Der 25. Januar 2016 ist ein höchst erfreuliches Datum für die EU-Banken, wie marode sie auch sein mögen. Der Tag markiert zugleich einen unerfreulichen Wendepunkt für die deutschen Sparer. Am Montag hat die FAZ auf Seite 6 einen Artikel veröffentlicht, in dem die Autoren-Zeile autoritär lautet: „Von Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen“. Man kann davon ausgehen, dass sich alle Kreditabteilungen der EU-Banken den Artikel ausschneiden und einrahmen werden.
Unter dem unverfänglichen Titel „Europa zwischen Wunsch und Wirklichkeit“ legt Schäuble über fünfeinhalb Spalten seine Vision von Europa dar. Der Text ist langweilig bis zur Ermüdung – und das dürfte wohl auch beabsichtigt sein. Denn der Text ist nicht für die Leser geschrieben, sondern für die Banken. Tatsächlich ist der Text die Verschriftlichung von Schäubles Festvortrag zur Verabschiedung von Hans-Werner Sinn nach 17 Jahren an der Spitze des Münchener Ifo-Instituts. Vor mehr als 1.000 geladenen Gästen aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft hatte Schäuble sein Programm am vergangenen Wochenende im Audimax der LMU München vorgelegt (Video am Anfang des Artikels). Durch die offizielle Publikation in der FAZ wird die Rede für die Banken zu einem relevanten Dokument, auf das sie sich aufsichtsrechtlich beziehen können.
In den letzten acht Absätzen seines Artikels kommt Schäuble auf die Währungsunion, den Bankensektor und die EZB-Politik zu sprechen. Im fünftletzten schreibt er: „Die Vergemeinschaftung von Haftung muss nicht zwangsläufig zu Fehlanreizen führen, wenn die institutionellen Voraussetzungen für die Einhaltung und Durchsetzung gemeinsamer Regeln und Entscheidungen gegeben sind.“ Im nächsten Absatz fährt er fort: „Solange wir in Europa noch nicht so weit vorangekommen sind, müssen wir Fehlentwicklungen vorbeugen, indem wir zwischenstaatlich genau verabreden, was jeder zu leisten hat, bevor wir die nächste Stufe von Vergemeinschaftung betreten.“
Dann schließt Schäuble diesen Teil ab: „So spricht beispielsweise viel für eine gemeinsame Einlagensicherung in unserer Bankenunion. Aber alle Erfahrung spricht dagegen, mit der Vergemeinschaftung der Einlagensicherung zu beginnen, solange die zuvor zur Trennung von Banken- und Haushaltsrisiken vereinbarten – oder auch noch zu vereinbarenden – Schritte in vielen Mitgliedstaaten noch gar nicht gemacht sind.“
Das klingt für den Laien vernünftig und ganz und gar nicht gefährlich. Doch die Mitarbeiter einer Kreditabteilung einer Bank werden nach der Exegese die Sektkorken haben knallen lassen. Lässt man die theoretischen Einschränkungen nämlich weg, lautet die Botschaft: Wenn die Schritte vollzogen sein werden, kann mit der Vergemeinschaftung begonnen werden. Schäuble stellt die Einschränkungen der Vergemeinschaftung nicht als aufschiebende Bedingung dar, sondern sieht sie lediglich als eine Frage der Zeit. Auf die Mithaftung aller Sparer für alle Bankrisiken im Währungsraum geht Schäuble nicht ein. Das braucht Schäuble auch nicht: Denn für den Juristen wird klar, dass die deutschen Sparer in die Haftung genommen werden. Es ist in „unserer Banken-Union“ beschlossen, weshalb das Risiko für die Sparer nicht mehr explizit erwähnt werden muss.
Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten haben bei Kreditentscheidern, Anlageberatern und Bankern nachgefragt, wie sie – und vor allem die für die Kredite entscheidenden Rating-Agenturen die öffentliche Bekanntmachung des „Bundesministers der Finanzen“ lesen. Die Antwort, die wir von einem Banker bekommen haben, war eindeutig:
„Die Bundesregierung will die Vergemeinschaftung der Sparer-Mithaftung in der Währungsunion und auch in der gesamten Europäischen Union, weil die Nicht-Euroländer gemäß Entwurf des ,European Deposit Insurance Scheme‘ der Gemeinschaftseinrichtung beitreten können, z. B. auch Großbritannien. Die Bundesregierung widerspricht nicht dem Zeitplan der EU-Kommission, diese Einrichtung bis 2024 in drei Schritten realisiert zu haben. Der Finanzminister formuliert keine aufschiebende Bedingung, sondern gibt nur einen Erfahrungswert wieder, dass es besser sei, erst dann mit der Vergemeinschaftung der Sparer-Haftung zu beginnen, wenn alle Mitgliedstaaten der EU die Banken- und Haushaltsrisiken getrennt hätten.“
Die Wiedergabe eines Erfahrungswertes ist aus Sicht der Kredit-Experten juristisch bedeutungslos. Für die Kreditbeurteilung ist sie ebenfalls unerheblich. Für diese ist allein Schäubles Mitteilung entscheidend, dass die Bundesregierung die Vergemeinschaftung der Sparer-Haftung in dem von der EU-Kommission bis 2024 vorgesehenen Zeitraum will, realisiert sehen will.
Der springende Punkt für die Banker:
„Für Kreditleute in Banken und Versicherungen ist ein mit vollem Namen gezeichneter Artikel des Bundesfinanzministers in einem öffentlich jedermann zugänglichen Druckmedium eine aufsichtsrechtlich voll anerkannte Unterlage, um Geschäfte hinsichtlich ihres Risikogehaltes zu erklären und abzusichern. Die Unterlage hat einen besonderen Stellenwert, weil der Bundesfinanzminister gegenüber der deutschen Banken- und Versicherungsaufsicht weisungsbefugt ist.“
Die Folgen sind gravierend und bedeuten, dass es weder eines EU- oder Bundestagsbeschlusses bedarf, um den EU-Banken schon heute die Möglichkeit zu geben, 2.000 Milliarden Euro der deutschen Sparer als Kredit-Sicherheiten zu verwenden. Die Banken werden in der Praxis bei der Kredit-Vergabe auf den Schäuble-Text verweisen und können so über die deutschen Sparguthaben verfügen. Ein Banker sagt: „Eine derartige Mitteilung des Bundesfinanzministers ist rechtlich für uns wasserdicht. Sie bedeutet für die Banken bares Geld.“
Die konkreten Folgen schildert der Kredit-Experte:
„Mit seinen Ausführungen gibt der Bundesfinanzminister der Bankpraxis in allen Währungsunionsländern schon heute freie Hand, den Zugriff auf das Geldvermögen der deutschen Sparer in Kreditentscheidungen belastbar einzuplanen. Die Europäische Zentralbank (EZB) kann die mit Bezug auf die Vergemeinschaftung und damit mit einem Risikoausschluss besicherten Kredite ebenfalls schon heute gegen Besserungsschein beleihen. Damit kann sie den Banken und Versicherungen Kredite abnehmen, also Kapital wieder freizusetzen für andere Zwecke. Vor allem können weitere Staatsfinanzierungen gemacht werden, weil diese kein Eigenkapital binden.“
Die Position Schäubles ist nicht neu, wenngleich er und Bundeskanzlerin Angela Merkel bisher einen scheinbar engagierten Kampf zum Schutz der deutschen Spareinlagen geführt haben. Schäuble hatte bereits im Dezember gesagt, es werde für die deutschen Volksbanken und Sparkassen keine Befreiung von der umstrittenen EU-Einlagensicherung geben. „Das geht ja gar nicht. Dann wären sie am Ende gar keine richtigen Banken“, hatte Schäuble am 8. Dezember 2015 in Brüssel gesagt. Und weiter: „Wenn man sagt, die deutschen Volksbanken und Sparkassen werden ausgenommen, ist das auch wieder eine Episode, die nur zeigt, in welcher Konsistenz da in der EU-Kommission gearbeitet wird.“ Schäuble kleidete seine Position in einen scheinbaren Widerspruch zu einer Aussag von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Dieser hatten Anfang Oktober in Passau den Sparkassen Hoffnung gemacht, dass sie aus dem Haftungsverbund ausgenommen werden könnten.
Mit dem nun veröffentlichten Statement schafft Schäuble banken- und aufsichtsrechtliche Fakten. Denn nun können die EU-Banken auf die 2.000 Milliarden Euro der deutschen Sparer zugreifen, vorerst als Sicherheiten. Ein Banker merkt an, dass die Summe sogar höher sein könnte: „Es ist gut möglich, dass bei entsprechenden Wachstumsprognosen sogar die Annahme getroffen werden kann, dass die Einlagen jährlich um zwei Prozent steigen.“ Die für die Beurteilung relevanten Wachstumsprognosen werden in Deutschland von den Sachverständigen und den Wirtschaftsforschungs-Instituten erstellt, die allesamt von der Bundesregierung finanziert werden.
Praktisch wird die Verwendung der Sparguthaben als Sicherheiten nach Einschätzung eines Bankers so ablaufen:
„Den Besserungsschein zieht die EZB auf ihr Verbuchungskonto ,Vergemeinschaftung der Haftung aller Sparer‘. Als Gegenbuchung stellt sie deren Einlagen abgezinst auf heute dagegen, auf die sie ab 2024 voll und direkt zugreifen darf. Der Hauptteil wird von den deutschen Privatleuten getragen werden, zur Zeit verfügen sie über gut 2.000 Milliarden Euro auf ihren Konten. Die Abzinsung ist ein rein formaler Vorgang. Da die EZB die Zinsen auf die Nullinie gebracht und dort für einen langen Zeitraum halten will, gibt es keinen wirtschaftlichen Grund für eine Abzinsung. Die EZB und darüber die klammen Euro-Länder können schon heute auf die deutschen Sparer und ihre Vermögen zugreifen. Die persönliche Abrechnung werden die Sparer in 2024 erhalten.“
Die überschuldeten Staaten in der EU drängen seit Monaten auf die Vergemeinschaftung der Sparer-Haftung. Vor allem in Italien ist das Problem akut: Premier Matteo Renzi kämpft gegen eine veritable Banken-Krise, die wegen der vielen faulen Kredite heraufdämmert. Eigentlich müssten die italienischen Banken laut der seit 1.1.2016 geltenden EU-Regeln von den Gläubigern in Form eines sogenannten „Bail-In“ gerettet werden. Das will Renzi nicht – weil er genau weiß, dass das die institutionellen Investoren in Panik geraten könnten. Renzi und die EU-Kommission haben sich in den Verhandlungen um einen Ausweg festgebissen, zuletzt war die Rede von Staatsgarantien. Doch Schäuble rettet mit seiner Verlautbarung die Banken vor dem „sudden death“. Damit können die italienischen Banken weiter von der EZB Kredite erhalten und haben bis 2024 Zeit gekauft. Bis dahin herrscht das Prinzip Hoffnung – entweder darauf, dass alles plötzlich wieder ins Lot kommt; oder aber darauf, dass die deutschen Sparer weiter fleißig Vermögen ansammeln, um als Retter des europäischen Banken-Systems in die Pflicht genommen zu werden.
Italien ist wirtschaftlich im freien Fall. Renzi hat einige interne Reformen auf den Weg gebracht. Gemessen an seinen vielen Vorgängern mit Ausnahme von Mario Monti ist das schon eine Leistung. Aber sie reicht nicht aus. Auch die angesagten weiteren Reformen werden Italien nicht auf ein wettbewerbsfähiges Niveau bringen. Die Wirtschaftskrise hält un-vermindert an. Unter den Euro-Ländern ist Italien das mit der höchsten und breitesten Korruption. Der Mafia-Krebs breitet sich trotz bemerkens-werter Einsätze von Staatsanwälten und Richtern ungebremst weiter aus und greift inzwischen tief in andere Länder ein, auch in Deutschland.
Nun wird Renzis Regierung eingeholt von einer Bankenkrise, die die anderer Euro-Länder übertrifft. Dieses fällt umso stärker auf, weil die starken EU-Länder Großbritannien, Deutschland, zum großen Teil auch Frankreich und Spanien, ihre Bankkrisen beherrscht und beendet haben. In Italien wirkt sich jetzt aus, dass seit 2008 keine Strukturreform der Finanzindustrie erfolgt ist.
Überhastet werden jetzt Banken im ganzen Land zusammengelegt. Gerettet werden sie oft zu Lasten von Nachranggläubigern, unter denen sich viele Privatleute mit ihren Ersparnissen für ihr Alter befinden. Die Volumina der faulen, nicht mehr einbringlichen Kredite werden von Tag zu Tag höher beziffert. 200 Milliarden Euro, 250 Milliarden, 300 Milliarden, so genau scheint es in Italien niemand zu wissen. Die zunehmenden Anforderungen der EU-Aufsichts- und Abwicklungs-behörden offenbaren täglich neue Probleme. Die steigenden Anleihekonditionen für italienische Titel verraten, dass die Investoren das Land verlassen. Im Börsianer-Sprech ist Italien „im freien Fall“.
Dieser freie Fall ist allein von Italien, von seinen Regierungen seit 2008 und seiner Notenbank, der Banca d´Italia, veranlasst und zu verantworten. Denn Italien ist in großem Umfang von seinen EU-Partnern und besonders von den Euro-Staaten finanziell geholfen worden. Die Hauptförderung, die nicht zu beziffern ist, erhielt Italien von der Europäischen Zentralbank (EZB). Deren Geldschwemme mit dem Ziel des Nullzinses, deren Staatsanleihekäufe über Banken in riesenhaftem Umfang, deren Finanzierung der Notenbanken über Target II und deren stillschweigende Erlaubnis der ANFA-Direkthilfen (Agreement on Net Financial Assets, Anleihekäufe der einzelnen Notenbanken vor allem für die direkte Staatsfinanzierung) dienten nicht nur Irland, Griechenland, Frankreich, Spanien, Portugal, sondern immer wieder Italien.
Matteo Renzi ist Diplom-Jurist und professioneller Marketing- und Public-Relations-Mann. Seit Wochen fordert er, das die Kapitalmarktunion kurzfristig vollendet werden müsse. Renzi interessiert an der Kapitalmarktunion allein das „European Deposit Insurance Scheme (EDIS). Das soll von 2017 bis 2024 aufgebaut werden. Um dieses Ziel zu erreichen, nimmt Renzi einen zweifachen Souveränitätsverlust Italeins in Kauf, nämlich die Abgabe der Banca d´Italia-Hoheit an die EZB und die Konzentration der Bankenaufsicht ebenfalls bei der EZB.
Das EDIS-System soll vom Single Resolution Board geführt werden. seine Exekutivdirektorin ist Elke König aus Deutschland. Mittlerweile arbeitet es offiziell. Auf ein solches System, wenn dieses heute schon zahlungsfähig wäre, könnte Ministerpräsident Renzi alle schwachen Banken und faulen Kredite Italiens abdrücken. Der EZB-Präsident mit seiner obersten Bankenaufseherin Danièle Nouy wären ihm dabei behilflich, denn sonst müssten sie Banken schließen. Damit könnten sie eine unangenehme, langwierige und frustrierende Arbeit umgehen.
Das kritische Zeitfenster, das zu einem veritablen Crash in der Euro-Zone hätte führen können, hat Schäuble mit seiner offiziellen Position geschlossen. Die deutschen Sparer werden, ohne gefragt zu werden – und sogar ohne es überhaupt zu wissen – zu den neuen Banken-Rettern. Schäuble seinerseits hat mit seiner Mitteilung den Euro gerettet. Wie viel die Operation kosten wird, werden die deutschen Sparer ab 2024 erfahren. Vielleicht haben sie Glück – und das von allen erhoffte Wunder der Genesung der Banken tritt wirklich ein. Immerhin: Für diejenigen, die die Zeichen der Zeit lesen wollen, besteht jetzt die Möglichkeit, zu disponieren. Für alle anderen gilt: Wer in diesem Spiel die Augen vor der Realität verschließt, den straft die Geschichte.
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