Der österreichische Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil ist der Ansicht, dass Österreich sein Augenmerk aufgrund möglicher neuer Flüchtlingsströme erneut auf Ungarn richten müsse. In Ungarn seien erneut „hohe Aufgriffszahlen“ von Flüchtlingen zu beobachten.
Die Situation sei „ähnlich wie im vorigen Jahr“, zitiert der ORF Doskozil. Die österreichische Regierung hatte zuvor angekündigt, an der Einführung des Notstands zu arbeiten, falls die Obergrenze von 37.000 Flüchtlingsanträgen erreicht werden sollte. Die aktuelle Anzahl der Anträge liegt bei 11.000, so der ORF.
Der ungarische Sicherheitsberater des Premiers Viktor Orban, György Bakondi, sagte am vergangenen Freitag, dass Ungarn an der Grenze zu Serbien eine dritte Transitzone einrichten will, wo sich Flüchtlinge registrieren lassen können, berichtet der Business Insider. Die Transitzone werde im Dorf Asotthalom errichtet.
„Es gibt einen deutlichen, kontinuierlichen und ansteigenden Migrations-Druck entlang der ungarisch-serbischen Grenze (…) Illegale Versuche, die Grenze zu überqueren, haben Schäden am Grenzzaun verursacht“, zitiert Hungary Today Bakondi. Alleine im März habe es 3.300 dieser Versuche gegeben. Mittlerweile sei diese Anzahl im Monat Mai auf 4.200 angestiegen. Täglich werden 700 bis 900 Migranten beim Versuch, den Grenzzaun zu überqueren, von der Polizei geschnappt. Nach Informationen des Sicherheitsberaters sind im aktuellen Jahr bisher 17.052 Asylanträge eingegangen. 4.102 dieser Anträge wurden in den Transitzonen gestellt. Im vergangenen Jahr habe die ungarische Polizei 1.176 Schlepper festgenommen. Im aktuellen Jahr wurden 121 Schlepper dingfest gemacht.
Doch das Bundesinnenministerium (BMI) stuft die Lage anders ein und erwartet keinen großen Flüchtlingszustrom. Ein BMI-Sprecher sagte den Deutschen Wirtschafts Nachrichten:
„Seitdem die Umsetzung der gemeinsamen Erklärung der EU mit der Türkei angelaufen ist, ist die Anzahl der Migranten und Flüchtlinge, die über Griechenland in den EU-Raum einreisen, nach der faktischen Stilllegung der Balkan-Route noch ein weiteres Mal zurückgegangen. Die Bundespolizei hat im Mai durchschnittlich nur noch gut 100 Flüchtlinge und Migranten täglich an der deutsch-österreichischen Grenze bei der Einreise nach Deutschland festgestellt. Der uns bekannte Mittelwert von Einreisen nach Griechenland lag zuletzt etwas über 40 am Tag. Zugänge nach Deutschland ohne einhergehende Registrierung gibt es unserer Einschätzung nach gegenwärtig allenfalls noch in geringem Umfang, und aktuell sehen wir auch keine konkreten Anzeichen für eine Änderung der beschriebenen Trends.“
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte im Vorjahr die Grenzen für alle Flüchtlinge und Migranten geöffnet und hält den Schritt jedoch weiter für richtig. In einem Interview mit der Bunten bejahte Merkel die Frage, ob sie aus heutiger Sicht wieder so handeln würde wie im September 2015: "Deutschland und Österreich haben in einer humanitären Notlage entschieden, unsere Grenzen nicht zu schließen, so dass diese Menschen zu uns kommen konnten, so wie in den Monaten zuvor schon Hunderttausende andere über Ungarn gekommen waren", rechtfertigte sie den Beschluss.
Die Kanzlerin sieht jedoch Versäumnisse in der Flüchtlingspolitik bei allen EU-Staaten. "Ganz sicher haben wir in Europa zu spät die Augen dafür geöffnet, wie unerträglich die Situation in den Herkunftsländern oder nahe der Heimat geworden war, sodass die Menschen keinen anderen Ausweg mehr sahen, als ihr Schicksal in die Hände von kriminellen Schleppern und Schleusern zu legen", sagte Merkel.
Die CDU-Chefin forderte, künftig viel stärker Fluchtursachen zu bekämpfen. Es müsse gemeinsam mit anderen Staaten versucht werden, friedliche Lösungen für Kriege zu finden, Hunger und Not zu bekämpfen und mehr für den Klimaschutz zu tun. "Es hilft überhaupt nicht zu glauben, das ginge uns alles nichts an: Es geht uns etwas an und wir müssen neue politische Aufgaben annehmen."
An die Bevölkerung in Deutschland gewandt versicherte Merkel in dem Interview, dass Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger wegen der Kosten für die Bewältigung der Flüchtlingskrise keine Leistungskürzungen befürchten müssten: "Alle staatlichen Programme und Hilfen für sie werden selbstverständlich fortgeführt."
Die Kanzlerin äußerte Verständnis dafür, "wenn sich Menschen Sorgen machen, die selbst mit wenig Geld auskommen müssen oder arbeitslos sind". Merkel warb aber dafür, auf Flüchtlinge zuzugehen: "Jedem, der Angst verspürt, empfehle ich, wenn sich dazu irgendwie Gelegenheit bietet, einen Menschen, der zu uns geflohen ist, einfach mal persönlich kennenzulernen", sagte sie. "Es sind Menschen, die vieles erlebt und erlitten haben und genauso wie wir ihre Sorgen und Hoffnungen haben."