In Spanien kündigt sich ein politisches Erdbeben an: Bei der Parlamentswahl am Sonntag wird voraussichtlich erstmals seit mehr als 30 Jahren das traditionell von zwei Parteien dominierte System gesprengt. Der konservative Regierungschef Mariano Rajoy und seine Volkspartei PP könnten Umfragen zufolge zwar erneut als stärkste Kraft aus der Wahl hervorgehen, wären aber auf Partner angewiesen. Die Finanz- und Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre hat den Aufstieg ganz neuer politischer Kräfte befördert.
"Das ist eine Veränderung, wie wir sie noch nie erlebt haben, weil wir gerade eine noch nie dagewesene politische, wirtschaftliche und institutionelle Krise erlebt haben mit Korruptionsskandalen vom Königshaus bis zu Dorfbürgermeistern", sagt der Politologe Pablo Simón von der Universität Carlos III.
Seit dem Übergang zur Demokratie nach der Franco-Zeit beherrschten ab 1982 die PP und die Sozialisten von der PSOE die Politik des Landes. Sie wechselten sich an der Regierungsspitze ab, sind aus Sicht vieler Spanier aber eben deshalb gleichermaßen verantwortlich für die Wirtschaftsmisere und ähnlich stark in Korruptionsskandale verstrickt.
Obwohl die Regierung vor der Wahl immer wieder einen Wirtschaftsaufschwung verkündete, liegt die Arbeitslosigkeit immer noch bei über 20 Prozent, und viele leiden unter den Folgen des rigiden Sparkurses. Die Unzufriedenheit eines Jugendlichen bekam Rajoy bei einem Wahlkampfauftritt am Mittwoch in Galicien am eigenen Leib zu spüren: Ein 17-Jähriger schlug dem Ministerpräsidenten während eines Rundgangs in der Stadt Pontevedra ins Gesicht.
Vor dem Hintergrund der schlechten Stimmung im Land konnte die linksgerichtete Partei Podemos schon bei den Kommunal- und Regionalwahlen im Mai spektakuläre Erfolge erzielen. Die oft als Schwesterpartei der griechischen Syriza bezeichnete Bewegung unter ihrem 37-jährigen Chef Pablo Iglesias steht für einen klar linken Kurs. Doch in den Umfragen zur Parlamentswahl wurde Podemos in den vergangenen Wochen oft von einer ebenfalls neuen Partei überflügelt: Die Liberalen von Ciudadanos unter ihrem 36-jährigen Chef Albert Rivera lagen noch Anfang Dezember in den Umfragen sogar vor der PSOE.
Dabei haben auch die Sozialisten einen eher jungen Spitzenkandidaten aufzubieten, den 43-jährigen Pedro Sánchez, der den Spitznamen "El Guapo" (der Hübsche) trägt. Er soll für eine Erneuerung der verkrusteten Strukturen der PSOE stehen, die mit den Regierungschefs Felipe González und später José Luis Rodríguez Zapatero jahrelang in Spanien an der Macht war. Im Vergleich zu diesen jung-dynamischen Herausforderern wirkt der 60-jährige Rajoy verbraucht.
Den jüngsten Umfragen vom Montag zufolge lag die PP zwischen 25,3 und 29,9 Prozent - und damit weit von der absoluten Mehrheit entfernt, nachdem sie bei der Wahl 2011 noch 44,6 Prozent errungen hatte. Die PSOE konnte zuletzt Boden gut machen und kann am Sonntag auf 21 bis 22 Prozent der Stimmen hoffen. Ciudadanos kommt laut Umfragen auf eine Zustimmung zwischen 18 und 19,6 Prozent. Damit liegt die Partei des lange als Königsmacher angesehenen Rivera etwa gleichauf mit Podemos, der zwischen 17 und 19,1 Prozent vorhergesagt werden.
So läuft vermutlich alles auf eine Minderheitsregierung mit Unterstützung anderer Parteien oder auf eine Koalition hinaus. Der Liberale Rivera hat allerdings angekündigt, dass er sich dem verweigern werde. Dass die Linken von Podemos den Konservativen Rajoy unterstützen, gilt als ausgeschlossen. Und so warnen manche schon vor "italienischen Verhältnissen" in Spanien.