ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger kann den angeschlagenen Mischkonzern nicht mit einem Befreiungsschlag aus der Misere bringen: Seine Pläne zum Verkauf der beiden Übersee-Stahlwerke kann er nur zum Teil umsetzen. Während er die Fabrik in den USA für umgerechnet rund 1,1 Milliarden Euro an ArcelorMittal und Nippon Steel abstößt, bleibt er auf dem verlustreichen Rohstahlwerk in Brasilien sitzen.
„Wir lassen uns nicht treiben. Manchmal muss man kleine Schritte gehen“, sagte Hiesinger auf der vorgezogenen Bilanzpressekonferenz am Samstag in Essen. Zudem muss er den 2012 mit dem finnischen Outokumpu -Konzern vereinbarten milliardenschweren Verkauf der Edelstahltochter teilweise rückabwickeln.
„Eine Einigung zum Verkauf von Steel Americas insgesamt konnte auf einer für uns tragfähigen Basis nicht erreicht werden“, sagte Hiesinger. Anderthalb Jahre hatten er und Finanzchef Guido Kerkhoff nach Käufern gesucht. Die Kosten für die Anlagen in Brasilien und den USA waren auf fast 13 Milliarden Euro explodiert. Der Löwenanteil entfiel auf das Werk in Brasilien, für das sich - im Gegensatz zu Alabama - auch nur wenige interessierten.
Seit Jahren verhagelt die amerikanische Stahlsparte ThyssenKrupp die Bilanz. Im abgelaufenen Geschäftsjahr verzeichnete Steel Americas einen um Sondereffekte bereinigten Verlust vor Zinsen und Steuern (Ebit) von 495 Millionen Euro. Im Jahr zuvor war der Fehlbetrag allerdings doppelt so hoch gewesen.
Das Rohstahlwerk in Brasilien soll in den kommenden Jahren rund zwei Millionen Tonnen Stahl jährlich an das US-Werk liefern und ist laut ThyssenKrupp damit zu 40 Prozent ausgelastet. Bislang hatte Brasilien allerdings das Doppelte geliefert.
„Wir stellen den Verkaufsprozess jetzt ein“, sagte Hiesinger. Dass der Konzern die Fabrik langfristig behalten will, ist jedoch unwahrscheinlich. Beide Anlagen hatte ThyssenKrupp zu Ende September noch mit 3,1 Milliarden Euro in den Büchern.
Auch über eine Kapitalerhöhung will sich der Konzern noch mehr frisches Geld beschaffen, das er dringend nötig hat: Ihn drücken Schulden von fünf Milliarden Euro. Die Eigenkapitalquote ist mit 7,1 Prozent so niedrig wie bei keinem anderen Dax-Konzern. Zudem stieg das Verhältnis der Netto-Finanzschulden zum Eigenkapital (Gearing) zuletzt auf 200,6 Prozent von 185,7 Prozent. Dieser Wert soll auch mit dem Verkauf des US-Werks und der Kapitalerhöhung auf unter 100 gedrückt werden. Letztere soll unter Ausschluss des Bezugsrechts bis zu zehn Prozent betragen. Wann es dazu kommt, ließ das Unternehmen offen. Rein rechnerisch könnte ThyssenKrupp bei dem derzeitigen Aktienkurs rund eine Milliarde Euro einnehmen.
Im Geschäftsjahr 2012/13 fuhr ThyssenKrupp einen Verlust von 1,5 Milliarden Euro ein - im Vorjahr war es allerdings ein Minus von fünf Milliarden Euro gewesen. Im laufenden Geschäftsjahr peilt Hiesinger „eine deutliche Verbesserung in Richtung eines wieder ausgeglichenen Jahresergebnisses“ an.
Neben den Stahlwerken in Amerika schwächelten auch andere Bereiche des Konzerns. So erzielte die europäische Stahlsparte ein bereinigtes Ebit von 143 Millionen Euro: Ein Minus von 42 Prozent zum Vorjahr. Auch die Geschäfte mit Autoteilen und Dienstleistungen litten unter Rückgängen. Die Aufzugssparte, die Hiesinger mit Zukäufen stärken will, konnte dagegen operativ um 15 Prozent auf 675 Millionen Euro zulegen.
Abstriche muss Thyssen im Nachhinein beim Verkauf seiner Edelstahltochter Inoxum machen. Dieser Deal mit einem Transaktionsvolumen von 2,7 Milliarden Euro war im vergangenen Jahr von der Börse gefeiert worden. ThyssenKrupp hatte noch eine Forderung an Outokumpu über 1,2 Milliarden Euro offen, die nun gelöscht wird.
Stattdessen nimmt der Dax-Konzern das Verluste schreibende Edelstahlwerk im italienischen Terni und den profitablen Werkstoffhersteller VDM zurück. Den Wert beider Firmen beziffert ThyssenKrupp auf rund eine Milliarde Euro. Es gilt als wahrscheinlich, dass der Konzern die Firmen weiterverkaufen wird. Für VDM gibt es mehrere Interessenten. Weite Teile des Geschäftes bleiben bei Outokumpu, darunter das Traditionsunternehmen Nirosta. Der finnische Konzern, der auch unter einer Schuldenlast in Milliardenhöhe ächzt, hatte vergeblich versucht, Terni unter dem Druck der EU-Kommission zu veräußern.
ThyssenKrupp kündigte zudem an, sich von seinem Anteil von 29,9 Prozent an Outokumpu zu trennen. Dabei rechnen die Essener auch wegen der geplanten Kapitalerhöhung der Finnen mit Abschreibungen in Höhe von 270 Millionen Euro auf den Buchwert von 305 Millionen Euro. Dem stünden aber Entlastungen aus dem Wegfall bilanzieller Risiken gegenüber.