Die Sozial-Ausgaben im Bundeshaushalt steigen weiter an und werden im kommenden Jahr einen bisherigen Höchststand erreichen, wie Reuters am Freitag meldete. 2016 sollen demzufolge die Sozialausgaben von 51,0 auf 52,6 Prozent steigen. Rechnet man die Zinsausgaben heraus, sind es sogar 55,8 Prozent – ein neuer Allzeitrekord. Zugleich sind aber auch so viele Menschen in Arbeit wie noch nie. Allmählich wird es deshalb selbst Koalitionsvertretern mulmig. Jüngst hatte auch der Bundesrechnungshof vor der Entwicklung gewarnt.
Schließlich stehen Steuergelder, die in die Rentenkasse oder in den Gesundheitsfonds fließen, nicht mehr für Zukunftsinvestitionen in Forschung und Entwicklung oder die Sanierung von Schulen, Schienen und Straßen bereit. „Die Entwicklung der Sozialleistungsquote ist problematisch“, warnt deshalb der haushaltspolitischen Sprecher der Unions-Fraktion, Eckhardt Rehberg. Allein der Bundes-Zuschuss zur Rentenversicherung, das Arbeitslosengeld II und der Zuschuss zum Gesundheitsfonds machen etwa 40 Prozent der jährlichen Gesamtausgaben des Bundes aus.
Dabei sollte es doch eigentlich anders sein, sagt der Etat-Experte des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), Martin Beznoska. Wenn die Wirtschaft floriert, sollten die staatlichen Sozialausgaben eigentlich zurückgehen. Schließlich sind dann weniger Menschen arbeitslos und füllen viele Arbeitnehmer die Sozialkassen. Tatsächlich kannte die Quote jahrzehntelang aber nur eine Richtung: nach oben. 1990 lag sie noch bei 27,2 Prozent, 1995 bei 38,0 Prozent, 2000 bei 41,2 Prozent, 2005 bei 51,2 Prozent und 2010 dann bei 53,8 Prozent. Danach sank die Quote leicht und steigt nun in den kommenden Jahren wieder an.
Hinter den zahllosen Zuschüssen, Hilfen, Subventionen und Absicherungen, die der Bund finanziert, stecken sicher viele sinnvolle Ziele. Allerdings warnen Etat-Experten wie Rehberg, dass das Geld dafür zunächst einmal erarbeitet werden muss und der Haushalt nicht die Balance verlieren darf: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht durch falsche Weichenstellungen einen Trend verfestigen, der uns sowohl im nächsten Abschwung als auch langfristig auf die Füße fallen kann“, sagt er: „Ich sehe es kritisch, dass wir in wirtschaftlich guten Zeiten einen so deutlichen Anstieg der Sozialleistungsquote zulassen.“ Für weitere Wohltaten gebe es weder Notwendigkeit noch Spielraum.
Dass die Quote wieder steigt wird je nach politischer Ausrichtung als Verdienst oder Versagen der jetzigen Koalition gewertet. So listet Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in einem Brief an die Mitglieder der Koalitionsfraktionen auf, was 2017 geplant ist, beziehungsweise weiterfinanziert wird: „Dazu zählen die Erhöhung des Wohngeldes, das Elterngeld-Plus mit Partnerschaftsbonus, die abschlagsfreie Altersrente ab 63, die „Mütterrente“, die Lebensleistungsrente und eine verbesserte Erwerbsminderungsrente.“ Dazu kommt die Erhöhung des Zuschusses an den Gesundheitsfonds um 500 Millionen auf 14,5 Milliarden Euro. Insgesamt steigen die Sozialausgaben damit von 161,5 Milliarden Euro in diesem Jahr auf 171,1 Milliarden Euro 2017.
Ewig fortsetzen lasse sich der Trend nicht, warnt Beznoska. Grund dafür ist der demografische Wandel, der Mitte der 20er-Jahre voll auf die Staats- und Sozialkassen durchschlagen wird. Darauf spielte auch Schäubles Chefvolkswirt Ludger Schuhknecht an, der kürzlich in einer Fach-Debatte eine Parallele zu China zog, das ebenfalls mit einer alternden Bevölkerung kämpft. Dort sei der Ausgangspunkt aber ein anderer: „Denn wir haben hier dieses umfassende soziale Sicherungssystem, das schon jetzt sehr teuer ist, und zwar noch bevor sich die eigentlichen Probleme der alternden Gesellschaft richtig einstellen.“
Die Weichen in die Gegenrichtung stellen wird die jetzige Koalition nicht mehr. Im Herbst 2017 wird gewählt, und keine Partei will Wähler vergraulen. Beznoska zufolge wird es dann allerdings höchste Zeit, den Hebel wieder umzulegen. „Die nächste Legislaturperiode wird der Vorabend des demografischen Wandels sein“, warnt er. Und außerdem: Wenn die Spielräume im Etat wegen der hohen Sozialausgaben immer kleiner würden, werde auch die „schwarze Null“ immer schwerer zu halten sein. Spätestens im nächsten Abschwung werde sich das zeigen.
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