Zweieinhalb Wochen nach dem Putschversuch in der Türkei hat Europarats-Generalsekretär Thorbjörn Jagland Verständnis für das Vorgehen Ankaras gegen mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung gezeigt. Bei einem Besuch in Ankara ermahnte er am Mittwoch die türkische Regierung zugleich, dabei die Menschenrechte zu achten. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan forderte die USA erneut auf, den Prediger Fethullah Gülen auszuliefern.
Ankara macht Gülens einflussreiches Netzwerk für den versuchten Staatsstreich von Mitte Juli verantwortlich. Der im US-Bundesstaat Pennsylvania lebende Prediger bestreitet, der Drahtzieher zu sein. Seit dem gescheiterten Militärputsch wurden in der Türkei bereits mehr als 18.000 Menschen festgenommen, zumeist weil ihnen nachgesagt wurde, der Gülen-Bewegung nahezustehen.
Es sei „notwendig, gegen diejenigen vorzugehen, die hinter dem Coup gesteckt haben, und auch gegen dieses geheime Netzwerk, das die staatlichen Institutionen, die Armee und die Justiz infiltriert hat“, sagte Jagland nach einem Gespräch mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu. Von Europa habe es bislang „zu wenig Verständnis“ dafür gegeben, welche „Herausforderung“ der Putschversuch „für die demokratischen und staatlichen Institutionen der Türkei bedeutet“. Über die Gülen-Bewegung sei Europa „schon sehr lange informiert“ gewesen. „Deshalb sehen wir eine Notwendigkeit, da zu säubern.“
Bei der Strafverfolgung müssten aber die Prinzipien der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsstaatlichkeit eingehalten werden, forderte Jagland. Dazu gehöre „das Prinzip, dass jeder so lange unschuldig ist, solange seine Schuld nicht bewiesen wurde“. Der Europaratschef lobte in dieser Hinsicht die Zusammenarbeit Ankaras mit dem Europarat. Cavusoglu sagte, die Türkei habe nie ihre Zusagen hinsichtlich des Europarats vergessen. „Wir haben in unserem Verständnis von Demokratie nie Kompromisse gemacht und werden das auch nie tun.“
Der Europarat setzt sich für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in seinen Mitgliedstaaten ein, zu denen auch die Türkei zählt. Jagland wollte am Mittwoch auch Erdogan treffen. Dieser kritisierte die USA erneut dafür, Gülen noch nicht ausgeliefert zu haben. Dem mexikanischen Sender Televisa sagte er, die Türkei habe im „Kampf gegen den Terrorismus keine Zeit zu verlieren“.
Bereits mehrfach forderte die türkische Führung von den USA die Auslieferung Gülens, Washington fordert jedoch zunächst Beweise für dessen angebliche Verstrickung in den Putschversuch. Erdogan sagte dazu: Man müsse „blind“ sein, „um nicht zu verstehen, dass er hinter all dem steckt“.
Bei der türkischen Bevölkerung entschuldigte sich Erdogan am Mittwoch für seine einst engen Verbindungen zu Gülen. „Ich bin traurig, dass es mir nicht viel früher gelungen ist, das wahre Gesicht dieser verräterischen Organisation aufzudecken“, sagte er bei einer Religionskonferenz in Ankara. Er habe die Bewegung trotz unterschiedlicher Auffassungen persönlich unterstützt, weil er geglaubt habe, dass es einen „gemeinsamen Nenner“ gebe. „Wir haben sie toleriert, weil sie 'Allah' gesagt haben“, sagte Erdogan.
Nach dem Putschversuch hatte es auch auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik Festnahmen gegeben, wo auch die Bundeswehr präsent ist. Inzwischen gelten dort erhöhte Sicherheitsmaßnahmen. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sagte am Mittwoch, die "Auswirkungen der Umbruchsituation in den türkischen Streitkräften" seien in Incirlik spürbar. Die USA und "andere befreundete Nationen auf der Basis in Incirlik" hätten deshalb die Sicherheitsmaßnahmen hochgefahren. "Das haben wir auch getan." Es handele sich um eine "reine Vorsorgemaßnahme zum Schutz unserer Soldaten".