Politik

EU-Wahl: Wendige Sozialisten wollen als Euro-Skeptiker antreten

Europas Sozialisten vollziehen einen radikalen Schwenk in ihrer Wahltaktik für das Europa-Parlament: Um den Euro-Skeptikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, will die Partei "Europa in seiner jetzigen Form nicht mehr verteidigen". Martin Schulz wird zum Euro-Skeptiker - mehr Wende geht nicht.
29.11.2013 00:37
Lesezeit: 2 min

Die Sozialdemokratie Europas hat eine geniale Wahlkampf-Idee: Sie will sich an die Spitze der Euro-Kritiker setzen, um bei der EU-Wahl zu gewinnen.

Das ist die überraschendste politische Wandlung seit Erich Mielkes Liebes-Bekenntnis an die DDR-Bürger (Video am Ende des Artikels).

Doch anders als beim senilen Mielke agiert die Sozialistische Internationale rational-berechnend. Sie merkt, woher der Wind weht - und richtet sich nach dem Wind.

„Das momentan gefährlichste Phänomen in Europa ist der Anstieg der Euro-Skeptiker“. Zumindest nach Meinung des italienischen Premiers Enrico Letta. Gemeint sind Parteien wie der Front National (FN), die UK Independence Party (UKIP) oder das italienische Movimento 5 Stelle.

Massimo D’Alema, ein Vorgänger Lettas, sagt, dass die Bürger, die keine Zeitung lesen und sich von der Politik distanzieren, von „Populisten“ angezogen werden.

Und hier erkennt der gute Sozialist die Gunst der Stunde: Überholen, ohne einzuholen heißt das Motto.

D’Alema: „Der einzige Weg, den Euro-Skeptikern zu kontern, ist, Europa in seiner jetzigen Form nicht zu verteidigen“, so der Italiener im Interview mit EurActiv.

Die Sozialisten müssten verhindern, dass die Euro-Skeptiker die Hoheit über die Themen beim Europa-Wahlkampf erlangen. Deswegen wollen sie sich selbst als die größten Gegner von Europa, wie es heute ist, profilieren, sagt Massimo D’Alema. Die Kritik an Europa könne nicht ignoriert werden. Auf die aufgeworfenen Fragen müssten Antworten gefunden werden, inklusive technischer Lösungen. Das Motto der Sozialisten solle daher, so D'Alema, lauten: Wir lieben Euch doch alle! Wir wollen Europa verändern!

Das wäre die Aufgabe von alteingesessen politischen Parteien. Denn die nicht-sozialistischen Populisten könnten keine Antworten geben, so D’Alema. Der ehemalige italienische Premier (1998-2000) ist heute Präsident der „Foundation for European Progressive Studies“ (FEPS), dem europäischen sozial-demokratischen Think-Tank.

Dazu besinnen sich die Sozialisten auf alte Werte: Man müsse sich wieder um den „Kleinen Mann“ kümmern und für mehr Transparenz in der EU sorgen, so D’Alema weiter.

Die sozialistische Spitzenkandidat für die Barroso-Nachfolge ist der Deutsche Martin Schulz (mehr hier). Er möchte als erster Euro-Skeptiker Präsident der EU-Kommission werden.

Nachvollziehbar sind die Sorgen der Europäischen Sozialisten, wie ein Blick auf das letzte Wahlergebnis von 2009 zeigt. Da mussten die Sozialisten europaweit Verluste einfahren.

In Belgien verloren sie 3,5 Prozent, in Dänemark verloren die oppositionellen Sozialdemokraten mehr als zehn Prozent im Vergleich zur EU-Wahl 2004. Die französischen Sozialisten holten bescheidene 16,48 Prozent. Die Labour-Partei in Großbritannien erlebte ein historisches Debakel, verlor sieben Parteipunkte und wurde nur noch drittstärkste Kraft im Land. Die österreichischen Sozialdemokraten verloren neun Prozentpunkte, die portugiesische PS stürzte von 44,52 Prozent (2004) auf 26,6 Prozent ab, wie die offizielle Seite zur EU-Wahl 2009 aufzeigt.

Die kommende Wahl wird nicht leicht für die Sozialisten: Im Mai 2014 warten mit Marine Le Pen (hier), Nigel Farage (hier) und Beppo Grillo (hier) ernstzunehmende Gegner. Auch die deutsche AfD will in Europa antreten (hier).

Tatsächlich werden die Linken jedoch bei der Wahl eine satte Mehrheit haben. Das haben EU-interne Umfragen ergeben, von denen der österreichische Standard kürzlich berichtete - ohne allerdings Belege anzuführen. Die rechten Parteien haben nur eine Chance, wenn es ihnen gelingt, wirklich massiv Wähler zu mobilisieren.

Doch die Sozialisten wollen auf Nummer Sicher gehen: Sie spekulieren damit, dass die Bürger in Europa tatsächlich ihnen das Vertrauen schenken, wenn sie sich als Euro-Skeptiker und Partei der kleinen Leute präsentieren.

Es ist nicht auszuschließen, dass die Sozialisten als die besten Populisten der Geschichte die Wähler in diesem Punkt richtig einschätzen.

Wir halten dennoch an der Demokratie als der besten Lebensform fest.

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Unternehmen
Unternehmen Strategien für Krisenzeiten: Wie Sie jetzt Ihre Unternehmensleistung steigern
11.05.2025

Steigende Kosten, Fachkräftemangel, Finanzierungsdruck – viele KMU kämpfen ums Überleben. Doch mit den richtigen Strategien lässt...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft USA vor Energieumbruch: Strom wird zum neuen Öl – und zur nächsten geopolitischen Baustelle
11.05.2025

Ein fundamentaler Wandel zeichnet sich in der US-Wirtschaft ab: Elektrizität verdrängt Öl als Rückgrat der nationalen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bill Gates verschenkt Vermögen – Symbol einer neuen Weltordnung oder letzter Akt der alten Eliten?
11.05.2025

Bill Gates verschenkt sein Vermögen – ein historischer Akt der Großzügigkeit oder ein strategischer Schachzug globaler Machtpolitik?...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft „Made in America“ wird zur Hypothek: US-Marken in Europa auf dem Rückzug
11.05.2025

Eine neue Studie der Europäischen Zentralbank legt nahe: Der Handelskrieg zwischen den USA und der EU hat tiefgreifende Spuren im...

DWN
Finanzen
Finanzen Tech-Börsengänge unter Druck: Trumps Handelskrieg lässt Startup-Träume platzen
10.05.2025

Schockwellen aus Washington stürzen IPO-Pläne weltweit ins Chaos – Klarna, StubHub und andere Unternehmen treten den Rückzug an.

DWN
Finanzen
Finanzen Warren Buffett: Was wir von seinem Rückzug wirklich lernen müssen
10.05.2025

Nach sechs Jahrzehnten an der Spitze von Berkshire Hathaway verabschiedet sich Warren Buffett aus dem aktiven Management – und mit ihm...

DWN
Finanzen
Finanzen Silber kaufen: Was Sie über Silber als Geldanlage wissen sollten
10.05.2025

Als Sachwert ist Silber nicht beliebig vermehrbar, kann nicht entwertet werden und verfügt über einen realen Gegenwert. Warum Silber als...

DWN
Technologie
Technologie Technologieinvestitionen schützen die Welt vor einer Rezession
10.05.2025

Trotz der weltweiten Handelskonflikte und der anhaltenden geopolitischen Spannungen bleibt die Nachfrage nach Technologieinvestitionen...