Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wir stellen seit einigen Wochen eine gewisse Stabilisierung beim Ölpreis fest – worauf führen Sie diese zurück?
Dora Borbély: Ein deutliches Überangebot am Rohölmarkt hat seit Mitte 2014 zu einem ausgeprägten Verfall der Rohölpreise geführt. Der Rückgang auf unter 50 US-Dollar je Barrel hat bewirkt, dass einige Unternehmen, insbesondere in den USA, nicht mehr kostendeckend fördern können. Das Ölangebot wird demnach ausgehend von den Nicht-OPEC-Ländern, insbesondere den USA, gedrosselt werden. Erste Anzeichen hierfür sind sichtbar: Die US-Ölförderung ist auf unter 9 Millionen Barrels gefallen. Die Ölpreise stabilisieren sich.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Ist diese Entwicklung nachhaltig?
Dora Borbély: Die Bodenbildungsphase der Ölpreise kann einige Monate anhalten und auch starke Schwankungen mit sich bringen. Denn erst wenn die hohen Lagerbestände nennenswert abgebaut werden – aufgrund eines knapper werdenden Angebots bei weiter zunehmender Nachfrage – werden die Rohölpreise nachhaltig ansteigen. Das erwarten wir eher für Ende 2016 bzw. für das Jahr 2017.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Glauben Sie, dass die Erdöl-Produzenten eine gemeinsame Strategie finden werden?
Dora Borbély: Nicht einmal die OPEC-Länder finden eine gemeinsame Strategie. Daher verliert das Kartell an Zusammenhalt, an Macht und an Einfluss und ist kaum noch relevant für den Ölmarkt. Die Anpassung an das neue Gleichgewicht am Ölmarkt wird diesmal über marktwirtschaftlich agierende Unternehmen in den USA vollzogen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Saudi-Arabien hat deutlich an Marktanteilen verloren – wie weit kann dieser Trend gehen?
Dora Borbély: Die Auswirkungen des neuen saudi-arabischen Ölministers auf die Ölpreisentwicklung sind unklar. Der Wechsel kann aber als Zeichen für das Scheitern der saudi-arabischen Ölpolitik nach dem Ölpreisverfall seit Mitte 2014 gewertet werden. Die Strategie der Verteidigung von Marktanteilen kann, wenn überhaupt, nur zeitweise funktionieren. Sollten die Ölpreise wieder nennenswert steigen, werden die US-Förderer wieder in dem Markt zurückkehren und verhindern, dass die Ölpreise wieder auf alte Höhen ansteigen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Eine Baisse bei den Rohstoffen hat in der Regel sehr langfristige Wirkungen wegen der Investitionszyklen. Wie sehen Sie dies?
Dora Borbély: Die bis zur Finanzkrise deutlich gestiegenen Preise haben damals eine Investitionswelle im Rohstoffsektor losgetreten. Inzwischen wurden die Produktionskapazitäten bei vielen Rohstoffen sogar so spürbar ausgeweitet, dass nicht nur die steigende Nachfrage problemlos bedient werden kann, sondern zunehmend Überkapazitäten bei der Rohstoffproduktion entstanden sind. Die Folge war ein einige Jahre lang herrschender Abwärtstrend der Rohstoffpreise. Dieser dürfte sich seinem Ende zuneigen. Das inzwischen niedrige Preisniveau bewirkt, dass die Investitionstätigkeit stark abgebremst wird. In Verbindung mit der anhaltenden Zunahme der globalen Rohstoffnachfrage werden die Rohstoffpreise daher längerfristig wieder steigen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Folgen müssen wir bei den Schwellenländern erwarten?
Dora Borbély: Die Wachstumsdynamik ist in den meisten Schwellenländern unbefriedigend. Die Rohstoffexporteure leiden unter ihren Überkapazitäten und dem starken Rückgang der Rohstoffpreise seit Mitte 2014. Die Schwäche des Welthandels belastet den Ausblick auch für jene Länder, die stark auf den Export verarbeiteter Güter setzen. Trotz aller Probleme liegen die Wirtschaftswachstumsraten in den meisten Ländern über denen, die in den hochentwickelten Staaten zu beobachten sind.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wo sehen Sie China in diesem Kontext? Im Grunde erleben wir hier doch eher eine Transformation – oder ist es eine Blase?
Dora Borbély: Die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums auf ein Niveau von 6-7 Prozent ist nach unserer Einschätzung strukturell. Die Regierung hat als mittelfristiges Wachstumsziel für die Jahre bis 2020 eine Rate von 6,5 Prozent festgelegt. Obwohl die Infrastruktur-Investitionen noch immer einen wichtigen Beitrag zur Stützung der Konjunktur liefern, kommt der angestrebte Umbau der Wirtschaft voran: Der Dienstleistungssektor steuert mittlerweile über 50 Prozent zur Wirtschaftsleistung bei. Die Regierung will den angestrebten Umbau der Wirtschaft durch eine schrittweise Liberalisierung und Öffnung des Finanzsystems unterstützen. Doch sowohl beim Währungsregime als auch am Aktienmarkt und im Schattenbankensystem wird immer wieder deutlich, wie schwierig es ist, Marktkräften ein höheres Gewicht zu geben, wenn gleichzeitig die Schwankungen gering gehalten werden sollen.