Bisher war die Bezeichnung der internationalen Finanzsystem als Schneeball-System vom Establishment ins Reich der Verschwörungstheorien verwiesen worden. Von einem Schneeball-System spricht man, wenn immer neue Gelder in eine Unternehmung gepumpt werden, um Altgläubiger oder Investoren zu befriedigen, ohne dass dafür an irgendeiner Stelle eine echte Leistung erbracht wird (ein Produkt, Wachstum etc.). In den USA spricht man auch von einem Ponzi-Scheme - benannt nach dem Italiener Carlo Ponzi, der in den 1920er-Jahren mit dieser Art der Schein-Wirtschaft begonnen hatte.
Nun hat erstmals eine etablierte Berater-Gruppe den gefürchteten Begriff in den Mund genommen - und die Begründung für diese Einschätzung mit einer Studie untermauert. Die wirtschaftlichen Probleme in der Finanzbranche gleichen einem Schneeball-System, lautet die Hauptthese einer aktuellen Studie der Boston Consulting Group (BCG). Politiker und Zentralbanker hätten „selbstgefällig“ die Probleme immer weiter aufgeschoben und sie damit verschlimmert. Sie hätten es vermieden, der Öffentlichkeit die Wahrheit zu sagen: Die angehäuften Schulden können niemals voll zurückgezahlt werden.
Es liege in der Natur eines Schneeball-Systems, dass es plötzlich und ohne Warnung zusammenbricht, so BCG. Niemand könne wissen, welches Ereignis den Zusammenbruch auslösen werde. Doch selbst wenn die Entscheidungsträger weltweit endlich beginnen, verantwortungsvoll zu handeln, werde es harte Opfer auf allen Seiten geben: Höhere Steuern, Schuldenschnitte, längere Arbeitszeiten und geringere Sozialleistungen.
Die Ursache des weltweiten Schneeballsystems seien die Rekordschulden, sowohl öffentliche als auch private. Die Summe aller öffentlichen und privaten Schulden in den 18 Kernländern der OECD habe 1980 noch 160 Prozent des gesamten BIP betragen. Im Jahr 2011 sei diese Quote auf 321 Prozent angestiegen. Inflationsbereinigt hätten Regierungen heute mehr als viermal so viele Schulden wie 1980, private Haushalte hätten mehr als sechsmal so viele Schulden wie 1980 und Nicht-Finanz-Unternehmen hätten heute mehr als dreimal so viele Schulden wie 1980.
An sich seien Schulden nichts Schlechtes, etwa wenn sie aufgenommen würden, damit die Wirtschaft wachse. In den letzten Jahrzehnten jedoch sei ein Großteil der Schulden nur aufgenommen worden, um zu konsumieren, um zu spekulieren und um alte Schulden abzuzahlen. Und immer weniger führten aufgenommene Schulden tatsächlich zu Wachstum. Sie sind immer mehr allein dazu nötig, ein Auseinanderbrechen des Systems zu verhindern.
Diese massiven Schuldenprobleme seien allerdings „nur ein Teil des Problems“, so BCG. Verschlimmert werde die Lage durch „versteckte ungedeckte Verbindlichkeiten“ von Regierungen und Unternehmen, vor allem bei der Alters- und Gesundheitsvorsorge. Die entsprechenden Programme seien auf den demografischen Wandel schlicht nicht eingestellt und könnten ihre Versprechungen nicht halten.
Zur Lösung des globalen Schuldenproblems macht BCG zehn Vorschläge. Erstens müsse eingestanden werden, dass die Schulden nicht zurückgezahlt werden können. Etliche Staaten und Unternehmen müssten sich für zahlungsunfähig erklären, auch wenn dies „kurzfristig schmerzvoll“ sei. Die übrigen Vorschläge zielen auf verschiedene staatliche Maßnahmen hin, unter anderem die Stabilisierung der Sozialsysteme und Verringerung der Staatsausgaben. Darin liegt auch das fundamentale Problem der Finanzkrise: BCG verlangt, dass die Lösung der Probleme gerade von denjenigen gebracht wird, die für die aktuelle Situation verantwortlich sind.