Neben der Entsendung von Bataillonen in die baltischen Staaten und nach Polen will die NATO Russland auch in Rumänien unter Druck setzen: Die NATO-Verteidigungsminister würden am Dienstag „maßgeschneiderte Entscheidungen für die Südost-Region“ treffen, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Es gehe um ein Angebot Rumäniens für eine multinationale Brigade, die NATO-Aktivitäten „in Verbindung mit Übungen und Rückversicherungsmaßnahmen erleichtern kann“.
Der Zweck der verstärkten Präsenz in Rumänien ist klar – und wird in Moskau für Nervosität sorgen: Rumänien grenzt an das Schwarze Meer und ist nur gut 200 Kilometer von der durch Russland annektierten Halbinsel Krim entfernt.
Erst Mitte Mai wurde in Rumänien ein weiterer Stützpunkt der Raketenabwehr des Bündnisses eingeweiht, die Moskau als Bedrohung sieht.
Die Krim ist Russland vertraglich als Ort der Stationierung für ihre Schwarzmeer-Flotte zugesichert.
Stoltenberg machte nun keine Angaben dazu, in welchem Umfang NATO-Truppen zusätzlich in Rumänien aktiv werden könnten. Militärische Details würden später noch geklärt, sagte er in Brüssel. Die Brigade besteht nach NATO-Angaben zunächst aus rumänischen und bulgarischen Soldaten, zu denen etwa für Übungen andere Verbände aus NATO-Staaten stoßen könnten.
Die Militär-Allianz will in den drei baltischen Staaten und Polen „unbefristet“ jeweils ein Bataillon von bis zu 1000 Soldaten stationieren. Es gebe keine Entscheidung dazu, „wie lange die vier Bataillone in den Baltischen Ländern und in Polen bleiben sollen“, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Montag. Die
NATO-Verteidigungsminister sollen den Plan bei ihrem Treffen am Dienstag grundsätzlich beschließen.
Die Tatsache, dass Stoltenberg von einem „unbefristeten Einsatz“ spricht, deutet darauf hin, dass die NATO sich still und leise aus der NATO-Russland-Grundakte verabschieden könnte. Diese verbietet eigentlich eine dauerhafte Präsenz, weshalb die NATO die Bataillone formal „rotierend“ einsetzen will. Polen sagt seit längerem, dass die NATO-Grundakte nur ein politisches Papier ohne rechtlich bindende Wirkung seien.
Ziel des geplanten Aufmarschs sei „ein klares Signal, dass die NATO bereit ist, alle ihre Verbündeten zu verteidigen“, sagte Stoltenberg. Die Stationierung sei Teil „einer viel größeren Veränderung bei der Verteidigungs- und Abschreckungshaltung der NATO“. Er verwies dabei unter anderem auf die seit dem vergangenen Jahr aufgebaute schnelle Eingreiftruppe aus 5000 Soldaten, die in Teilen binnen 48 Stunden in Krisengebiete verlegt werden kann.
Die „vorgelagerte Präsenz“ im Osten solle klarmachen, dass „jeder Übergriff, jeder Angriff auf diese vier Alliierten sofort auf NATO-Streitkräfte stößt und schnelle Reaktionen des Restes der Allianz auslösen wird“, sagte der US-Botschafter bei der NATO, Douglas Lute. Die militärischen Detailplanungen für die Stationierung der Verbände laufen derzeit noch und sollen bis zum NATO-Gipfel Anfang Juli in Warschau abgeschlossen werden.
„Wir diskutieren jetzt die Größe, den Umfang und die Zusammensetzung dieser Kräfte“, sagte Stoltenberg. Die Details sollen nach Angaben aus dem Bündnis bis zum NATO-Gipfel Anfang Juli in Warschau feststehen. Lute zufolge sind zwischen 800 und 1000 Soldaten pro Land im Gespräch.
Das Personal der Bataillone soll regelmäßig ausgewechselt werden. Nach Angaben Lutes sollen die Kräfte der Bataillone alle sechs bis neun Monate ausgewechselt werden. „Lücken“ bei der Stationierung würden dabei aber nicht entstehen.
Weiteres Thema des zweitägigen Verteidigungsministertreffens ist die Fortsetzung der NATO-Präsenz im Mittelmeer. Die NATO ist dort immer noch im Rahmen des Kriegs gegen den Terror von 9/11aktiv. Der Kriegsgrund besteht allerdings nicht mehr, weshalb die NATO eine neue Grundlage für eine dauerhafte Präsenz sucht. Dieser könnte sich im Kampf gegen den vom NATO-Verbündeten Saudi-Arabien finanzierten und unterstützten IS gefunden haben. Die NATO beteiligt sich bisher nicht direkt an der internationalen Koalition gegen den IS. Die USA dringen seit Monaten darauf, dass die Allianz zumindest ihre Awacs-Flugzeuge zur Verfügung stellt. Die Maschinen können zur Luftraumüberwachung, aber auch als fliegender Gefechtsstand eingesetzt werden - könnten also Luftangriffe auf IS-Stellungen vorbereiten und dirigieren. „Wir werden auch in Betracht ziehen, die globale Koalition gegen den IS mit Awacs-Aufklärungsflugzeugen zu unterstützen“, sagte Stoltenberg.
Am Abend kommen die NATO-Verteidigungsminister auch mit der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini zusammen. Ziel sei es, weitere Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu finden, sagte Stoltenberg. Dabei gehe es insbesondere um Möglichkeiten, wie die NATO die EU-Marinemission „Sophia“ gegen Schlepperbanden unterstützen könne.
Während der massivsten Veränderung der militärischen Lage in Europa nach dem Fall der Mauer versucht die deutsche Bundesregierung, ein anderes Thema in das öffentliche Interesse zu rücken. In den stündlichen Nachrichten des öffentlich-rechtlichen Deutschlandfunks ist von den NATO-Plänen nichts zu hören. Statt dessen meldet der Sender einen neuen „Skandal“, der aber durch die Tatkraft von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen bereits aus der Welt geschafft wurde: von der Leyen kündigt Konsequenzen aus der „Affäre“ um einen Tag der offenen Tür der Bundeswehr, bei dem Kinder in einer Kaserne mit Sturmgewehren und Maschinenpistolen hantieren durften. „Um so etwas für die Zukunft von vornherein auszuschließen, habe ich entschieden, dass auf künftigen Tagen der Bundeswehr keine Handwaffen zum Anfassen mehr präsentiert werden“, erklärte von der Leyen am Dienstag in Berlin.
Friedensaktivisten hatten Bilder veröffentlicht, auf denen Kinder beim Umgang mit Waffen der Typen G36 und P8 sowie bei einer Einweisung an einer Maschinenpistole des Typs MP7 gezeigt werden. Die Aufnahmen sollen am Samstag beim „Tag der Bundeswehr“ in einer Kaserne im baden-württembergischen Stetten entstanden sein.Von der Leyen sagte, am Standort Stetten sei „trotz klarer Vorschriften ein bedauerlicher Fehler passiert“. Laut Verteidigungsministerium dauern die Untersuchungen zu dem Fall an. Zu den Aktivitäten der NATO in Ost-Europa haben sich die Friedensaktivisten nicht geäußert.
Russland hat unterdessen angekündigt, auf den NATO-Vorstoß reagieren zu wollen – zeigt sich jedoch auffallend zurückhaltend. Regierungssprecher Dimitri Peskow sagte laut TASS in Moskau, Russland werde die Entwicklung genau beobachten – und reagieren, wenn sich fremde Truppen an die russische Grenze bewegen sollten.
Die neue NATO-Strategie in Russland und im Nahen Osten hatte Stoltenberg bereits bei einer Grundsatzrede in Washington umrissen. Sie wird jetzt, wie angekündigt, zügig implementiert.