutralität geben müsse.

So aber heißt es in der EU-Mitteilung:

Das neue Gesetz verpflichtet die Anbieter von Internetzugangsdiensten, den gesamten Verkehr bei der Erbringung solcher Dienstleistungen gleich zu behandeln, ohne Diskriminierung, Beschränkung oder Störung, sowie unabhängig von Sender und Empfänger, den abgerufenen oder verbreiteten Inhalten, den genutzten oder bereitgestellten Anwendungen oder Diensten oder den verwendeten Endgeräten – außer zum Beispiel bei gerichtlichen Anordnungen, zur Vorbeugung gegen Cyberangriffe oder um Netzüberlastungen zu vermeiden. Falls derlei „angemessene Verkehrsmanagementmaßnahmen“ erforderlich werden, sollten sie „transparent, nichtdiskriminierend und verhältnismäßig“ sein und nicht länger dauern als unbedingt nötig.

Der Text sieht vor, dass Internetanbieter Spezialdienste anbieten dürfen (z. B. eine für bestimmte Dienste wie Internet-TV, Videokonferenzen oder bestimmte Anwendungen im Gesundheitswesen benötigte verbesserte Internetqualität), jedoch nur unter der Bedingung, dass sich dies nicht auf die allgemeine Internetqualität auswirkt.

Zur Netzneutralität heißt es zwar in der neuen EU-Verordnung: Niemand soll sich seine Vorfahrt im Internet erkaufen dürfen. D0ch es wird eine Einschränkung der Netzneutralität durch schwammige Formulierungen befürchtet, wie etwa die sogenannten „Spezialdienste“.

„Dass Internetprovider jetzt die Möglichkeit bekommen, bestimmten Datenverkehr auf ihren Leitungen zu drosseln und anderen zu bevorzugen, schafft nicht nur ein Zwei-Klassen-Internet, sondern nimmt auch die Anreize, Leitungskapazitäten weiter auszubauen“, beklagte die Piraten-Europaabgeordnete Julia Reda.

Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen forderte, bei der Umsetzung der Verordnung in nationales Recht die vagen Formulierungen im Sinne der Netzneutralität zu konkretisieren. „Ein robuster diskriminierungsfreier Internetzugangsdienst ist die Basis für inhaltliche Vielfalt und Meinungsfreiheit im Netz“, erklärte Medienstaatssekretär Marc Jan Eumann (SPD).

Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands, begrüßte die Verordnung im Prinzip: „Es ist gut, dass das Europäische Parlament endlich die Verordnung für den einheitlichen Telekommunikationsmarkt beschlossen hat. Die Bundesnetzagentur muss jetzt schnell handeln und dafür sorgen, dass Netzneutralität in Deutschland abgesichert wird.“ Man brauche dringend verbindliche Mindeststandards für Qualität und Geschwindigkeit im Internet. „Nutzer dürfen nicht von einigen Anbietern auf der Überholspur abgehängt werden.“

Katja Kipping, Vorsitzende der Linken, kommentiert die Entscheidung:

„Eine Mehrheit der Europaabgeordneten hat für ein Zwei-Klassen-Internet gestimmt. Für große Konzerne soll eine Art Überholspur in den Datenleitungen geschaffen werden. Das ist so, als müsste auf den Autobahnen immer eine Spur für die S-Klasse und schnelle Sportwagen frei gehalten werden, während auf der rechten Spur normale Pkw und Lkw auch dann im Stau stehen müssen, wenn niemand auf der Schnellfahrspur unterwegs ist. Unabhängige Websites werden langsamer und damit unattraktiver. Die Macht großer Medienverlage und Internetkonzerne wie Facebook wird dadurch noch größer.“

Die Linke Europaabgeordnete Cornelia Ernst kritisiert: „Damit hat die Mehrheit des Parlaments dem Internet geschadet und den Bürgern einen Bärendienst erwiesen. Sie werden von der Abschaffung der Roaminggebühren weniger profitieren als erwartet, denn die Netzbetreiber können noch immer Zusatzgebühren verlangen. Und das Internet wird in Zukunft noch mehr einem Einkaufszentrum gleichen, in dem nur die großen Ketten ihre Läden haben. Alle anderen werden mit langsameren Verbindungen an den Rand gedrängt.“

Während Netzneutralität auch künftig nicht ordentlich gesetzlich verankert wird, hat das Europaparlament beschlossen, Roaminggebühren ab 2017 weitgehend abzuschaffen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Österreichs Maßnahmen gegen die Inflation – und die Bedeutung für Deutschland
07.09.2025

Österreich steckt in der Krise: Die Regierung verspricht Milliardenhilfen, doch bei genauerem Hinsehen bleiben nur kleine Reformen übrig....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Turbojet-Drohne: Polen präsentiert universelle Technologieplattform
06.09.2025

Polen präsentiert die Turbojet-Drohne – eine universelle Technologieplattform für Militär und Zivil. Für Deutschland stellt sich die...

DWN
Panorama
Panorama Boot kaufen: Was Sie dabei unbedingt beachten sollten
06.09.2025

Mit einer frischen Meeresbrise im Gesicht das eigene Boot über die Wellen zu steuern, ist für viele Menschen ein Traum – doch dieser...

DWN
Immobilien
Immobilien Indexmiete: Eine gute Wahl?
06.09.2025

Wenn Mieter einen neuen Vertrag unterschreiben, fällt ihnen vielleicht ein ganz spezielles Wort im der Vertragsüberschrift auf: der...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Grönländischer Schlamm: Vom Zufallsfund zum Milliardenprojekt
06.09.2025

Grönländischer Schlamm soll Ernten steigern und CO2 binden. Investoren wittern Milliardenpotenzial – und Deutschland könnte davon...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Verarbeitete Lebensmittel: Wie Konzerne Gesundheitsrisiken herunterspielen
06.09.2025

Coca-Cola, Kraft und Mondelez gewinnen einen Prozess zu verarbeiteten Lebensmitteln. Doch Studien zeigen deutliche Gesundheitsgefahren –...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Russland und China üben Druck aus – NASA plant Mond-Reaktor bis 2030
06.09.2025

Die NASA will bis 2030 einen Mond-Reaktor bauen – im Wettlauf mit China und Russland. Hinter der Technik stehen geopolitische...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Strengere Homeoffice-Regeln: Eine Bank geht den entgegengesetzten Weg
06.09.2025

Während viele Banken strengere Homeoffice-Regeln einführen, setzt eine Bank auf maximale Flexibilität – ein Modell, das auch für...