Politik

Im Schatten der Krise: Pläne für mehr Polizei-Staat in Deutschland

Die Bundesregierung will im Zuge der durch die offenen Grenzen entstandenen Probleme Deutschland schrittweise zum Polizeistaat entwickelt. Mehr Polizisten und Agenten, Überwachung im Internet, Aufweichung des Datenschutzes und der Einsatz der Bundeswehr im Inneren werden das gesellschaftliche Klima in Deutschland nachhaltig verändern.
21.08.2016 03:27
Lesezeit: 4 min

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Die Unions-Innenminister von Bund und Ländern haben am Freitag in einer "Berliner Erklärung" ein Bündel an Maßnahmen vorgeschlagen, um die Sicherheit in Deutschland zu erhöhen. An etlichen Stellen geht es über Pläne von Innenminister Thomas de Maiziere hinaus. Dieser begründet dies damit, dass er sich auf die Punkte konzentriert habe, die mit dem Koalitionspartner SPD auf jeden Fall umsetzbar seien. Die "Berliner Erklärung" sei dagegen ein Papier der CDU-Politiker und enthalte auch darüber hinausgehende Forderungen. Die wichtigsten Punkte:

- Bis 2020 sollen Bund und Länder 15.000 Polizisten einstellen.

- Die Polizei soll besser ausgestattet werden, auch mit "Mitteldistanz- und Langwaffen".

- Die Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen soll ausgeweitet, die Daten sollen vernetzt werden.

- Beim Kampf gegen die steigende Zahl an Wohnungseinbrüchen sollen das Strafrecht verschärft und weitere Zuschüsse für den besseren Einbruchschutz gezahlt werden.

- Fahrverbote sollen Sanktionsmittel gegen Straftäter werden, elektronische Fußfesseln verstärkt eingesetzt werden.

- Die Verfassungsschutzbehörden sollen bereits Jugendliche ab 14 Jahren ins Visier nehmen können und Zugang zu Daten der Vorratsdatenspeicherung erhalten.

- Die Aufbewahrungszeit für Telekommunikationsdaten (Vorratsdatenspeicherung) soll von zehn Wochen auf sechs Monate erhöht werden. Auch die Anbieter sozialer Netzwerke sollen verpflichtet werden, Verkehrsdaten zu speichern.

- Im Kampf gegen Internetkriminelle soll die Zusammenarbeit von Bund und Ländern intensiviert werden, Strafen für Cyberdelikte sollen verschärft werden.

- Im Antiterrorkampf sollen auf EU-Ebene die Vernetzung der Datenbanken von Polizeien, Nachrichtendiensten und Behörden vorangetrieben werden.

Im Bereich Flüchtlinge und Integration fordern die Unions-Innenminister unter anderem:

- schnelle Abschiebungen, einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen, eine Verteilung von Flüchtlingen auf alle EU-Staaten. Die Schleierfahndung soll ausgebaut werden, auch auf EU-Ebene.

- Visaliberalisierungen soll es erst geben, wenn es ein EU-weites System der Aus- und Einreiskontrollen gibt.

- Marokko, Algerien und Tunesien sollen als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden.

- Migranten ohne Bleiberecht sollen schneller abgeschoben werden, "Integrationsverweigerer" ausgewiesen werden.

- Nichtdeutsche Hassprediger sollen ausgewiesen, Scheinvaterschaften sowie Mehr- und Minderjährigen-Ehen verhindert werden.

- Doppelpass: Die Mehrstaatlichkeit soll eine Ausnahme bleiben. Ob der Doppelpass der Integration nutzt oder schadet, soll 2018 überprüft werden, also vier Jahre nach Inkrafttreten der 2014 eingeführten Ausnahmeregeln für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern.

- Wer sich an Kampfhandlungen terroristischer Organisationen beteiligt, soll den deutschen Pass entzogen bekommen, wenn er über eine weitere Staatsbürgerschaft verfügt.

- Vollverschleierung: Nach Ansicht der Innenminister widerspricht sie dem gesellschaftlichen Konsens in Deutschland. Offen müsse das Gesicht vor allem im öffentlichen Dienst, Bildungsbereich, in Gerichten, bei Pass- und Verkehrskontrollen und auf Demonstrationen gezeigt werden. Im Straßenverkehr müssten Gefahren für andere ausgeschlossen werden. Verstöße sollen als Ordnungswidrigkeiten eingestuft und geahndet werden.

Ab November könnten erste Übungen für einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren stattfinden. Das kündigte der CDU-Politiker Klaus Bouillon an, der Chef der Innenministerkonferenz ist. "Ich erwarte, dass Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Bundesinnenminister Thomas de Maiziere am 31. August grünes Licht für die Übungen geben. Dann können bereits im November Stabsübungen zum Einsatz der Bundeswehr im Innern stattfinden", sagte Bouillon der "Rheinischen Post". "Ich gehe davon aus, dass in der großen Mehrheit der Länder Übungen stattfinden können. Auch bei den SPD-geführten Bundesländern sehe ich Bewegung für eine Kooperation von Polizei und Bundeswehr im Fall von Terror und Katastrophen."

Bundesinnenminister Thomas de Maiziere strebt nach den jüngsten Anschlägen die Aufstockung von Polizei und Verfassungsschutz um mehrere tausend Beamte an. Es werde geprüft, wo Bundespolizei, Bundeskriminalamt und Bundesverfassungsschutz zusätzlichen Personalbedarf hätten, sagte der CDU-Politiker am Donnerstag in Berlin bei der Vorstellung eines sicherheitspolitischen Maßnahmenkatalogs. Er peile eine Erhöhung der Dienstposten im mittleren vierstelligen Bereich an. In einem Pilotverfahren soll zudem die Sicherheitsprüfung von Flüchtlingen auf deren Handys ausgedehnt werden, wo etwa ihre Facebook-Kontakte unter die Lupe genommen werden können. In den Niederlanden, Norwegen und Schweden geschehe dies bereits. Straffälligen Ausländern soll bei einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit künftig Abschiebehaft drohen. Forderungen seiner Unionskollegen in den Ländern nach einer Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft und einem Burkaverbot lehnte de Maiziere indes ab.

Zugleich wies der CDU-Politiker Vorwürfe des Koalitionspartners SPD zurück, der zu große Einsparungen durch die Union besonders bei der Bundespolizei bemängelte. Die Einrichtung von 4600 neuen Stellen bei den Sicherheitsbehörden des Bundes sei bereits beschlossen, betonte er. Allein 3250 dieser Stellen entfielen auf die Bundespolizei. Am Mittwoch war bekanntgeworden, dass die Länder-Innenminister von CDU und CSU die Einstellung von 15.000 zusätzlichen Polizisten bis 2020 in Bund und Ländern vorschlagen wollen. Zudem plädierten sie für eine Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft und ein Burkaverbot, wie es in einigen Nachbarländern bereits gilt.

De Maiziere widersprach diesen Forderungen. Er halte den Kompromiss zur doppelten Staatsbürgerschaft für befriedigend, erklärte er. Ein generelles Verbot der Burka dürfte nach seiner Einschätzung auf verfassungsrechtliche Probleme stoßen. "Man kann nicht alles verbieten, was man ablehnt", sagte der Minister mit Blick auf die Vollverschleierung.

Stattdessen kündigte de Maiziere unter anderem eine Modernisierung und Ausweitung der Videoüberwachung an den Bahnhöfen an. Bis 2019 sollen rund zwanzig besonders wichtige Stationen mit modernster Videotechnik ausgestattet werden. Bei der Genehmigung von Videoüberwachung etwa in Einkaufszentren plädierte de Maiziere dafür, künftig weniger Rücksicht auf den Datenschutz als auf Sicherheitsbelange zu nehmen. Nach einer Bombendrohung gegen eine Einrichtung in Dortmund hätte sich die Sachlage kürzlich einfacher klären lassen, wenn Datenschützer dort nicht zuvor die Videoüberwachung untersagt hätten, kritisierte der Minister.

Auch das Internet will der CDU-Politiker massiv überwachen. Verdeckte Cyber-Ermittler sollten künftig im sogenannten Darknet, einem anonymen und schwer zugänglichen Bereich des weltweiten Netzes, gezielt auf die Jagd nach Waffenhändlern oder Attentätern gehen, kündigte der Minister an. Auf das geplante europäische Ein- und Ausreiseregister sollen nach seinen Vorstellungen auch die deutschen Nachrichtendienste Zugriff erhalten und nicht nur die Polizei.

Auch das Aufenthaltsrecht soll nach den Plänen des Ministers weiter verschärft werden. Ausreisepflichtige ausländische Kriminelle und Gefährder sollen künftig verstärkt in Abschiebehaft genommen werden. Auch die Duldung im Fall von Abschiebehindernissen will de Maiziere beschränken. Dies gelte besonders dann, wenn jemand seine Abschiebung selbst behindere, indem er mit falschen Identitäten arbeite, Straftaten begehe oder in anderer Form die öffentliche Sicherheit gefährde. "In allen diesen Fällen kann es nicht sein, dass durch Frechheit und renitentes Verhalten der Aufenthalt in Deutschland verlängert wird", betonte der Minister. Deutschen, die sich für eine Terrormiliz an Kampfhandlungen beteiligten und die eine weitere Nationalität besäßen, solle die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen werden.

Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff mahnt in diesem Szenario die Wahrung der grundlegenden Bürgerrechte an. "Wenn wir unsere Grundrechte, das heißt auch den Datenschutz, verfassungswidrig einschränken, verlieren wir das, was unsere Demokratie auszeichnet", erklärte Voßhoff am Samstag in Berlin. "Dann hätten die Feinde der Demokratie ihr Ziel erreicht."

Dass es für die Sicherheitsbehörden große Herausforderungen bei der Verhinderung terroristischer Angriffe gebe, sei "unbestreitbar" erklärte Voßhoff. "Datenschutz und Sicherheit sind dabei aber zwei Seiten einer Medaille und sollten nicht gegeneinander in Stellung gebracht werden." Voßhoff betonte, unbescholtene Bürger dürften nicht in den Fokus der Sicherheitsbehörden geraten, etwa durch die Aufnahme in bestimmte Dateien.

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