Politik

EU-Kommission verzichtet auf Strafzahlungen für Spanien und Portugal

Lesezeit: 3 min
27.07.2016 19:09
Die EU-Kommission verzichtet auf die Verhängung von Strafgeldern gegen Spanien und Portugal wegen zu hoher Defizite. Die Kommission hat sich für eine rationale Herangehensweise entschlossen: Die Strafzahlungen lösen in der Tat kein einziges Problem der Länder, die sich weiter in einer schweren wirtschaftlichen Krise befinden.
EU-Kommission verzichtet auf Strafzahlungen für Spanien und Portugal

Die Defizitländer Spanien und Portugal sollen nach einer umstrittenen Entscheidung der EU-Kommission von Geldbußen verschont bleiben. Die Spitzen der Brüsseler Behörde haben am Mittwoch entschieden, auf konkrete Strafzahlungen zu verzichten. Diese hätten 0,2 Prozent der Wirtschaftleistung betragen können. Für Spanien wären das mehr 2 Milliarden Euro gewesen, für Portugal knapp 200 Millionen Euro.

«Selbst symbolische Strafen hätten nichts an der Vergangenheit geändert und sie wären von der Bevölkerung nicht verstanden worden», verteidigte EU-Währungskommissar Pierre Moscovici die Entscheidung. Die Brüsseler Behörde würdige mit ihr zudem die bisherigen Anstrengungen. Bis zum 15. Oktober sollen Spanien und Portugal nun neue Pläne präsentieren, wie sie ihre Haushalte in Ordnung bringen wollen. Sie bekamen dafür neue Fristen gesetzt.

Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem hat sich unzufrieden mit der Entscheidung der EU-Kommission gezeigt, die Defizitsünder Spanien und Portugal straffrei zu lassen. Es sei enttäuschend, dass die Erkenntnis über mangelnde Haushaltskonsolidierung der beiden Länder keine Folgen habe, erklärte Dijsselbloem am Mittwoch. "Es muss klar sein, dass trotz aller Bemühungen Spanien und Portugal noch immer in Gefahr sind." Er werde die Entscheidung der EU-Kommission mit Vertretern der Euro-Zone besprechen.

Aus Sicht des CSU-Europaabgeordneten Markus Ferber untergräbt die EU-Kommission mit ihrer Entscheidung die Glaubwürdigkeit des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Der Linken-Europaabgeordnete Fabio De Masi lobte hingegen den «Realismus» der Behörde: «Strafen für vermeintliche Defizitsünder wären ohnehin so absurd, wie Koma-Patienten Blut abzuzapfen.»

Von Portugal erwartet die EU-Kommission nun, dass das Land sein Haushaltsdefizit bis Ende des Jahres auf 2,5 Prozent der Wirtschaftsleistung drückt. Spanien soll bis Ende 2018 schrittweise auf 2,2 Prozent kommen.

Als Sanktionsmöglichkeit steht für Portugal und Spanien weiterhin eine Kürzung von EU-Fördermitteln im Raum. Über diese Möglichkeit will die EU-Kommission nach der Sommerpause zunächst mit Vertretern des Europaparlaments beraten.

EU-Präsident Jean-Claude Juncker wehrte sich deswegen gegen den Vorwurf allzu großer Nachsicht. «Die Aussetzung der Strukturfonds würde Spanien und Portugal finanziell härter treffen als es mit Geldbußen der Fall gewesen wäre», sagte er dem Handelsblatt.

Sowohl Spanien als auch Portugal wird vorgeworfen, in der Vergangenheit nicht konsequent genug gegen ihre Haushaltsdefizite vorgegangen zu sein. Spanien wies 2015 ein Defizit von 5,1 Prozent auf, Portugal verzeichnete 4,4 Prozent. Erlaubt ist laut Euro-Stabilitätspakt maximal eine jährliche Neuverschuldung von 3,0 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Die Möglichkeit für Strafen hatten Mitte des Monats die Finanzminister der EU-Staaten eröffnet. Sie werden nun auch entscheiden müssen, ob die Empfehlungen der EU-Kommission umgesetzt werden sollen.

Wenn sie dies nicht wollen, müssen die EU-Staaten eine anderslautende Entscheidung fällen. Die betroffenen Länder Portugal und Spanien dürften nicht mit abstimmen.

Ein solches Vorgehen gilt aber als unwahrscheinlich und wäre politisch heikel. Ende 2003 waren nämlich Defizitverfahren gegen die großen EU-Länder Deutschland und Frankreich gegen den Widerstand der Brüsseler Kommission auf Eis gelegt worden. Dieses Vorgehen gilt bis heute als ein Grund für die mangelnde Glaubwürdigkeit des Stabilitätspakts. Später nahmen Schuldensünder wie Griechenland den Pakt nicht ernst.

Seit der Euro-Einführung im Jahr 1999 riss allein Deutschland sieben Mal die Defizitobergrenze: 2001 (3,1 Prozent Defizit), 2002 (3,8), 2003 (4,2), 2004 (3,8), 2005 (3,3), 2009 (3,1) und 2010 (4,2). Frankreich befindet sich auch derzeit wieder in einem Defizitverfahren. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte jüngst für Aufsehen gesorgt, weil er Frankreich mit den Worten «weil es Frankreich ist» als Sonderfall einstufte.

In Spanien begrüßte die geschäftsführende konservative Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy die Nachrichten aus Brüssel. «Durch die Nichtverhängung von Sanktionen honoriert die Europäische Kommission die Entwicklung der spanischen Wirtschaft und die Reformen», erklärte die stellvertretende Regierungschefin Soraya Sáenz de Santamaría in Madrid.

"Auch wenn die Kommission noch einmal auf die angedrohten Strafen verzichtet hat: Das Defizitverfahren der EU-Kommission gegen Portugal und Spanien zeigt den ganzen Irrsinn der Konstruktion des Eurosystems", erklärt Andrej Hunko, europapolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE anlässlich der heutigen Entscheidung der EU-Kommission. Hunko weiter:

"Länder, die in wirtschaftlichen Problemen stecken, sollen durch das Defizitverfahren bestraft werden, um sie ,auf Linie' zu bringen. Zwar hat die Kommission noch einmal von Strafzahlungen abgesehen. Aber möglicherweise werden die Daumenschrauben noch durch die Zurückhaltung von Mitteln aus Strukturfonds angezogen. Dies würde insbesondere strukturschwache Regionen treffen.

Zugleich bleiben die enormen Leistungsbilanzüberschüsse von Ländern wie Deutschland sanktionsfrei, obwohl auch sie die Kriterien verletzen und eine der Hauptursachen der Eurokrise sind. Dies zeigt die ganze Absurdität der Konstruktion der so genannten Economic Governance und insbesondere der willkürlichen Kriterien des Maastrichter Vertrags.

Portugal und Spanien brauchen weder Strafen noch Maßregelungen, sondern sozial-ökologische Investitionen, um die Krise zu überwinden. Statt lediglich auf die Ausgabenseite zu schauen, sollten die Einnahmen in den Blick genommen werden. Die Einführung höherer Steuern für Superreiche und Unternehmen wird jedoch durch die Steuerkonkurrenz innerhalb der EU untergraben. Dies zeigt klar wie selten die Konstruktionsfehler der Eurozone auf."

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