Eine Woche vor dem nächsten EU-Gipfel herrscht Uneinigkeit in der Union über die Rolle der Türkei in der Flüchtlingskrise und den Umgang mit tausenden an der griechisch-mazedonischen Grenze gestrandeten Migranten. Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner machte am Donnerstag deutlich, dass die Balkanroute für Flüchtlinge geschlossen bleibe und ihr Land so lange wie nötig an nationalen Grenzkontrollen festhalte. Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisierte dagegen nationale Alleingänge und forderte die EU auf, die Verantwortung für die in Griechenland festsitzenden Flüchtlinge zu übernehmen. EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos warnte vor einer Katastrophe für die Menschen im griechischen Grenzort Idomeni.
Die EU-Innenminister berieten in Brüssel auch über das geplante Abkommen mit der Türkei zum Stopp der Migrationsströme, das am kommenden Donnerstag beim EU-Gipfel beschlossen werden soll. Mikl-Leitner nannte es äußerst fragwürdig, wenn die Türkei die EU mit einer Wunschliste konfrontiere und Visa-Befreiungen in Aussicht gestellt bekomme, nachdem kurz zuvor eine regierungskritische Zeitung unter Zwangsverwaltung gestellt worden sei. „Da stelle ich mir schon die Frage, ob wir unsere Werte letztendlich über Bord werfen.“ Auch aus dem EU-Parlament hatte es am Mittwoch Kritik an den Plänen gehagelt, die eine Visa-Befreiung für Türken ab Juni, eine Aufstockung der EU-Finanzhilfen und die direkte Übernahme von Syrern aus den türkischen Flüchtlingslagern vorsehen.
Die Türkei hat am Donnerstag hingegen angekündigt, entgegen der Zusage doch nicht alle Flüchtlinge von den griechischen Inseln zurückholen. Die Türkei werde nur jene zurücknehmen, die „ab einem bestimmten Datum“ illegal auf die griechischen Inseln gelangen. Es könne sich dabei höchstens um Zehntausende handeln, nicht jedoch um Hunderttausende oder gar Millionen.
Bundesinnenminister Thomas de Maiziere forderte vor den Beratungen mit seinen EU-Kollegen, die Kritikpunkte lösungsorientiert und nicht destruktiv abzuarbeiten. In Deutschland kämen immer weniger Flüchtlinge an und die Vereinbarungen mit der Türkei leisteten einiges dafür, dass das auch so bleibe. Am Mittwoch reisten nach Angaben der Bundespolizei nur 125 Migranten in Deutschland ein, der zweitniedrigste Tageswert in diesem Jahr.
Kanzlerin Merkel kritisierte in einem MDR-Radio-Interview, dass die einseitigen Grenzschließungen Österreichs und der Balkanländer Deutschland zwar weniger Flüchtlinge bringe, zugleich aber den EU-Partner Griechenland in eine schwierige Situation bringe. Dagegen hatte EU-Ratspräsident Donald Tusk den Balkanstaaten am Mittwoch dafür gedankt, die Route für Migranten geschlossen zu haben.
Zugleich blieb die Zukunft für mehr als 35.000 Flüchtlinge unklar, die infolge der Grenzschließungen in Idomeni gestrandet sind. Das dortige Flüchtlingslager versinkt nach heftigen Regenfällen im Schlamm. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn nannte die Bilder von dort scheußlich und forderte, die Lage zu verbessern. De Maiziere sagte, er habe gehört, dass die griechischen Behörden vor Ort mittlerweile neue Unterkünfte angeboten hätten. „Es ist nicht zu viel verlangt von den Flüchtlingen, dass sie in bessere Unterkünfte gehen als in die schlechten, in denen sie bisher sind.“ Die EU hat Griechenland bis zu 700 Millionen Euro an Nothilfe zur Versorgung der Flüchtlinge im eigenen Land zur Verfügung gestellt.
Trotz der verschärften Einreisebestimmungen in Europa wagen Migranten weiterhin die Fahrt über die Ägäis. Dabei kamen nach Angaben der türkischen Nachrichtenagentur Dogan in der Nacht fünf Menschen ums Leben, darunter ein Baby. Die aus Afghanistan und dem Iran stammenden Menschen hätten versucht, mit einem Schnellboot die griechische Insel Lesbos zu erreichen.