Deutschland

Analyst: Erste Anzeichen von Kapitalflucht aus Deutschland

Lesezeit: 3 min
29.07.2012 01:15
Deutsche Staatsanleihen sind im Begriff, ihre Funktion als „sicherer Hafen“ zu verlieren. Den Grund sieht Josh Rosner von Graham Fisher darin, dass Deutschlands Erfolge in der Euro-Zone auf Lohndumping und massiver Exportförderung durch die deutschen Banken beruhen. Die sich abzeichnenden Schwierigkeiten Deutschlands bei der Finanzierung werden weitreichende Folgen für den deutschen Steuerzahler haben.
Analyst: Erste Anzeichen von Kapitalflucht aus Deutschland

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

In einer Analyse räumt Josh Rosner vom unabhängigen Finanzanalysten Graham Fisher mit dem verbreiteten Irrtum auf, dass die wirtschaftlichen Erfolge Deutschlands in den vergangenen Jahren auch die wirtschaftliche Lage in Deutschland so verbessert hätten, dass Deutschland mit oder Euro besser dasteht – und daher im Falle eines Euro-Crashs besser dastünde als andere europäische Staaten. Rosner legt dar, dass die „Erfolge“ vor allem zugunsten der exportorientierten Unternehmen und der deutschen Banken erzielt wurden. Sein Fazit: Die deutschen Arbeitnehmer seien durch die Hartz IV-Reformen vom Erfolg faktisch ausgeschlossen. Damit sei die Lage in Deutschland jedoch weit weniger stabil als von der deutschen Politik dem Rest Europas gerne vorgehalten wird. Das deutsche Wunder sei nicht auf intelligente Produktivitäts-Steigerung zurückzuführen, sondern auf schlichtes Lohndumping.

Rosners Zusammenfassung von zahlreichen Statistiken belegt des Weiteren, dass die verschiedenen „Bailouts“ weniger eine Hilfe für die jeweiligen Banken (etwa die spanischen) seien, sondern der Versuch, die Völker Europas darauf zu verpflichten, für die hohen Forderungen der deutschen und französischen Banken geradezustehen. Er bezieht sich unter anderem auf den ehemaligen Bundesbankpräsidenten Karl-Otto Pöhl, der genau dies schon bei der ersten Griechenland-Hilfe kritisiert hatte. Heute ist es schon fast eine Binsenweisheit, dass die Tranchen, die nach Griechenland gehen, zum Großteil für den Schuldendienst verwendet werden – also nach Europa zurückgehen. Die aktuelle Debatte, dass auch die offiziellen Gläubiger nun mit einem Schuldenschnitt in Griechenland rechnen müssen, belegt: Die Krise wird über kurz oder lang den deutschen Steuerzahler voll treffen (mehr hier).

Und die Bond Märkte scheinen diese Entwicklung langsam zu realisieren. Rosners Berechnungen müssten die Zinssätze für Bunds mindestens doppelt so hoch sein, als sie es gegenwärtig sind. Die Kreditausfallsversicherungen sind bereits in die Höhe geschnellt. Warum dann die Zinssätze immer noch nicht deutlich gestiegen sind, kann auch Rosner nicht erklären. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Überlegung von Marktbeobachtern, dass Investoren damit spekulieren, dass Deutschland zur D-Mark zurückkehren könnte. Dann würden die Bunds nominal bei 100 bleiben, jedoch wegen der stärkeren D-Mark einen höheren Wert darstellen – und wären so ein guter Deal für Investoren.

Doch Rosner sieht andere Anzeichen, dass die Kapitalflucht aus Deutschland bereits eingesetzt haben könnte. Er verweist darauf, dass die Schweizerischen Notenbank SNB ihre Euro-Bestände bei 50% einfrieren will und verstärkt andere Währungen – etwa den kanadischen oder den australischen Dollar sowie schwedische und norwegische Kronen – einkauft. Vor allem aber sieht Rosner in der in Deutschland weitgehend unbeachtet gebliebenen Ankündigung von mehreren Investmentbanken, ihr Euro-Geldmarkt-Fonds zu schließen (hier), ein Alarmzeichen. Vor allem die deutschen Großbanken könnte das schon bald vor erhebliche Finanzierungs-Probleme stellen. Die Deutsche Bank habe einen enormen Liquiditätsbedarf: Sie sei heute schon so groß wie 80 Prozent des deutschen BIP – und 50 Prozent mehr gehebelt als Lehman zum Zeitpunkt des Crashs. Es rächt sich nun, dass Deutschland auf die Verluste der deutschen Banken aus der faulen US-Immobilienkrediten mit der falschen Maßnahme reagiert habe: Nämlich die Banken mit Staatsgarantien zu retten und so dem Steuerzahler schon jetzt Verluste in Höhe von 480 Milliarden Euro zugeschoben zu haben. Dies ist der Betrag, den Deutschland im Zuge der Bankenrettung nach der Lehman-Pleite über die SofFin aufgebracht habe. Noch immer sei nicht klar, wie hoch die Risiken bei den Banken tatsächlich sind.

Und die Banken haben, so Rosner, gigantische Risiken in der Euro-Zone. Diese beziehen sich nur zu einem Bruchteil auf faule Staatsanleihen der Peripherie-Staaten: Der weitaus größte Teil liegt in Krediten, die deutsche Banken an Haushalte in anderen europäischen Staaten vergeben hätten – die nun mit der Krise in den europäischen Süd-Staaten im Grunde neu bewertet werden müssten. Dasselbe gilt Kredite an Unternehmen zur Export-Förderung: Brechen die künstlich hochgetriebenen Exporte ein, werden auch hier zahlreiche Unternehmen Schwierigkeiten bekommen, ihre Schulden zu bedienen.

Rosner glaubt, dass andere Marktteilnehmer die Situation ausnützen könnten: So ist China im Begriff, seine eigenen Staatsanleihen auf dem internationalen Bond-Markt zu platzieren. Wie gut oder schlecht die makroökonomische Lage in China ist, will Rosner nicht bewerten. Er stellt jedoch fest, dass China und auch die USA im Unterschied zu Deutschland in der Lage seien, Geld zu drucken – und somit sicherzustellen, dass Investoren keinesfalls leer ausgehen würden.

Die wahre Lage Deutschlands sei, so Rosner, jedenfalls weit weniger erfreulich, als die deutschen Politiker ihren Bürgern gerne weismachen sollen. Sollte die Kapitalflucht aus Deutschland tatsächlich im großen Stil einsetzen, könnte Deutschland innerhalb kürzester Zeit vor einem signifikanten Problem bei der eigenen Finanzierung stehen. Dass die deutsche Politik den Mut haben könnte, den eigenen Bürgern die tatsächlichen Zahlen auf den Tisch zu legen, glaubt Rosner nicht. Vielmehr erwartet er, dass die aktuelle Strategie der Notmaßnahmen und der Verschleierung der Wahrheit beibehalten werden dürfte – mit der einzig sicheren Konsequenz, dass am Ende der deutsche Steuerzahler die Casino-Gewinne der deutschen Banken im vollen Umfang bezahlen muss.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Die Edelmetallmärkte

Wegen der unkontrollierten Staats- und Unternehmensfinanzierung durch die Zentralbanken im Schatten der Corona-Krise sind derzeitig...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Konfliktlösung ohne Gericht: Verbraucherschlichtung als Chance für Ihr Business
27.04.2024

Verabschieden Sie sich von langwierigen Gerichtsverfahren! Mit dem Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG) senken Sie Ihre Kosten,...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Krieg in der Ukraine: So ist die Lage
27.04.2024

Wegen Waffenknappheit setzt der ukrainische Präsident, Wolodymyr Selenskyj, auf Ausbau der heimischen Rüstungsindustrie, um sein Land...

DWN
Finanzen
Finanzen Hohes Shiller-KGV: Sind die Aktienmärkte überbewertet?
27.04.2024

Bestimmte Welt-Aktienmärkte sind derzeit sehr teuer. Diese sind auch in Indizes wie dem MSCI World hoch gewichtet. Manche Experten sehen...

DWN
Finanzen
Finanzen EM 2024 Ticketpreise explodieren: Die Hintergründe
27.04.2024

Fußball-Enthusiasten haben Grund zur Freude: Es besteht immer noch die Chance, Tickets für die EM 2024 zu erwerben. Allerdings handelt es...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutschland als Unternehmensstandort: Zwischen Herausforderungen und Chancen
27.04.2024

Trotz seines Rufes als europäischer Wirtschaftsmotor kämpft Deutschland mit einer Vielzahl von Standortnachteilen. Der Staat muss...

DWN
Immobilien
Immobilien Deutschlands herrenlose Häuser: Eine Chance für den Markt?
27.04.2024

Herrenlose Immobilien - ein kurioses Phänomen in Deutschland. Es handelt sich hier um Gebäude oder Grundstücke, die keinen...

DWN
Finanzen
Finanzen Reich werden an der Börse: Ist das realistisch?
27.04.2024

Viele Anleger wollen an der Börse vermögend werden. Doch ist das wahrscheinlich - oder wie wird man tatsächlich reich?

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Deutsche müssen über Abschiebungen diskutieren - mit aller Vorsicht
26.04.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...