Politik

Ärzte ohne Grenzen: Schwere Vorwürfe gegen US-Luftwaffe

Die Organisation Ärzte ohne Grenzen erhebt schwere Vorwürfe gegen die US-Luftwaffe. Diese soll bei ihrem Angriff auf ein Krankenhaus in Afghanistan gezielt Menschen getötet haben. Ärzte ohne Grenzen besteht auf einer unabhängigen internationalen Untersuchung der Ereignisse.
20.11.2015 01:31
Lesezeit: 2 min
Ärzte ohne Grenzen: Schwere Vorwürfe gegen US-Luftwaffe
Das Krankenhaus von Kundus nach dem US-Angriff. (Foto: Ärzte ohne Grenzen) Foto: Andrew Quilty

Die internationale Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen hat am Freitag einen internen Bericht zu den Luftangriffen der US-Streitkräfte auf ihr Krankenhaus vom Kundus veröffentlicht. Mindestens 30 Menschen starben bei dem Angriff, darunter 13 Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen, 10 Patienten und 7 noch nicht identifizierte Personen - Ärzte ohne Grenzen nannte den Beschuss ein „Kriegsverbrechen“. Teilweise verbrannten die Patienten in ihren Betten. Mitarbeitern wurden durch die Explosionen Gliedmaßen abgetrennt, manche wurden sogar enthauptet.

In einer Mitteilung der Organisation heißt es:

Vom Inneren des Krankenhauses aus betrachtet, war der Zweck des Angriffes, zu töten und zu zerstören“, sagt Christopher Stokes, Geschäftsführer der für das Krankenhaus in Kundus verantwortlichen belgischen Sektion von Ärzte ohne Grenzen. „Wir wissen jedoch nicht, warum. Wir haben weder die Sicht aus dem Cockpit, noch wissen wir, was in den militärischen Kommandoketten der Afghanen oder US-Amerikaner geschah.”

Der Bericht enthält Details zur Übermittlung der GPS-Koordinaten des Krankenhauses sowie Protokolle der Telefonanrufe bei den Militärbehörden, mit denen Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen versuchten, die Luftangriffe zu stoppen. Ärzte ohne Grenzen hatte mit allen Konfliktparteien vereinbart, dass die Neutralität des Krankenhauses gemäß den Regeln des humanitären Völkerrechts respektiert werden würde.

„Wir haben unseren Teil der Vereinbarung eingehalten. Das Trauma-Zentrum in Kundus war ein voll funktionierendes Krankenhaus, in dem auch zum Zeitpunkt des Angriffes operiert wurde“, sagt Dr. Joanne Liu, internationale Präsidentin von Ärzte ohne Grenzen. „Einrichtungen von Ärzte ohne Grenzen dürfen nie mit Waffen betreten werden, und diese Regel wurde von allen respektiert. Die Mitarbeiter der Klinik hatten vor und während der Luftangriffe die vollständige Kontrolle über die Einrichtung.“ Zum Zeitpunkt des Angriffs wurden in der Klinik 105 Patienten behandelt, unter ihnen waren verwundete Kämpfer von beiden Seiten des Konflikts, sowie Frauen und Kinder.

Es kursieren einige öffentliche Berichte, dass der Angriff auf unser Krankenhaus gerechtfertigt sein könnte, weil wir Taliban behandelten", sagt Stokes. „Verwundete Kombattanten sind nach dem Völkerrecht geschützt als Patienten. Sie dürfen nicht angegriffen und müssen ohne Diskriminierung behandelt werden. Medizinisches Personal darf niemals dafür bestraft oder angegriffen werden, dass es verwundete Kombattanten behandelt."

Der heute veröffentlichte Bericht ist Teil einer andauernden Untersuchung der Vorfälle durch Ärzte ohne Grenzen. Das Dokument basiert auf 60 Gesprächen mit einheimischen und internationalen Mitarbeitern, die in der Klinik in Kundus arbeiteten, sowie auf internen und öffentlichen Informationen, Fotos des Krankenhauses vor und nach dem Angriff, Email-Korrespondenzen sowie aufgezeichneten Telefongesprächen.

Der Angriff hat unsere Möglichkeiten zerstört, Patienten zu behandeln – und das in einer Zeit, in der besonders dringender Bedarf besteht“, so Liu. „Ein funktionierendes Krankenhaus, das Menschen versorgt, darf nicht einfach seinen Schutz verlieren und angegriffen werden.“

Ungewöhnlich war, dass wenige Stunden vor dem Luftangriff, französische und australische Diplomaten Ärzte ohne Grenzen darüber informierten, dass internationale Angestellte entführt werden könnten. Daraufhin wurden zwei Franzosen und ein Australier, die keinen Dienst hatten, in die abgesicherten Räume im Keller gebracht, schreibt Heise.

Nach Angaben aller überlebenden Angestellten soll die Nacht besonders ruhig gewesen sein. In den Tagen zuvor hätte es immer wieder Gefechte gegeben und keiner hätte sich aus dem Krankenhaus getraut. Es gab weder Schüsse noch Explosionen oder Angriffe. Besonders interessant ist: Als die präzisen US-Luftschläge starteten, flohen die Menschen aus dem Krankenhaus, um nicht umzukommen. Doch vor dem Krankenhaus wurden sie offenbar gezielt getötet.

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