Politik

Ukraine: Polizei trifft Mitschuld an Tod von Regierungs-Gegnern

Lesezeit: 2 min
04.11.2015 12:13
Der Europarat kritisiert die Ermittlungen um den Brandanschlag im ukrainischen Odessa scharf. Sowohl Polizei, Feuerwehr als auch Innenministerium hätten versagt. Bei dem Anschlag sind mehr als 40 Regierungsgegner ums Leben gekommen.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Ukraine  

Der Europarat hat die ukrainische Polizei für die gewaltsamen Zusammenstöße zwischen Anhängern und Gegnern der Regierung in Odessa mitverantwortlich gemacht, bei denen im Mai vergangenen Jahres 48 Menschen getötet und mehrere hundert andere verletzt wurden. Es gebe „deutliche Hinweise“ für eine Mitschuld der Polizei an den „tragischen Ereignissen“, heißt es in einem am Mittwoch veröffentlichten Bericht. Die drei Autoren werfen den ukrainischen Behörden auch massive Versäumnisse bei den Ermittlungen vor.

Die Arbeitsgruppe wurde vom ehemaligen Präsidenten des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg, Nicolas Bratza, geleitet. Unterstützt wurde der Brite vom früheren ukrainischen Richter am Straßburger Gerichtshof, Wolodimir Butkewitsch, sowie vom ehemaligen Generalstaatsanwalt der Ukraine, Oleg Anpilogow.

Die Untersuchungen seien weder unabhängig noch effizient gewesen, kritisierten die Juristen. So sei bis heute nicht geklärt worden, warum die Polizei weitgehend passiv geblieben sei und „wenn überhaupt, nur wenig“ getan hatte, um zwischen den verfeindeten Lagern zu intervenieren und die Gewalt zu beenden. Zeugen zufolge reagierte die Polizei auf erste Notrufe zunächst gar nicht.

Mit der Festnahme von Gewalttätern unter den über 2000 Demonstranten sei erst mehrere Stunden nach Beginn der Zusammenstöße begonnen worden, stellten die Autoren unter Berufung auf Angaben des ukrainischen Bürgerbeauftragten fest. Zu diesem Zeitpunkt habe es bereits 41 Tote gegeben. Erst ein Jahr nach den Vorfällen erhob die Generalstaatsanwaltschaft von Odessa Anklage gegen den damaligen regionalen Polizeichef Petro Luzjuk.

Bei 42 Opfern handelt es sich um Gegner der prowestlichen Regierung in Kiew. Die meisten von ihnen kamen ums Leben, nachdem in einem Gewerkschaftshaus, in das sie sich verschanzt hatten, ein Feuer ausgebrochen war - laut Ermittlungen der ukrainischen Behörden durch vorsätzliche Brandstiftung. Demnach war es einigen Anhängern der Regierung gelungen, durch eine Hintertür in das Gebäude zu gelangen. Die mutmaßlichen Brandstifter wurden bis heute nicht ermittelt. Andere Opfer starben durch Schüsse oder Molotowcocktails.

Laut Europarat dauerte es über 40 Minuten, bis die Feuerwehr eintraf - obwohl diese sofort nach Ausbruch der Flammen alarmiert wurde und sich die nächste Feuerwehrstation ganz in der Nähe des Gewerkschaftshauses befindet. Die Gründe für das verspätete Eintreffen sind ebenfalls bis heute unklar.

Die Autoren kritisieren, dass die Ermittlungen nicht von einem unabhängigen Gremium geleitet wurden, sondern vom ukrainischen Innenministerium - also der Dienstaufsicht von Polizei und Feuerwehr. Dies entspreche nicht den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention für unparteiische Ermittlungen. „Zutiefst besorgniserregend“ sei auch die Entscheidung der ukrainischen Justiz, „mangels Beweisen“ die Ermittlungen gegen zwei Aktivisten einzustellen, denen unter anderem Mord in mehreren Fällen zur Last gelegt wurde. Einer von ihnen hatte Zeugen zufolge mit einem Holzknüppel auf prorussische Demonstranten eingeschlagen, die sich mit einem Sprung aus dem Fenster des Gewerkschaftsgebäudes vor den Flammen retten wollten.

Laut dem Bericht brachten Mitglieder des ukrainischen Parlaments unterdessen einen Gesetzentwurf für eine Amnestie zugunsten der regierungsfreundlicher Teilnehmer an den Ausschreitungen ein. In dem Entwurf sind demnach die beiden Aktivisten, die von der Einstellung des Ermittlungsverfahrens profitierten, namentlich erwähnt.

Ähnlich massive Kritik hatte dieselbe Arbeitsgruppe an der Untersuchung der gewaltsamen Zusammenstöße auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz mit etwa hundert Todesopfern vom Februar 2014 geübt. Die Ermittlungen seien lückenhaft, nicht zuletzt wegen der „Obstruktion“ durch das Innenministerium, hieß es in einem im März veröffentlichten Bericht.

Die Beauftragten des Europarats hatten bei mehreren Besuchen in der Ukraine Vertreter der Regierung, der Staatsanwaltschaft, Abgeordnete des Parlaments sowie Mitarbeiter von Menschenrechtsorganisationen getroffen. Wie bereits in der Vergangenheit beklagen sie auch in ihrem neuen Bericht, dass ihnen das ukrainische Innenministerium keine vollständige Einsicht in die Ermittlungsakten gewährte.

 


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Zu Weihnachten Zukunft schenken

Gerade zu Weihnachten wünschen sich viele Menschen, etwas von ihrem Glück zu teilen und sich für diejenigen zu engagieren, die es nicht...

DWN
Panorama
Panorama Privater Gebrauchtwagenmarkt: Diese Vorteile bieten Privatkäufe für Käufer und Verkäufer
23.12.2024

In einer aktuellen Analyse haben die Experten des Internetportals AutoScout24 den Privatmarkt für Gebrauchtwagen untersucht. Laut einer...

DWN
Politik
Politik Steuerverschwendung: Regierung verschleudert massiv Steuergelder auch ans Ausland - ohne jede Prüfung
23.12.2024

Angeblich muss die Politik künftig unbegrenzt Schulden machen, weil der Staat zu wenig Geld hat: Doch Deutschland hat kein...

DWN
Politik
Politik Trump will Panama-Kanal und Grönland
23.12.2024

Trump zeigt sich auf dem AmericaFest kampfbereit. In einer Rede voller provokanter Forderungen greift er zentrale Themen seiner kommenden...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Industrien retten: Hubertus Heils Strategien gegen Konjunkturkrise und Arbeitsplatzverlust
23.12.2024

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sieht in der aktuellen Konjunkturkrise eine massive Gefahr für die industrielle Basis...

DWN
Panorama
Panorama Überraschender Kulturwandel: Liebe zum Bargeld schwindet immer mehr
23.12.2024

Es gleicht einem Erdbeben. Aber auch die Deutschen scheinen die Vorzüge von Plastikkarten beim Zahlen und einlaufen zu schätzen. das...

DWN
Finanzen
Finanzen Antizyklisches Investieren: Lässt sich damit der Markt schlagen?
23.12.2024

Wer antizyklisch investiert, macht das Gegenteil dessen, was die meisten Anleger tun. Ist dabei eine höhere Rendite zu erwarten als bei...

DWN
Politik
Politik Und noch ein europäischer Alleingang: Fico zu Gesprächen mit Putin im Kreml
23.12.2024

Der slowakische Regierungschef Fico zeigt mit einem Überraschungsbesuch im Kreml, dass die EU-Front gegen Russlands Präsidenten Putin...

DWN
Panorama
Panorama Amokfahrt von Magdeburg: Trauer, Entsetzen und offene Fragen halten Deutschland in Atem
22.12.2024

Fünf Menschen sind tot, 200 verletzt: Nach der folgenschweren Fahrt mit einem Auto über den Weihnachtsmarkt in Magdeburg stellt sich die...