Der EU-Türkei-Gipfel in Brüssel wird bis in den Montagabend verlängert, um über neue türkische Forderungen in der Flüchtlingskrise zu beraten. Die türkische Regierung habe vor Beginn des Gipfels „eine weitere Forderungsliste“ vorgelegt, sagte der irische Ministerpräsident Enda Kenny beim EU-Türkei-Gipfel am Montag in Brüssel. Er verwies dabei auf die von Ankara geforderte Visa-Liberalisierung „und andere Fragen“. Laut Kenny drohte der türkische Premier Ahmet Davutoglu sogar damit, andernfalls Hilfslieferungen für die Flüchtlinge in Syrien zu stoppen, wodurch sich noch mehr Menschen auf die Flucht Richtung Europa machen könnten.
Die „Financial Times“ meldete, es habe „in letzter Minute“ eine „neue Wunschliste“ aus Ankara gegeben. Dazu gehörten eine schnellere Visa-Liberalisierung für türkische Bürger, eine Beschleunigung des EU-Beitrittsprozesses und mehr als die für Flüchtlinge in der Türkei bereits zugesagten drei Milliarden Euro.
„Die türkische Seite bietet mehr an und verlangt auch mehr“, sagte ein mit den Verhandlungen vertrauter Diplomat laut Reuters. Die Regierung in Ankara biete etwa an, mehr nicht-syrische Migranten aus der EU zurückzunehmen und nicht nur die, die in der Ägäis aufgegriffen werden, sagte ein zweiter EU-Diplomat. Davutoglu wolle seine Vorschläge beim Mittagessen vorstellen. Danach würden die 28 EU-Regierungen in ihrem Kreis verhandeln, hieß es in Brüssel. Am Abend wolle man dann mit Davutoglu zu einem Abendessen zusammenkommen.
Die Türkei fordere für ihr Entgegenkommen, dass die EU mehr als die vereinbarten drei Milliarden Euro für die Versorgung syrischer Flüchtlinge in der Türkei zahlt, sagte ein Diplomat. Zudem müssten weitere Verhandlungskapitel in den EU-Beitrittsgesprächen geöffnet werden – das hat bisher das EU-Land Zypern verhindert. Drittens poche die Regierung in Ankara darauf, dass die eigentlich für Oktober anvisierte Überprüfung der Visa-Liberalisierung für Türken, die in die EU reisen wollen, vorgezogen wird. Die türkische Regierung wollte nur bestätigen, dass neue Vorschläge auf dem Tisch liegen.
Davutoglu hatte sich zuvor optimistisch zu einem erweiterten EU-Türkei-Abkommen geäußert und betont, dass sein Land auch an einem EU-Beitritt interessiert sei. Er wolle „Schulter an Schulter“ mit den EU-Vertretern „für die Zukunft unseres Kontinents“ arbeiten. Er hoffe, dass der Gipfel „eine Erfolgsgeschichte“ werde.
Die EU hatte bereits Ende November mit der Türkei einen Aktionsplan in der Flüchtlingskrise vereinbart. Ankara verpflichtet sich dabei zu einem verstärkten Grenz- und Küstenschutz sowie zu einem entschlossenen Kampf gegen Schlepper, um die ungeregelte Einwanderung nach Europa zu stoppen.
Im Gegenzug wurden Ankara drei Milliarden Euro für in der Türkei lebende Flüchtlinge zugesagt – wobei die Türkei damals schon angemerkt hat, dass das Geld nicht reichen wird. Darüber hinaus eröffnete die EU ein weiteres Kapitel in den lange auf Eis gelegten Beitrittsverhandlungen und stellte die Eröffnung weiterer Verhandlungsbereiche in Aussicht. Bis zum Herbst soll zudem der Visa-Zwang für türkische Bürger in der EU fallen. Voraussetzung ist jedoch, dass Ankara ein bestehendes Rücknahmeabkommen für Flüchtlinge mit der EU im Juni vollständig in Kraft setzt.
Währenddessen scheinen beim EU-Gipfel die Fronten zwischen Bundeskanzlerin Merkel und dem Rest der EU-Regierungschefs verhärtet: Merkel lehnt einen Satz im Schlussdokument ab, demzufolge die Balkan-Route nun offiziell geschlossen sei. Vor allem Österreich und Frankreich halten dagegen.