Politik

EU-Deal mit der Türkei bedeutet Ausverkauf der Menschenrechte

Lesezeit: 2 min
17.03.2016 19:21
Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl fordert die Ablehnung des EU-Deals mit der Türkei. Der Deal widerspreche dem Menschenrecht auf Asyl. Großer Profiteur wäre die Schlepper-Industrie. Diese unterhält seit vielen Jahren intensive Geschäftsbeziehungen mit der türkischen Regierung.
EU-Deal mit der Türkei bedeutet Ausverkauf der Menschenrechte

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie bewerten Sie den geplanten EU-Türkei-Deal?

Karl Kopp: Das Vorhaben, mit der Türkei einen Deal zu schließen, ist strikt abzulehnen. Der EU wird zu Recht das Völkerrecht um die Ohren gehauen. Flüchtlinge pauschal von den griechischen Inseln abzuschieben, verstößt gegen das Asylrecht. Jeder Flüchtling hat das Recht auf Anhörung. Zudem ist die Türkei kein sicherer Drittstaat. Die EU-Kommission hat dies eingeräumt: So sollen „pauschale“ Rückführungen ausgeschlossen werden, zudem sollen Einzelfallprüfung jedes Asylantrages stattfinden – aber im Schnellverfahren Das Land hat kein jedoch kein funktionierendes Asylsystem und zehntausende obdachlose Flüchtlinge. Somit ist der Deal eine Farce.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was müsste geschehen, damit der Deal den rechtlichen Anforderungen entspricht?

Karl Kopp: Die Kommission fährt einen „Wishful thinking“-Ansatz: In Griechenland sollen wirksame Asyl-Eilverfahren sichergestellt werden und auf den griechischen Inseln die Haftkapazitäten massiv ausgeweitet werden, zur Abschreckung und um Rückführungen möglich zu machen. Griechenland müsste die Türkei als sicheren Drittstaat einordnen. Und die Türkei müsste sicherstellen, so die Kommission, dass alle Schutzsuchende, die internationalen Schutz benötigen, Zugang zu wirksamen Asylverfahren erhalten.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie realistisch ist das?

Karl Kopp: Das hat nichts mit der türkische Realität zu tun. Die Türkei hat die Genfer Flüchtlingskonvention mit einem geografischen Vorbehalt umgesetzt. Nur Flüchtlinge aus Europa können den Schutz nach der Konvention erhalten. Es kommt außerdem in der Türkei zu massiven Verletzungen der Menschenrechte – Abschiebungen von Flüchtlingen nach Syrien und in den Irak, Zurückweisungen von syrischen Schutzsuchenden an der Grenze sind dokumentiert.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie bewerten Sie das Vorhaben, Flüchtlinge zwischen Griechenland und der Türkei auszutauschen?

Karl Kopp: Für jeden syrischen Bootsflüchtling, den die Türkei zurücknimmt, darf ein anderer syrischer Flüchtling per Resettlement legal nach Europa ausreisen. Dieser zynische und kafkaeske Ansatz bedeutet: Also nur, wenn ein syrischer Schutzsuchender sein Leben bei der Überfahrt riskiert und dann in einem Schnellverfahren zurückgefrachtet wird, entsteht ein Resettlement-Platz für einen anderen Schutzsuchenden aus Syrien. Für die anderen Bootsflüchtlinge – aus Afghanistan, dem Irak, dem Irak oder Eritrea – gibt es keine legalen Wege.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wer profitiert von dem Austausch der Flüchtlinge?

Karl Kopp: Die Drohung: Griechenland ist die Endstation. Entweder ihr bleibt dort oder es geht zurück in die Türkei. Europa will erneut in große Haftlager auf den griechischen Inseln investieren. Es gibt einen großen Gewinner des geplanten Türkei-Deals: Die Schlepperindustrie. Sie wird neue und gefährlichere Wege eröffnen

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Konsequenzen erwarten uns, wenn sich die EU mit der Türkei einigt?

Karl Kopp: Die türkische Lösung ist keine europäische Lösung. Der Deal wäre ein Ausverkauf der Menschenrechte. Diese waren ein integraler Bestandteil des Projektes Europa. Ohne die Einhaltung dieser Rechte steht Europa zur Disposition.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wer ist eigentlich zuständig, dass das Asylrecht eingehalten würde?

Karl Kopp: Die EU-Kommission ist die Hüterin der Verträge. Sie prüft, ob EU-Recht eingehalten wird. Wer es verletzt, muss zur Rechenschaft gezogen werden, dann kommt es zu einem sogenannten Vertragsverletzungsverfahren. In anderen Politikfelder funktioniert das wunderbar, aber im Asylrecht wurde dies jahrelang nicht ernsthaft betrieben. Die EU und auch Deutschland haben bei den Asyl- und Menschenrechtsverletzungen zu lange weggeschaut. Das fällt uns jetzt auf die Füße. In dieser dramatischen Zeit, müssen wir feststellen, dass das europäische Schutzsystem nicht existiert. Und die letzten Willigen bei der Flüchtlingsaufnahme, Kanzlerin Merkel und der griechische Ministerpräsident Tsipras setzen alles auf türkische Lösung – das ist bitter und tragisch.

Karl Kopp ist Europareferent von Pro Asyl. PRO ASYL ist eine unabhängige Menschenrechtsorganisation, die sich seit mehr als 25 Jahren für die Rechte verfolgter Menschen in Deutschland und Europa einsetzt. Weltweit sind rund 50 Millionen Menschen auf der Flucht: vor Krieg, Verfolgung und Gewalt oder vor der Vernichtung ihrer Lebensgrundlage.

*** Bestellen Sie den täglichen Newsletter der Deutschen Wirtschafts Nachrichten: Die wichtigsten aktuellen News und die exklusiven Stories bereits am frühen Morgen. Verschaffen Sie sich einen Informations-Vorsprung. Anmeldung zum Gratis-Newsletter hier. ***

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..


Mehr zum Thema:  
Europa >

DWN
Finanzen
Finanzen Der große Schuldenerlass wirft seinen Schatten voraus
05.06.2023

Angesichts stark steigender Schulden erwarten einige Analysten einen großen Schuldenerlass. Möglich sei, dass dieser global ausfällt....

DWN
Politik
Politik Hat von der Leyen Bulgarien Euro- Beitritt unter „Umgehung der Regeln“ in Aussicht gestellt?
05.06.2023

Ein angebliches Telefonat sorgt in Bulgarien für erhebliche politische Unruhe. Dabei soll EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen dem...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Jeder sechste Industriebetrieb verlagert Jobs und Produktion ins Ausland
05.06.2023

Der Industrieverband BDI schlägt Alarm: Jedes sechste Industrieunternehmen will Jobs und Produktion aus Deutschland abziehen. Die Politik...

DWN
Panorama
Panorama US-Kampfjets fangen Flugzeug nahe Washington D.C. ab
05.06.2023

Ein Kleinflugzeug nähert sich der US-Hauptstadt. Der Pilot reagiert nicht auf Ansprachen. Auch nicht auf Leuchtraketen. Kampfjets des...

DWN
Politik
Politik Grüne Planwirtschaft: Energie-Effizienz-Gesetz wird zum „Wachstumskiller“
05.06.2023

Das Ifo-Institut sieht durch das neue Energie-Effizienz-Gesetz eine Art Wirtschafts-Schrumpfungsprogramm auf uns zurollen. Das eigentliche...

DWN
Unternehmen
Unternehmen EU-Data-Act: Innovativ und souverän oder eher schädlich?
05.06.2023

Kleinen und mittelständischen Unternehmen werden laut Bestrebungen der EU-Kommission durch den Data Act bessere Wettbewerbsbedingungen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Aufträge für deutsche Maschinenbauer brechen ein
05.06.2023

Deutsche Maschinenbauer haben mit einer anhaltend schlechten Auftragslage zu kämpfen. Nach einer leichten Erholung im Vormonat gab es im...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Unternehmen können sich bald für „Klimaschutzverträge“ bewerben
05.06.2023

Mit sogenannten „Klimaschutzverträgen“ will Wirtschaftsminister Habeck Unternehmen subventionieren, die auf eine klimafreundliche,...