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Portugal auf der Kippe: Banken gerettet, Wirtschaft weiter in der Krise

Lesezeit: 3 min
07.07.2016 01:43
Die Spekulationen über eine neues „Hilfsprogramm“ verunsichern Portugal. Schon bald könnte das Land neue Kredite aus dem ESM benötigen - mit den zu erwarteten harten Austeritäts-Programmen.
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Gerhard Schick, Sprecher der Grünen für Finanzpolitik, sieht eine gefährliche Zuspitzung in Portugal, weil die Krise in dem erst kürzlich für gerettet erklärten Land mitnicht überwunden ist: "Während die Bundesregierung bei Italien offenbar ein Interesse an einer Stabilisierung hat und sich sehr zurückhaltend äußert, verursacht Finanzminister Schäuble bei Portugal einen diplomatischen Konflikt und verunsichert die Märkte. Der Unterschied liegt in der politischen Interessenlage: Die Bundesregierung will den Erfolg von Matteo Renzi beim Verfassungsreferendum, nicht jedoch den Erfolg der Linksregierung in Portugal."

Schick: "Die leichtfertige Äußerung, dass Portugal wegen höherer Ausgaben ein neues Hilfsprogramm brauche, ließ in Lissabon die Alarmglocken schrillen. Der deutsche Botschafter wurde deswegen einbestellt. Entweder hat der Finanzminister - wie schon bei seinen Äußerungen zur Deutschen Bank vor einiger Zeit - in einer schwierigen Lage seine Zunge nicht im Griff gehabt. Oder er versucht, die neue Linksregierung in Portugal unter Druck zu setzen. Jedenfalls bleibt nach der Sitzung des Finanzausschusses für mich unklar, ob es einen realen Hintergrund für die Andeutung des Finanzministers gab, dass Portugal ein neues ESM-Programm brauche und bekommen werde."

Im Jahr 2011 war Portugal mit zinsgünstigen Krediten im Umfang von 78 Milliarden Euro von der EU, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) vor dem Finanzkollaps bewahrt worden. Drei Jahre später, im Mai 2014, konnte das Land das „Rettungsprogramm“ der Troika beenden.

Im November 2015 ging die EU-Kommission davon aus, dass das Staatsdefizit im Jahr 2015 den Maastrichter Richtwert von 3 Prozent der Wirtschaftsleistung „ziemlich genau“ erreichen würde. Nach dem Regierungswechsel mit Sozialistenführer António Costa an der Spitze war es indessen unwahrscheinlich, dass Portugal die Einhaltung dieses Werts würde halten können. Costa versprach zwar nach der Wahl, die Brüsseler Vorgaben und den Stabilitätspakt einhalten zu wollen. Gleichwohl wollte er jedoch ein höheres Haushaltsdefizit in Kauf nehmen, um mehr Spielraum für soziale Ausgaben zu haben.

Nun liegt das Staatsdefizit Portugals für 2015 bei 4,4 Prozent, trotz des Vorhabens, es auf drei Prozent zu drücken. Ebenfalls Spanien: es sollte im vergangenen Jahr das Defizit auf 4,2 Prozent reduzieren, tatsächlich liegt es bei 5,1 Prozent.

Das Staatsdefizit in Portugal ist jedoch auch der Bankenrettung geschuldet. Ende Dezember 2015 wurde die Banif-Bank aufgelöst. Dies kam den portugiesischen Staat teuer zu stehen. Denn die Europäische Zentralbank (EZB) bestand darauf, dass die portugiesische Banco Santander Totta – ein portugiesischer Ableger der spanischen Großbank – das Geldhaus für 150 Millionen Euro resp. vorerst nur deren Aktivitäten übernahm. Zugleich musste die portugiesische Regierung über 2,2 Milliarden Euro aufwenden, um eine sogenannte „Bad Bank“ für faule Kredite zu finanzieren. Parallel dazu hatte die EU-Kommission staatliche Hilfen von bis zu drei Milliarden Euro für die Abwicklung der Banif-Bank resp. den Verkauf von Teilen des Geldhauses an die Banco Santander Totta genehmigt.

Diese Kosten waren es, die das Haushaltsdefizit noch im Jahr 2015 über den Richtwert von drei Prozent – konkret um einen Prozentsatz – ansteigen ließen. Zugleich richteten sich Forderungen aus Brüssel an die Regierung in Lissabon, die Sparpolitik beizubehalten.

Nach Worten der EU-Kommission werden den beiden iberischen Ländern nun bis Ende Juli Zeit eingeräumt, um Entwürfe für eine deutliche Reduzierung der Haushaltsdefizite vorzulegen. Ansonsten drohten Sanktionen wegen Verstößen gegen die Stabilitätsregeln. Bisher wurden noch keine Sanktionen gegen ein Land in der Eurozone verhängt. Unter anderem könnten Struktur-Mittel aus den EU-Töpfen eingefroren werden. Oder Geldstrafen von „anfangs“ 0,2 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Indessen macht EU-Kommissar Günther Oettinger öffentlich Druck und spricht sich für EU-Sanktionen gegen beide Länder aus. Laut einem Bericht des Spiegel erklärte er: „Wenn die Kommission ihre Glaubwürdigkeit bei der Einhaltung von Etatregeln bewahren wolle, „müssen wir Sanktionen gegen Spanien und Portugal beschließen“. Alles andere könne man den Menschen nicht erklären. Jedoch auch ohne Oettingers Vorstoß ist es möglich, dass die EU-Kommission sich am Dienstag mit diesem Thema beschäftigt.

Indessen bleibt die Frage offen, wie die Aussagen von EU-Kommissionspräsidenten Juncker zu bewerten sind, der im Fall Frankreichs zum Einhalten resp. Verletzen der Stabilitätskriterien Anfang Juni rundheraus erklärte: „Weil es Frankreich ist. Das Frankreich von heute.“

Im Fall Portugals wird jedoch vermutet, dass Investoren gegen einzelne Staaten spekulieren könnten, die von dem Brexit besonders betroffen sind. Nach Einschätzung der EU-Kommission hält man Irland und Portugal für besonders gefährdet.

Im Fall des Falles könnte daher die Europäische Zentralbank (EZB( ihr OMT-Programm aktivieren, also gezielt Staatsanleihen von Krisenländern aufkaufen. Am 21.Juni hatte das Bundesverfassungsgericht dies unter bestimmten Voraussetzungen gebilligt.

Auch eine vorsorgliche oder Notfall-Kreditlinie aus dem ESM-Programm für Portugal ist denkbar – so wie es im Mai 2014 beim Verlassen des „Rettungsschirms“ für das Land angedacht war.

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