Die libysche Küstenwache hat am Sonntag drei Boote mit etwa 600 Migranten auf dem Weg nach Europa abgefangen. Die drei großen Schlauchboote seien an der Küste vor Sabratha, rund 70 Kilometer westlich der libyschen Hauptstadt Tripolis gestoppt worden, teilte Marinesprecher Ajub Kassem mit. Alle Menschen an Bord seien Afrikaner gewesen.
Zu den Bootsinsassen zählten dem Sprecher zufolge 80 Frauen, von denen einige schwanger gewesen seien. Der Sprecher wies zugleich eine Äußerung von Frankreichs Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian als „übertrieben“ zurück, wonach in Libyen rund 800.000 Migranten auf eine Überfahrt nach Europa hofften. Auf das Jahr gerechnet würden dann täglich 2.000 Menschen von der libyschen Küste starten, sagte Kassem.
Italien hat am Montag eine deutliche Zunahme der im Mittelmeer aufgegriffenen Migranten und Flüchtlinge registriert: Laut EU-Observer sind über den Zeitraum Sonntag bis Montag insgesamt 1.482 Migranten gerettet worden.
Sicherheits-Experten warnen schon lange vor einem mit Libyen verbundenen Risiko, weil der IS in Libyen nach dem durch den Westen ausgelösten Chaos in dem Land eine führende Rolle übernommen hat. Der IS könnte die Flüchtlinge missbrauchen, um Terroristen nach Europa zu schleusen.
So schrieb der frühere Chef des österreichischen Verfassungsschutzes, Gert Polli, bereits im September 2015 auf den DWN:
„Das größte Sicherheitsrisiko für Europa bringt die Entwicklung in Libyen mit sich. In Libyen kontrolliert die IS inzwischen drei Küstenregionen und hat sich jetzt auch in Sirte festgesetzt.
Der IS in Libyen überwacht nach Informationen der Sicherheitsbehörden den Menschenschmuggel nach Europa. Schiffsbesitzer werden gezwungen bis zu 50 Prozent der Gelder aus dem Schlepperwesen an die IS abzuliefern. Viel alarmierender ist jedoch die BBC-Meldung vom 15. Mai diesen Jahres, die sich auf Informanten vor Ort beruft, wonach der IS die Menschenschmuggler auch dazu zwingen soll, IS-Kämpfer nach Europa überzusetzen. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen haben alleine dieses Jahr mehr als 400.000 Flüchtlinge Europa über den Seeweg erreicht.“
Seit Anfang 2014 sind in Italien etwa 330.000 Migranten und Flüchtlinge eingetroffen, die von Libyen aus das Mittelmeer überquerten. In Libyen hat sich seit dem vor allem von Frankreich betriebenen Sturz des langjährigen Machthabers Muammar al-Gaddafi 2011 Chaos breit gemacht. Die Russen hatten damals eindringlich davor gewarnt, Gaddafi zu stürzen. Seit Mitte 2014 gibt es zwei rivalisierende Regierungen. Das Land wird von dutzenden bewaffneten Milizen beherrscht, die neben den beiden rivalisierenden Regierungen und Parlamenten um die Macht ringen.
Diese unübersichtliche Lage nutzen auch Schlepperbanden für ihre Geschäfte. Nach der Schließung der sogenannten Balkanroute und der Einigung mit der Türkei auf eine Rückführungsvereinbarung wird in der EU befürchtet, dass Libyen wieder verstärkt für die Flucht nach Europa genutzt werden könnte.
Nach Schließung der Balkanroute für Flüchtlinge bereiten Schlepper nach einem Zeitungsbericht nun konkret neue Routen über das Mittelmeer nach Italien vor. Wie Recherchen der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ergaben, soll das Geschäft in der ersten Aprilwoche in großem Stil beginnen. Ausgangspunkte für Überfahrten mit Fischkuttern und kleinen Handelsschiffen sollen der türkische Badeort Antalya, die türkische Stadt Mersin nahe der syrischen Grenze und die griechische Hauptstadt Athen sein.
Die Flüchtlinge und Migranten würden angewiesen, unter Deck zu bleiben, bis die Schiffe internationale Gewässer erreichten, heißt es unter Berufung auf Schleuser, deren Handynummern bei Facebook stünden. Eine Fahrt koste zwischen 3000 und 5000 Euro. Manche Schlepper wollten zwei Fahrten wöchentlich anbieten, einer habe vor, bis zu 200 Personen in ein Schiff zu zwängen. Die Fahrt sei deutlich teurer, als von der Türkei aus auf die griechischen Inseln in der Ägäis überzusetzen. Aber wer jetzt noch auf den griechischen Inseln ankommt, wird wieder in die Türkei zurückgeschickt. Die Nachfrage nach neuen Routen steige seit Wochen, heißt es.
Die Aktivitäten des IS könnten nach der sich abzeichnenden Niederlage in Syrien auf Libyen konzentrieren. Die Amerikaner fürchten offenbar, dass der IS auch stärker in das benachbarte Tunesien eindringen könnte. Daher haben die Amerikaner damit begonnen, die Grenze zwischen Libyen und Tunesien mit Überwachungselektronik zu sichern.