Politik

Deutsche Städte stecken tief in der Schulden-Falle

Eine Studie legt offen: Viele deutsche Städte sind heillos überschuldet. Die Folge: Was über die Grundversorgung hinausgeht, ist nicht mehr leistbar und muss von Freiwilligen übernommen werden.
22.12.2015 12:20
Lesezeit: 2 min
Deutsche Städte stecken tief in der Schulden-Falle
Die Verschuldung der Städte ist deutlich gestiegen. (Grafik: Ernst&Young)

Nicht überall hilft die gute Konjunktur den Kommunen aus den roten Zahlen. Nach einer neuen Untersuchung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young standen die 72 deutschen Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern im vergangenen Jahr mit zusammen 82,8 Milliarden Euro in der Kreide, ein Schuldenplus von 3,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Für jeden Großstadt-Bürger hat die Beraterfirma im Durchschnitt eine Schuldenlast von 4299 Euro errechnet. Dabei gibt es aber riesige Unterschiede: Die Bürger von Saarbrücken müssen 11 568 Euro kommunaler Schulden schultern, die Einwohner Braunschweigs nur 452 Euro.

Welche Gründe gibt es für die unterschiedliche Lage einzelner Städte?

Dort, wo Betriebe schließen, gibt es die größten Finanzprobleme - wie in Offenbach, das immer noch unter einem tiefgreifenden Strukturwandel leidet und laut Studie eine Pro-Kopf-Verschuldung von 8785 Euro aufweist. Seit den 70er Jahren seien vier Fünftel der Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe verschwunden, teilte die Stadt mit. Nach ihren Angaben gab es 2013 noch rund 5300 Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe - 1971 waren es fast 27 000. Das Gewerbesteueraufkommen der Stadt lag 2014 bei 58 Millionen Euro. Wolfsburg, das etwa genauso viele Einwohner hat, kassierte zur selben Zeit 308,5 Millionen Euro Gewerbesteuern - ein Großteil davon von Volkswagen. Dies dürfte allerdings nach dem VW-Abgas-Skandal anders werden - der Konzern hat bereits angekündigt, dass er seinen Strafen von den Steuern absetzen will.

Hat die Finanzlage Konsequenzen für die Bürger?

Das hoch verschuldete Saarbrücken hat sich einen harten Sparkurs auferlegt. «Wir drehen jeden Stein um», sagt Bürgermeister Ralf Latz. Jede vierte freiwerdende Stelle bei der Stadt werden derzeit nicht besetzt, die Verwaltung rücke in eigenen Immobilien enger zusammen und steige aus fremden Mietobjekten aus. Nach außen werde versucht, das Leistungsangebot aufrechtzuerhalten. Noch mussten keine Bäder oder Hallen geschlossen werden. «Wenn sich aber an der Schraube nichts ändert, dann wird es auch der Bürger bald merken.» In Offenbach kann das letzte Schwimmbad der Stadt nur noch dank der Eigeninitiative eines Vereins seinen Betrieb aufrecht erhalten, die Sport- und Kulturförderung ist auf ein Minimum reduziert. «Wir leben im Wesentlichen vom freiwilligen Engagement der Bürgerschaft», teilte die Stadt mit.

Welches sind die Haupteinnahmequellen der Großstädte?

Am meisten Geld kassieren die Kommunen generell aus der Gewerbesteuer, gefolgt von sogenannten Schlüsselzuweisungen der Länder. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts wiesen die kommunalen Haushalte Ende September einen Überschuss von 900 Millionen Euro aus. Ein Jahr zuvor hatte es Ende September noch ein Defizit von 2,7 Milliarden Euro gegeben.

Warum können die ostdeutschen Großstädte ihre Pro-Kopf-Schulden reduzieren, während sie im Westen steigen?

Laut Studie konnten die ostdeutschen Großstädte ihre Pro-Kopf-Schulden seit 2012 um 0,3 Prozent reduzieren, während die der West-Großstädte um 3,3 Prozent gestiegen seien. Als Hauptgrund für diesen Ost-West-Unterschied nennt Ernst & Young-Experte Manfred Morgenstern die strukturelle Schuldenfalle. Im Westen habe sich der Schuldenberg seit Jahrzehnten aufgebaut, die ostdeutschen Kommunen hätten vor 25 Jahren bei Null anfangen können. Generell finanzierten sich die ostdeutschen Städte vorwiegend aus Zuweisungen, im Westen eher aus den Gewerbesteuereinnahmen.

Treiben die steigenden Flüchtlingszahlen die Schulden nach oben?

Damit rechnet Ernst & Young zwar, denn die Kosten für Unterbringung und Betreuung würden den Kommunen nur teilweise ersetzt. Allerdings stammen die Zahlen, auf denen die Studie basiert, aus dem Jahr 2014 - damals waren weder der rasante Anstieg der Flüchtlingszahlen noch die daraufhin beschlossenen Hilfsprogramme von Bund und Ländern bekannt. Der Deutsche Städtetag rechnet auch für die kommenden Jahre mit steigenden Steuereinnahmen der Städte und Gemeinden. «Der hohe Zuzug von Flüchtlingen hat keine negativen Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung und die Einnahmen der öffentlichen Haushalte», heißt es in einer Mitteilung des Städtetages von Anfang November. Tatsächlich ist zu erwarten, dass die Städte von den neuen Füllhörnern sogar profitieren könnten: Sie können nämlich Kosten auf die Flüchtlinge umwälzen, die auch ohne Flüchtlinge angefallen wären. So bescheren die Flüchtlinge vermutlich einigen Kommunen zusätzliche Einnahmen.

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