Politik

Fördergelder verhindern Abspaltung von EU in Osteuropa

In den Staaten Osteuropas sind noch keine akuten Abspaltungstendenzen von der EU zu erkennen. Der Grund: Die Staaten profitieren enorm von den Fördergeldern aus Westeuropa. Doch ein weiterer, dem Brexit vergleichbarer Schock könnte die Staaten ermutigen, nationale Alleingänge ins Auge zu fassen.
03.07.2016 01:52
Lesezeit: 6 min
Fördergelder verhindern Abspaltung von EU in Osteuropa
Quellen: EU-Kommission, Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research Foto: Mitarbeiter

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Die Haltungen dieser zentraleuropäischen Regierungen gegenüber der EU können schlichtweg als ambivalent bezeichnet werden: In Ungarn zeichnet sich die rechtskonservative Regierung unter Ministerpräsident Orban bereits seit geraumer Zeit durch eine dezidiert auf Autonomie bedachte Politik aus. Dennoch wird darauf geachtet, die Regeln des EU-Stabilitätspakts einzuhalten, sodass ein EU-Defizitverfahren 2013 beendet werden konnte. In Polen ist seit dem Wahlsieg der rechtsnationalen PiS im Oktober 2015 ebenfalls eine härtere Gangart gegenüber der EU festzustellen.

Selbstbewusst nimmt das Land auch eine Verschärfung des EU-Rechtsstaatlichkeitsverfahrens als Antwort auf seine umstrittenen Reformen in Kauf. Allerdings kommen von offizieller Seite auch immer wieder klare Aussagen pro EU-Mitgliedschaft.

Die Ambivalenz in den Äußerungen hat gegenüber dem EU-Beitritt 2004 deutlich zugenommen. Dies dürfte mit dem wirtschaftlichen Erfolg in den diversen Krisen der letzten Jahre im Vergleich zum EU-Durchschnitt zusammenhängen. Die zentraleuropäischen Länder haben sich gewissermaßen emanzipiert und finden zunehmend ihre eigenständige Rolle in der EU. Allerdings ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Erfolgsstory außerhalb der EU aller Wahrscheinlichkeit nach weit weniger glanzvoll verlaufen wäre. Die Entwicklungen an den Finanzmärkten direkt nach Bekanntwerden des Brexit-Votums sind hierfür klare Indizien.

Es ist Vorsicht für Investoren geboten

Die Investoren vertrauen dem wirtschaftlichen Erfolg der Länder maßgeblich auf der Basis einer EU-Mitgliedschaft. Insbesondere in Polen, aber auch in Ungarn waren deutliche seismische Bewegungen auf den Finanzmärkten spürbar. Während deutsche Staatsanleihen am Tag des Brexit-Votums mit neuen Tiefständen reagierten und auch tschechische 10-Jährige minimal niedriger verzinst wurden, zeigten sich Investoren gegenüber den entsprechenden ungarischen und den polnischen Staatsanleihen kritischer: Die Verzinsung notierte um gut 20 Basispunkte höher und signalisierte so eine erhöhte Wachsamkeit. An den Aktienmärkten waren deutlichere Erschütterungen insbesondere in Ungarn zu verzeichnen, die auch anhielten, als sich die Situation bei den Staatsanleihen wieder etwas beruhigt hatte.

Deutlich waren die Reaktionen auch auf den Devisenmärkten. Zusätzlich zum schwächeren Euro gaben auch die Kurse der zentraleuropäischen Währungen gegenüber dem Euro nach. Besonders der aufgrund der politischen Turbulenzen in der letzten Zeit ohnehin volatile Zloty büßte in der Folge des Referendums an Wert ein. Aber auch beim Forint waren die Auswirkungen spürbar. Tschechiens Regierung fiel demgegenüber in letzter Zeit weniger mit EU-kritischen Tönen und politischen Sonderwegen auf. Außerdem hatte die Zentralbank 2013 einen Mindestkurs festgesetzt, um die Aufwertung der Krone einzudämmen, was als Signal der Stärke gelten kann. So blieben die Kursausschläge der Tschechischen Krone moderat.

Bereits am Tag nach dem Referendum beruhigte sich die Lage wieder etwas. Die Rhetorik der Regierungen sollte dies unterstützen. Denn eine nachhaltige Verunsicherung der Investoren können sich die Länder nicht leisten. Die rückläufige Verzinsung der Staatsanleihen hat in den zentraleuropäischen Ländern einen wichtigen Beitrag zum Abbau der Haushaltsdefizite geleistet. In Polen ist außerdem das Thema Fremdwährungskredite noch nicht abschließend geregelt, sodass Währungsabwertungen hier zu Verteuerungen führen. Anders in Ungarn: Hier wurde 2015 mehr oder weniger in Übereinkunft mit den Banken eine Regelung zum Umtausch von Fremdwährungskrediten in Forint getroffen. Die Regierungen sind also bei aller EU-Skepsis an Stabilität interessiert.

Bekenntnisse zur Mitgliedschaft dürften den Investoren gefallen, jedoch werden die rechtskonservativen Regierungen in Polen und Ungarn auch auf ihre EU-kritischen und auf mehr Autonomie bedachten Wähler Rücksicht nehmen. Dass die enge Bindung an die EU nicht zur Disposition stehen kann, wird beim Blick auf die wirtschaftlichen Fakten klar.

EU-Mitgliedschaft als Basis für Wohlstandsgewinn

Alle zentraleuropäischen Länder haben gegenüber der Zeit vor dem EU-Beitritt (für die meisten Länder im Jahr 2004) Fortschritte gemacht, in einigen, zu denen neben den baltischen Staaten und der Slowakei auch Polen gehört, ist dies besonders deutlich. Das Ziel, zum EU-Durchschnitt aufzuschließen, bedeutet aber in den meisten Fällen, dass in Sachen Wohlstand noch ein Stück des Wegs zu gehen ist.

Dass dies maßgeblich auf der Mitgliedschaft im weltweit größten wirtschaftlichen Zusammenschluss souveräner Staaten beruht, ist auch den Regierungen der einzelnen Länder klar, wie die – bei allen Autonomiebestrebungen – klaren Aussagen zum EU-Status etwa von Präsident Duda und Ministerpräsidentin Szydlo (beide Polen), zeigen. Dabei ist eine wichtige Basis der sichere Rechtsrahmen, den die EU bietet und auf den Investoren bei ihren Entscheidungen zählen. Dies belegen wiederholt Umfragen der Auslandshandelskammern in den zentraleuropäischen Ländern, in denen die EU-Mitgliedschaft regelmäßig als Hauptargument bei der Standortwahl genannt wird.

Auch die umfänglichen EU-Fördergelder, die in die zentraleuropäischen Staaten fließen, mindern erheblich die Attraktivität einer Austrittsperspektive. Absolut gesehen ist der größte Nutznießer in der aktuellen Förderperiode abermals Polen: Für das Land stehen zwischen 2014 und 2020 insgesamt rund 106 Milliarden Euro zur Verfügung, davon rund 73 Milliarden im Rahmen der Kohäsionspolitik und knapp 30 Milliarden an Agrarbeihilfen.

Beim Blick auf die Außenhandelsbeziehungen wird deutlich, wie eng die Länder über den Austausch mit der EU verknüpft sind. Besondere Bedeutung hat dies für Ungarn und Tschechien. Auch die Verbindungen mit der deutschen KFZ-Industrie spielen hier eine wichtige Rolle. Polen hat demgegenüber im regionalen Vergleich zwar den größten Binnenmarkt, jedoch gehen auch hier rund 80 Prozent der Exporte in die EU.

Für alle drei Länder ist Deutschland mit einem Anteil von jeweils um die 30 Prozent das wichtigste Warenexportland. Nach Großbritannien gehen nur zwischen 4 Prozent und 7 Prozent der jeweiligen Warenexporte. Über diesen Kanal dürften die direkten Brexit-Auswirkungen daher überschaubar bleiben.

Eurobarometer: Befragte werden der EU gegenüber skeptischer

Insgesamt hat die Skepsis gegenüber der EU-Mitgliedschaft sowohl im Durchschnitt der EU als auch in Deutschland zugenommen. In den zentraleuropäischen Ländern ist das Bild gemischt. Immerhin wurde die Ansicht, dass das eigene Land außerhalb der EU besser für die Zukunft gerüstet sei, in Polen, Tschechien und Ungarn von 35-40 Prozent der Befragten geteilt. Der deutlichste Anstieg binnen Jahresfrist war dabei in Ungarn festzustellen. Bei der Frage nach der Haltung zur Eurozone und der gemeinsamen Währung zeigen sich die Teilnehmer aus den drei Ländern ebenfalls wenig geneigt, allen voran in Tschechien. Es kann davon ausgegangen werden, dass die demnächst anstehende Neuauflage des Eurobarometers diese Trends bestätigt.

Vieles deutet darauf hin, dass es in den Ländern zwar – auch in der Politik – Befürworter für Alleingänge außerhalb der EU gibt, die Mehrheit dürfte sich jedoch der Vorteile, die aus dem Verbund erwachsen, durchaus bewusst sein. Einiges davon ist konkret im Alltag spürbar, etwa bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Hier dürfte auch der Brexit ganz unmittelbare Auswirkungen haben: Schätzungen zufolge bilden Polen mit rund 850.000 Personen nach Indern die größte nationale Minderheit in Großbritannien. Nicht (mehr) in einem EU-Land zu arbeiten, hätte für sie weitgehende rechtliche Folgen und würde der Arbeitsmigration bürokratische Hindernisse entgegenstellen.

Für Tschechien und Ungarn stellt sich die Frage, welche Haltung zum Brexit und zum Status ihres Landes die einzelnen Parteien im Wahlkampf einnehmen: In Tschechien stehen im Oktober 2017 Parlamentswahlen an, in Ungarn 2018, dem Jahr, in dem Großbritannien nach einem Austrittsantrag 2016 vermutlich die EU verlassen würde. Denkbar ist, dass die Politiker den Brexit zum Anlass nehmen, einzelne Aspekte der EU-Verträge zu prüfen und Nachverhandlungen zu fordern.

So halten sich die Auswirkungen des Brexit-Votums derzeit in Grenzen. Das liegt auch daran, dass die EU-Länder Zentraleuropas deutlich besser in der Staatengemeinschaft verankert und wirtschaftlich stabiler sind als etwa beim Ausbruch der Finanzkrise 2008. Vieles wird, neben einem klaren Bekenntnis der Politiker zur EU, davon abhängen, ob der Brexit ein Einzelfall bleibt. Sollten sich jedoch, etwa im Norden Europas, Nachahmer finden, würde dies auf klare Zerfallserscheinungen hindeuten. Die daraus folgende Flucht in vermeintlich sichere Werte könnte umfangreiche Kapitalabflüsse aus Zentraleuropa bewirken, die spürbare und nachhaltige Folgen für die dortigen Volkswirtschaften nach sich ziehen würde

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